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Dürre in Spanien: Mit aller Macht gegen das Verdursten

Normalerweise ist von der Kirche Sant Romà de Sau nur die Wetterfahne oder der Glockenturm zu sehen. © Davide Bonaldo/​SOPA Images/​LightRocket/​Getty Images

Zeit Online, 22. Mai 2023. Stauen, sparen, entsalzen: Spanien kämpft um jeden Tropfen Wasser. Doch die Rekorddürre wird nicht die letzte bleiben. Ist Europas Obst- und Gemüsekammer vorbereitet?


Das Symbol der spanischen Dürre thront auf einem Hügel aus Schutt, umgeben von rissiger Erde: Von der romanischen Kirche Sant Romà de Sau war jahrzehntelang nur Wetterfahne oder Glockenturm zu sehen, das Fundament ruhte auf dem Grund des Stausees Pantà de Sau. Jetzt steht die Kirche komplett frei und leicht erhöht. Der Stausee, der einst eine Fläche von 528 Hektar bedeckte, ist nur noch zu einem Zehntel gefüllt. Die Kirche und der geschrumpfte See: Dieses Bild hat in den letzten Monaten Dutzende Dürrereportagen illustriert.

Spanien hat den heißesten und trockensten Frühling seit Jahrzehnten hinter sich, mit Rekordtemperaturen von über 40 Grad. "Spanien gehört weltweit zu den Ländern, in denen der Temperaturanstieg am deutlichsten sichtbar ist", sagt Jorge Olcina, Geograf und Klimaforscher der Universität Alicante. Das ließe sich vor allem am Phänomen der tropischen Nächte festmachen: Während es in den Achtzigerjahren pro Jahr durchschnittlich 15 bis 20 Nächte mit Temperaturen von 20 und mehr Grad gab, waren es in den letzten Jahren 80 und mehr.

Vor allem aber ist es viel zu trocken. Die Rede ist von einer historischen Dürre. Regenfälle kommen unregelmäßiger und seltener. Und wenn es regnet, dann nur lokal begrenzt - und teils so heftig, dass es mehr schadet, als nützt. Die landesweiten Wasserbestände liegen mit knapp 40 Prozent ihrer Kapazitäten deutlich unter dem Vergleichswert der letzten zehn Jahre: 64,6 Prozent wären normal um diese Jahreszeit. Doch mit dem Klimawandel stellt sich die Frage, ob dieses "Normal" überhaupt noch gilt.


Eine historische Dürre

Besonders gravierend ist die Lage in Andalusien und Katalonien. Im Nordosten Spaniens gelten bereits seit März Wasserrestriktionen: Grünflächen dürfen nicht mehr bewässert werden, die Landwirtschaft muss mit 40 Prozent weniger auskommen. In einigen Gemeinden wird nachts der Hahn abgedreht, Schwimmbäder dürfen nicht mehr befüllt werden. Die Bauern haben den Großteil der Weizen- und Gerste-Ernte bereits abgeschrieben.

"Wir können uns nicht mehr wie früher darauf verlassen, dass es im Frühling und Herbst wieder regnet und die Stauseen dann wieder voll sind", sagt Olcina. Dabei sind die Stauseen das wichtigste Wasserreservoir Spaniens. Kein anderes Land weltweit hat mehr Talsperren auf gleicher Fläche: Über 350 sind es zwischen den Pyrenäen und Gibraltar. Viele von ihnen wurden während der Franco-Diktatur als technologische Großprojekte angelegt. Bis heute werden sie intensiv genutzt - für die Stromerzeugung, zur Bewässerung der Landwirtschaft und für den Tourismus. Doch nun sind viele von ihnen nahezu ausgetrocknet. 

"Wir brauchen eine andere Ressourcenverwaltung", sagt Olcina. Dabei geht es nicht so sehr um die Frage, ob zuerst der Hotel-Pool befüllt oder das Erdbeerbeet bewässert wird, sondern um eine verstärkte Nutzung anderer Wasserquellen: Wasser aus Entsalzungsanlagen und aufbereitetes Wasser. Viele der kleineren, in den Siebziger- und Achtzigerjahren gebauten Entsalzungsanlagen sind veraltet. Und bisher werden nur zehn Prozent des recycelten Wassers ins Trinkwassernetz eingespeist oder zur Bewässerung eingesetzt.


So viel entsalzen und reyclen wie geht

Mehr als 4.000 Kubikhektometer, so viel wie Spaniens größter Stausee in La Serena in der Provinz Badajoz fassen kann, verlassen jährlich die Kläranlagen. Ein gigantisches Reservoir, das auch Spaniens Linkskoalition stärker nutzen will. Als die Regierung am 11. Mai ihr 2,19 Milliarden schweres Hilfspaket für die Folgen der Dürre vorstellte, kündigte Umweltministerin Teresa Ribera an, den Recycling-Anteil im Nutzwasser bis 2027 zu verdoppeln. Olcina wäre eine gesetzliche Verpflichtung zu einer hundertprozentigen Nutzung lieber. Außerdem sollen 400 Millionen Euro für den Bau von drei neuen Entsalzungsanlagen zur Verfügung gestellt werden, in Málaga, Almería und Tordera.

Bereits jetzt werden diese alternativen Wasserressourcen genutzt. In der Millionenmetropole Barcelona überstieg der Anteil von Entsalzungs- und Recyclingwasser im Trinkwasser in diesem Jahr erstmals den aus den Stauseen. Die Desalinizadora del Prat, auf halbem Weg zwischen Flughafen und Industriegebiet, läuft bereits seit August letzten Jahres auf Hochtouren, so lange wie noch nie. Bei Einweihung 2009 galt die Entsalzungsanlage als eine der modernsten , noch heute ist sie die größte, die ausschließlich Trinkwasser produziert.

