Ana Garrido Ramos sitzt in einer Cafeteria in Madrids Innenstadt. Vor sich eine Tasse Kaffee, entkoffeiniert, und die Tageszeitung. Sie blättert zu den Berichten über den Prozessauftakt in Sachen Gürtel-Affäre. Für eine Frau, die fast alles verloren hat, wirkt sie sehr zufrieden.
Knapp
zehn Jahre ihres Lebens hat sie die Gürtel-Affäre gekostet, sagt
Ana Garrido. Sie ist Anfang 50, hat lange dunkelblonde Haare und
legt großen Wert auf eine gepflegte Erscheinung und korrekte
Umgangsformen, im Alltag ebenso wie bei der Arbeit, im Gespräch ebenso wie im Umgang mit Akten.
Gut 15 Jahre arbeitete Ana Garrido als Verwaltungsangestellte im Rathaus von Boadilla del Monte, einem reichen Vorort von Madrid. Die studierte Grundschullehrerin organisierte Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Sie mochte ihren Job. Bis sie immer häufiger Anweisungen bekam, die sie stutzig machten.
Manchmal haben sie ganz subtil gesagt: „Sei nett zu dieser Akte“, manchmal ganz direkt „Mach, dass diese Firma den Vertrag bekommt.“ Und das passierte in meiner Abteilung, der Jugendabteilung, wo die Summen lange nicht so groß waren wie etwa bei der Stadtplanung. Ich habe das nicht gemacht. Irgendwann habe ich dem Bürgermeister gesagt: Ich glaube, ich bin nicht die richtige Person für diese Verträge.Er sagte: Ja, das glaube ich auch.
2007 beschwerte sich Ana Garrido bei der Madrider Zentrale der konservativen Volkspartei, eine Antwort bekam sie nie. Statt dessen begann man die Querulantin im Rathaus zu schneiden, Gerüchte über Affären kursierten. Ana Garrido wurde krank geschrieben, wegen einer Depression. In der Zeit trug sie mit Hilfe einiger Kollegen Daten über Vermögen und Geschäfte des Bürgermeisters zusammen und erstellte ein 300-Seiten-Dossier. Ein Gespräch mit einem Journalisten öffnete ihr dann die Augen: Was Ana Garrido für eine lokale Affäre gehalten hatte, war Mosaikstein eines landesweiten Korruptionsnetzwerks.
Ana Garrido ging zum Staatsanwalt. Ihrem ehemaligen Arbeitgeber, der in den Ermittlungsakten unter seinem Spitznamen „das Fleischklöpschen“ auftaucht, drohen wegen Geldwäsche und Korruption 40 Jahre Haft; dem Unternehmer Francisco Correa, Drahtzieher des Netzwerkes, 125 Jahre.
Aus der Verwaltungsangestellten ist inzwischen eine Aktivistin geworden. Sie tritt auf Podiumsdiskussionen zum Thema Korruption auf, hat eine Plattform gegründet, die für gesetzlichen Kündigungs- und Rechtschutz für Whistleblower kämpft. Denn ihren Mut hat sie teuer bezahlt. Sie verlor nicht nur ihren Job, sondern hatte auch mit Verleumdungsklagen zu kämpfen. Die Prozesskosten fraßen die gesamten Ersparnisse auf, sie verkaufte ihre Möbel, vermietete ihr Haus und verdient ihr Geld inzwischen mit dem Online-Verkauf selbst gemachten Schmucks. Nach jedem Auftritt wirbt sie dafür.
… sagt die Aktivistin und nestelt an der großen silbernen Blume, die an einem Lederbändchen vor ihrer Brust baumelt.
Wenn sie die Zeit zurück drehen könnte, würde sie sich wieder genauso verhalten – trotz der vielen in die Brüche gegangenen Freundschaften, trotz der Todesdrohungen, die man ihr immer mal wieder auf Facebook und Twitter postet. Doch die Erfahrungen haben sie auch vorsichtiger und müde gemacht. Demnächst zieht die Whistleblowerin mit ihren beiden Hunden nach Mallorca.
Bei der Wahl des künftigen Wohnortes hat sie auch darauf geachtet, das er nicht von der konservativen Volkspartei regiert wird.
Foto: privat, Ana Garrido