Juna Schönborn

Kommunikatorin, Referentin, Lernbegleiterin, Autorin, emTrace Coach, Heidelberg

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Artikel

Frauen, Mütter, (berufliche) Alternativen [1]

Vor kurzem sprach ich mit einer lieben Bekannten über Erziehungszeit und Berufstätigkeit. Und darüber, wie das eigentlich so war, damals mit 25, als wir noch ganz anders über das Thema „berufstätige Mütter" dachten.

Auf einer Weiterbildung in Stuttgart im Februar diesen Jahres hörte ich einer beeindruckenden Frau zu. Es ging um Körpersprache, Auftreten, um männliches und um weibliches Erfolgreich-Sein. Zu Beginn erklärte die Referentin uns die „Phasen", die eine Frau in ihrem Berufsleben durchmacht. In den Zwanzigern, erzählte sie, glaubten viele Studentinnen und Berufsanfängerinnen noch daran, dass in Deutschland keine strukturelle Ungleichheit existiere. Sie nannte das die „herrliche Phase der ersten Jahre". In den Dreißigern erlebten die meisten Frauen, dass Benachteiligung und Diskriminierung alltäglich seien. Benachteiligung bedeutet unter anderem: Trotz gleicher Arbeit befördert der Arbeitgeber vor allem Männer, Weiterbildung für Frauen gilt als „herausgeschmissenes Geld", und das Gehalt vieler Frauen liegt unter dem Gehalt der männlichen Kollegen. In Einstellungsgesprächen werden Frauen nach ihrem Kinderwunsch gefragt, obwohl das rechtlich nicht erlaubt ist. Frauen und Mütter werden nur zögernd eingestellt, wegen der zu erwartenden Fehlzeiten. Zudem müssen sie nach der Rückkehr aus der Elternzeit häufig Einbußen hinnehmen. Dennoch, so die Referentin, gäben sich viele Frauen selbst die Schuld an den Umständen. Und glaubten, es läge vor allem an ihren persönlichen Entscheidungen. In den Vierzigern erst käme den meisten Frauen der Gedanke, dass sie verarscht würden. Und damit ein Punkt, an dem Feminismus plötzlich gar nicht mehr so uncool wirke.

Bei mir und vielen anderen Teilnehmerinnen traf die Referentin einen Nerv. Als ich mit meiner ersten Tochter schwanger wurde, dachte ich noch: „Mir passiert das alles nicht". Ich war sicher, die Frauen um mich herum waren einfach nicht gut genug, nicht engagiert genug, und insgesamt selbst Schuld an ihrer beruflichen Situation. Ich war im Magister, und meine männlichen Betreuer unterstützten mich schwanger noch vehementer als vorher. Als ich meinen Abschluss machte, war ich gerade 25 und verließ die Uni mit zwei Angeboten zur Promotion. Vier Wochen nach meiner letzten Prüfung wurde ich Mutter.

Die Unbeschwertheit der Phase 1

Durch den Beruf meines Mannes waren wir in den kommenden Jahren abgesichert, wenn auch knapp bei Kasse. Das Kind brüllte den gesamten Tag und machte in den Monaten nach der Geburt jeden klaren Gedanken unmöglich. Als ich nach dem ersten Geburtstag meiner Tochter tatsächlich in Freiburg die Promotion begann, schrie sie jede potentielle Betreuerin zusammen. Mir brach das Herz - und sie blieb zuhause bei mir. Ich unterrichtete in kleinem Rahmen, immer am Abend, engagierte mich ehrenamtlich, schmiss zweimal unser komplettes Leben um und schaffte es irgendwie, dennoch an der Promotion festzuhalten.

In den Endzügen meiner Dissertation suchte ich eine Stelle und beschwerte mich: Über den Arbeitsmarkt, die überschaubaren Angebote, die schlechte Bezahlung. Eine Freundin sagte beim gemeinsamen Essen zu mir: „Ich verstehe nicht, wie Du Dich beschweren kannst. DU hast Dich doch für Kinder entschieden! " Ich sollte viel später begreifen: Sie war in Phase 1, ich war ohne es zu merken in Phase 2 gerutscht.

Drei Jahre nach diesem Gespräch sitze ich mit meiner Bekannten in der Sonne. Beide sind wir - trotz oder vielleicht gerade wegen der Kinder - mittlerweile auf unserem Weg. Beide glauben wir immer noch daran, dass wir nicht nur „irgendetwas arbeiten", sondern uns in einem bescheidenen Rahmen selbst verwirklichen werden. Beide fühlen wir uns dennoch benachteiligt. Auf die vierzig zugehend, finanziell abhängig vom Partner, (fast) ohne Rentenansprüche. Ich erzähle ihr von einer noch ganz frischen Diskussion mit dem Gatten und meinen Eltern. Wir diskutierten über die Benachteiligung, die Frauen und Mütter im Berufsleben erfahren. Ich brachte Beispiele, erklärte Statistiken, Zusammenhänge, erzählte von den persönlichen Erfahrungen aus meinem Netzwerk. Mein Mann entgegnete, meine Situation sei doch nur eine Folge unserer gemeinsamen Entscheidungen. Dass seine Arbeitskolleginnen einfach weiter gearbeitet hätten. Dass sie heute ein gutes Einkommen haben. Und was ich eigentlich erwarten würde, von der Gesellschaft, vom Arbeitsmarkt. Ich war sprachlos. Wie meine Freundin vor drei Jahren erklärte er mir, die Entscheidung für Kinder rechtfertige massive berufliche Einbußen.