Seit die Dürre die Nachrichten beherrscht, führt Direktor Carlos Miguel regelmäßig Besuchergruppen durch die riesigen Hallen, erklärt, wie bei der Umkehrosmose gefiltertes Meerwasser mit Hochdruck durch Membrane gepresst wird, die dabei entstehende Sole energiegeladen bleibt und beim Transport des Wassers hilft. Das senkt die Energiekosten. Teuer bleibt das Verfahren trotzdem: Etwa 70 Cent kostet die Aufbereitung eines Kubikmeters Wasser, 14-mal mehr als bei Süßwasser aus Flüssen und Stauseen. "Entsalzungsanlagen sind keine Patentlösung für die Dürre, sondern nur ein Baustein unter vielen", so Miguel. Sie schaffen in erster Linie dort Abhilfe, wo die meisten Menschen leben, in den Städten an der Küste. Gegen den Wassermangel auf dem Land helfen sie nicht.

Das spanische Hochplateau und das Landesinnere werden seit Jahrzehnten intensiv für die Landwirtschaft genutzt. Das Wasser aus den Stauseen hat dort eine Bewässerung im großen Stil ermöglicht, 4,5 Millionen Hektar Land werden bewässert: Olivenhaine in Jaén, Weinreben in der Rioja, Getreidefelder in der Mancha. Für den Geologen Jorge Olcina ist die spanische Landwirtschaft das Hauptproblem beim Umgang mit dem Wasser. Sie verbraucht zwischen 70 und 80 Prozent der immer knapper werdenden Ressource. 

Fragt man Bauern, wie viel sie davon im Schnitt verbrauchen, zucken die oft mit den Schultern: Es pladdert eben aus dem Hydranten am Feldrand, kommt über Kanäle vom nahen Stausee, vom Fluss oder aus einem unterirdischen Wasserreservoir, oft illegal angezapft. "Beim Anbau im Gewächshaus kann der Wasserverbrauch genau kalibriert werden", sagt Olcina. "Aber auf dem überwiegenden Teil der Agrarflächen weiß niemand genau, wie viel Liter fließen." 

Eine grobe Orientierung gibt bisher lediglich der Wasserbedarf der wechselnden Anbauarten. Kataloniens Bauern etwa pflanzen in diesem Jahr statt durstigem Mais genügsame Sonnenblumen an. Das spart Wasser, kurzfristig. Aber ohne eine entsprechende Infrastruktur, ohne Zähler, die messen, wie viel Wasser aus der Leitung kommt und ohne strenge Kontrollen der Verwaltung, ist das keine nachhaltige Lösung für die Wasserknappheit, auf die sich Spanien durch den Klimawandel auch langfristig einstellen muss. "Während der Tourismus sich schon seit Langem um einen verantwortungsvolleren Umgang mit der Ressource Wasser bemüht und der Wasserverbrauch in Städten sinkt, bleibt die Landwirtschaft das Problemkind", so Olcina.

2,1 Milliarden Euro, teils aus Europa, teils aus der Staatskasse, will Spanien bis 2027 zur Modernisierung seines Bewässerungssystems ausgeben. Schon einmal hat das Land versucht, den Wasserverbrauch der Landwirtschaft zu reduzieren. In den Neunzigern wurde nach israelischem Vorbild die Tröpfchenbewässerung eingeführt. Zunächst wurden 30 Prozent Wasser eingespart, kurz darauf schnellten die Zahlen wieder in die Höhe: Landwirte und Agrarbetriebe verdoppelten ihre Flächen, um mit dem gleichen Wasser mehr zu erwirtschaften oder ernteten zweimal im Jahr. Allein in Huelva hat sich die Anbaufläche für Erdbeeren in den letzten 40 Jahren versechsfacht. 


"Zurzeit geht es nur um Notfalllösungen"


Der Geologe Antonio Aretxabala von der Universität Navarra spricht von einem "Effizienz-Paradoxon". Er kämpft schon seit Langem für ein grundsätzliches Umdenken. "Wir müssen den naiven Glauben an ein 'immer weiter, immer mehr' endlich hinter uns lassen", sagt er. 80 Prozent der spanischen Landwirtschaft gehen in den Export, direkt als Erdbeeren für deutsche Supermärkte, indirekt als Futter für Schweine, deren Schinken nach China verschifft wird. "Es macht keinen Sinn, dass das trockenste Land Europas sein Wasser in alle Welt verschickt."

Doch der Agrarsektor ist einer der Stützpfeiler der Wirtschaft des Landes, 2,8 Millionen Menschen verdienen ihr Geld auf Äckern und in Ställen. Die Beharrungskräfte sind groß. Die Branche selbst würde lieber auf biotechnologische Lösungen setzen. Im März haben spanische Wissenschaftler ein Verfahren patentieren lassen, das über Hormonzugabe die Dürreresistenz von Pflanzen erhöht und sie zwei Wochen Trockenheit überstehen lässt.

Solche Methoden mindern zwar die unmittelbaren Folgen. Am eigentlichen Problem selbst ändern sie nichts, sagt Olcina: "Zurzeit geht es nur um Notfalllösungen für die nächsten Monate. Aber was wir brauchen, ist, neben der Nutzung alternativer Ressourcen, ein neuer Rahmen mit strengeren Kontrollen in allen Bereichen." Wann eine solche Strukturreform in die Wege geleitet werden soll? Sobald die aktuelle Notlage überstanden sei. Wenn es wieder regnet.


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