Eigentlich geht es ihnen so gut wie keiner Generation zuvor: Sie kennen weder Krieg noch Armut. Trotzdem haben viele junge Menschen mit psychischen Problemen zu kämpfen. Das moderne Arbeitsumfeld brennt die Generation Y aus.
„Arbeit war für mich das Wichtigste: Ich bin beim Praktikum länger geblieben und habe am Wochenende keine Pause gemacht. Ich wollte unter all den anderen herausstechen. Nach der Arbeit habe ich gelernt, mich online und mit Fachbüchern weitergebildet. Für alltägliche Erledigungen hatte ich keine Zeit. Nach meinem Umzug dauerte es knapp fünf Monate, bis ich es zum Meldeamt schaffte. Ich musste besser werden. Mehr wissen, mehr können. Nach ein paar Monaten konnte ich gar nicht mehr.“
Anna* ist heute 20 Jahre alt. Die Studentin hatte letztes Jahr ein Burn-out, oder wie ihr Arzt sagte: eine Erschöpfungsdepression. Eigentlich ging es ihr super: wundervolle Freunde, Wunschstudium und Praktikum bei ihrer Traumfirma. Es heißt immer, wenn man etwas macht, was man gerne macht, muss man nie arbeiten. Trotzdem wurde sie irgendwann müde. Sehr müde.
Die 20-Jährige passt gerade noch in die Generation Y. Sie hat erlebt, was junge Erwachsene mit den Geburtsjahren 1984 bis 1999 nur zu gut kennen. Es ist nicht immer ein totaler Zusammenbruch - von Schlafstörungen, depressiven Phasen und innerer Nervosität können viele Millennials ein Lied singen.
Lebenseinstellung: Workaholic
Die US-amerikanische Journalistin Anne Helen Petersen spricht als erste aus, was sich die Generation Y denkt. In ihrem Essay "How Millennials Became The Burnout Generation" erzählt sie von ihrem ständigen Drang zu arbeiten. Work-Life-Balance nimmt sie entgegen des Stereotyps nicht sonderlich ernst. Das ständige Überlappen von Arbeit und Freizeit brennt sie aus. Die Generation Workaholic leistet, lebt aber nicht.
Wie viele Millennials unter Stressyndromen leiden, ist schwer zu sagen. Seriöse Statistiken gibt es kaum. Der Neurologe Wolfang Lalouschek ist medizinischer Leiter des Gesundheitszentrums The Tree in Wien. kennt die Entwicklung aus der Praxis: „In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich viel verändert. Stressphänomene sind in der gesamten Gesellschaft gestiegen. In der jüngeren Generation kommen sie aber tendentiell öfter vor. Sie sind allgegenwärtig.“
Verlustangst
Während physische Erkrankungen bei Niedrigverdienern statistisch gesehen häufiger auftreten, betreffen Stressphänomene alle soziodemographischen Schichten im gleichen Ausmaß. Das hängt mit einer veränderten Grundstimmung zusammen, erklärt Lalouschek: „Das gesellschaftliche Narrativ hat sich geändert. Klimawandel und starke Einkommensunterschiede verunsichern. Die junge Generation lebt in der ständigen Angst, dass alles schlechter wird. “
Existenzängste beschränken sich nicht auf die unteren 10.000: Die Mittel- und Oberschicht fürchtet den Abstieg. Rational gesehen haben sie wenig Grund zur Sorge. Das soziale Netz gibt Sicherheit. Dennoch, ein psychologisches Phänomen schlägt ihnen ein Schnippchen: die sogenannte Verlustaversion.
Das Gehirn kann mit Verlusten nur schwer umgehen: Verliert jemand 100 Euro, ärgert es ihn mehr, als dass es es ihn freut, wenn er 100 Euro findet. Vergleichsweise kleine Verluste resultieren in überdimensionalen Ängsten. Allgemein geht es um die Veränderungen im unmittelbaren Umfeld. Viele Betroffene wissen, dass es ihnen eigentlich sehr gut geht. Das Emotionssystem reagiert aber nicht auf Fakten. Sondern mit Angst- und Stresszuständen.
Gerade in der Oberschicht bezeichnet Lalouschek Stressphänomene eher als Entwicklungskrise denn als Burn-out: „Etwas in solchen Menschen möchte sich entwickeln, kann es aber nicht. Die Oberschicht lebt in Fülle, wirklich bedeutende Dinge kommen aber zu kurz: Echte Beziehungen und sichtbare Erfolgserlebnisse bleiben aus.“ Geldverdienen und Networken bringe Millennials zwar auf der Karriereleiter nach oben, gäbe aber keine tiefliegende Erfüllung.
Digitale Glücksfresser
Millennials sind die erste Generation, die eine Arbeitswelt ohne Internet nicht kennt. Die ständige Erreichbarkeit sorgt für Stress. „Dieser Effekt betrifft die ganze arbeitende Bevölkerung, aber die jüngere Generation ist damit aufgewachsen und im Gesamtverhalten stärker davon betroffen“, erklärt Lalouschek. Auch in der Freizeit ist das Handy von jungen Erwachsenen selten ausgeschaltet. „Die Multitaskingbedingungen holen aus dem Unterbewusstsein vermehrt negative Gefühle hervor. Millennials machen oft viele Dinge zugleich, das Hirn hat keine Zeit für eine Pause. Dadurch wird das Leerlaufnetzwerk instabil und das Emotionssystem wird immer angespannter“, sagt der Neurologe.
Moderne Ersatzbefriedigungen mildern das Unwohlsein: Mit Netflix auf andere Gedanken kommen oder die neuesten Nikes als Belohung kaufen, lautet die Devise. Aber Lalouschek warnt: „Die Befriedigung durch Konsumgüter währt nur kurz: Das ist so, wie wenn ich versuche, meinen Hunger mit Marshmallows zu stillen.“ Der Glückskreislauf funktioniert anders: Natürliche Glückshormone werden erst ausgeschüttet, wenn man sich um ein Ziel bemüht, länger an einer Aufgabe arbeitet und dann das Ergebnis sieht.
Steigender Druck
Die freie Marktwirtschaft basiert auf Wettbewerb. Konkurrenzkampf hat es schon immer gegeben. In den letzten dreißig Jahren ist der Leistungsdruck aber stark gestiegen. „In den Unternehmen wird immer mehr verlangt: Durch Methoden wie agiles Management stehen die Ergebnisse und weniger die Menschen im Vordergrund“, warnt Lalouschek.
Auch wenn sich die äußeren Ansprüche wandeln, bleiben die inneren Bedürfnisse dieselben. Der Neurologe erklärt: „Wir sind letztendlich alle Kopien der Steinzeitmenschen. Die Grundbedürfnisse verändern sich nicht: Beziehung, Erfolg und Regeneration. Sie sind die Basis für psychische Gesundheit.“ Zwischen Leistungsdruck und Arbeitsmoral dürfen Ruhe und Geborgenheit nicht zu kurz kommen. Diese Lektion hat auch Anna mittlerweile gelernt.
*Name von der Redaktion geändert