Das Trauerspiel der Phase 2

„Warst Du nicht all die Jahre dabei?" fragte ich ihn ziemlich bestürzt. „Standest Du nicht neben mir, hast all das miterlebt, weißt genau, wovon ich spreche?" „Was stellst Du Dir vor?" fragte er mich. „Hättest Du als 34-jährige Berufseinsteigerin erwartet, die gleichen Positionen, das gleiche Gehalt, die gleichen Möglichkeiten zu bekommen wie jemand, der keine Kinder erzogen hat?"

Nein, erwartet hatte ich das nicht. Aber wenn ich nur einen Augenblick länger darüber nachdenke, frage ich mich: Warum eigentlich? Ist eine Promotion mit Lehrtätigkeit keine Berufserfahrung? Soll ich es gerecht finden, dass mir wegen meiner Kinder vor allem 450.- Euro-Jobs angeboten wurden? Und was ist mit den anderen Frauen, die zum Beispiel nach kurzer Elternzeit in ihren Beruf zurückkehren, und andere Aufgaben bei geringerem Gehalt zugeteilt bekommen? Was ist mit den Müttern, die aus ihren Betrieben herausgemobbt werden? Was ist mit den Frauen, die keinen eigenen Kinderwunsch haben, und dennoch strukturelle Benachteiligung erfahren? Und was ist mit den Alleinerziehenden, deren Arbeitszeiten an die Betreuung der Kitas angepasst werden müssten, deren Arbeitgeber sich aber querstellt?

Ich habe vieles NICHT erwartet, was ich heute als Wirklichkeit wahrnehme. Heute allerdings erwarte ich etwas.

Alternativen

Vor ein paar Monaten schrieb Pia Ziefle etwas Lesenswertes zum Thema. Sie fragte sich, weshalb sich die Gesellschaft mit der Anerkennung von Erziehungsleistungen so schwer tut. Wieso Frauen, die berufliche Erfolge haben wollen, auf Kinderbetreuung, Netzwerk und Großeltern angewiesen sind. Damit es nahtlos weitergehen kann in der Karriereplanung, ohne störende Unterbrechungen wie Babypausen. Wieso wir die Eltern nicht einfach eine Weile Eltern sein lassen können. Eine gute Frage, finde ich.

Statt einfach Mutter zu sein habe ich in meiner eigentlichen Erziehungszeit geschrieben, Vorträge gehalten, Weiterbildungen besucht, ein Stipendium beantragt und erhalten, veröffentlicht, gelehrt und eine ganze Reihe weiterer Dinge gemacht. Gebloggt zum Beispiel. Daneben habe ich organisiert, gewickelt, Termine wahrgenommen, Tränen getrocknet, Pausenbrote geschmiert, die Nächte durchwacht, in Notaufnahmen gesessen. Nichts davon sieht die Gesellschaft als Leistung. Nichts davon führte zu angemessen bezahlten Arbeitsangeboten. Ist da der Gedanke, dass das alles ganz schön unfair ist, wirklich so eigenartig?

Meine Bekannte und ich arbeiten an unserem beruflichen Weg. Und wir sind beide mit unserer persönlichen Entwicklung heute glücklich. Ich denke, in einigen Jahren werden wir vielleicht da sein, wo wir beide hinwollen. Besonders viel Hilfe von der Gesellschaft, berufliche Möglichkeiten in der Wirtschaft oder freundliches Verständnis von jüngeren Freundinnen aber hatten wir beide dabei nicht. Als ich das konstatiere, füge ich lachend hinzu:

Hallo, Phase 3!

Bald sind wir in Phase 3. Dann wählen wir vielleicht Parteien, weil sie eine Frauenquote durchsetzen wollen. Engagieren uns in einem Unternehmen oder ehrenamtlich in Gleichstellungsfragen. Und nehmen uns unsere jüngeren Freundinnen zur Seite, auf ein Wort oder zwei. Wird es etwas bringen? Vermutlich nicht. Aber eine Alternative sehe ich auch nicht.

(Beitragsbild: „No Problems / Under Construction". Wäre das nicht schön? Dieser Beitrag kann als deutlich verspäteter Post zur Blogparade über Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesehen werden. Da wollte ich nämlich schon im letzten Jahr mitmachen.)
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