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Was Europas Linke von Podemos lernen können

CICERO 23.6.2016 Am Sonntag wählen die Spanier ein neues Parlament. Die linksalternative Podemos könnte dabei die Sozialisten PSOE überholen – und zweitstärkste Kraft werden. Ihr Politikstil könnte für viele linke Parteien ein Vorbild sein

Podemos ist die neue Hoffnung für Europas Linke. Die Partei um Pablo Iglesias erreicht laut jüngsten Umfragen 24,7 Prozent der Stimmen. Damit wäre sie bei den Spanienwahlen am Sonntag zweitstärkste Kraft hinter Mariano Rajoys konservativer Volkspartei und hätte einen entscheidenden Einfluss auf die Zukunft des Landes. Es wäre ein sensationeller Erfolg für eine gerade mal zwei Jahre alte Partei.

Auch wenn das konservative spanische Medien düster beschwören: Podemos ist kein Haufen linkspopulistischer Bauernfänger mit ominöser Venezuela-Connection. Im Gegenteil, die Partei hat sich von einer diffusen alternativen Bewegung hin zu einer ernst zu nehmenden Alternative gewandelt. Ihr ist gelungen, woran linke Parteien andernorts scheiterten – neue politische Bewegungen einzubinden und sich zugleich auf traditionelle sozialdemokratische Werte zu besinnen.


Podemos hat sich in den Rathäusern bewährt

Ersteres gelang ihr nicht wegen, sondern trotz Pablo Iglesias. Der bezopfte Madrider Politikprofessor mit dem glänzenden rhetorischen Talent hat die junge Partei durch Dutzende Talkshow-Auftritte in die Aufmerksamkeitszone katapultiert. Durch sein exorbitantes Ego und sein machtbewusstes Manövrieren hat er es sich aber auch mit vielen Sympathisanten aus der Anfangszeit verscherzt. 

Den Überraschungserfolg bei den Dezemberwahlen verdankt Podemos zu einem wesentlichen Teil den confluencias: Podemos-nahen Regional- und Kommunalbündnissen. Sie sind nicht in Podemos aufgegangen, sondern haben sich als En Comú, En Marea, Compromís ihre Eigenständigkeit bewahrt. Diese Vielstimmigkeit ist sinnvoll in einem vielsprachigen und von regionalen Befindlichkeiten geprägten Land.

Und: Es weist programmatisch über die spanische Realität hinaus. Podemos hat über die confluencias bereits im ersten Anlauf einen bunten Haufen Sozialaktivisten ins Parlament gespült – und wird es bei den Neuwahlen wieder tun: Krankenschwestern, die Korruptionsskandale im Gesundheitswesen aufdeckten, Wohnraumaktivisten, die Zwangsräumungen gestoppt haben – engagierte Menschen mit konkreten Lösungen für die Probleme im Alltag. Sie kommen von der Basis, haben aber in den vergangenen Monaten  Verwaltungserfahrung sammeln können, in den Rathäusern der großen spanischen Städte.

Kommunale Revolution

In Barcelona etwa regiert seit Juni 2015 die ehemalige Hausbesetzerin und Sprecherin der einflussreichen „Plattform der Hypothekengeschädigten“, Ada Colau. In A Coruna betreibt Bürgermeister Xulio Ferreiro gemeinsam mit einem dichten Netz aus Nachbarschaftsorganisationen Stadtplanung. In der Hauptstadt Madrid macht das die Richterin und ehemalige Franco-Kritikerin Manuela Carmena.

Die „Rathäuser des Wandels“ waren in den vergangenen Monaten Versuchslabore für neue politische Rezepte. Was dort – teils mit mehr, teils mit weniger Erfolg – getestet wurde, findet jetzt Eingang in die große Politik. Andernorts wären diese Vorschläge in Parteiapparaten versandet, in Spanien setzen die Kommunen Akzente: bei der Flüchtlingsaufnahme, in der Wohnungspolitik und bei mehr Transparenz für demokratische Entscheidungen.

Eine „kommunale Revolution“, wie die Macher gerne behaupten? Das wird sich erweisen müssen. Ein großer Schritt in Richtung Glaubwürdigkeit linker Politik ist das hingegen ganz sicher. Für die Flüchtlingsprogramme der Städte Barcelona und Madrid fand selbst der UN-Sekretär Ban Ki-Moon lobende Worte.


Spanisches „Yes we can“

Als Modell für Europas Linke taugt Podemos aber nicht nur, weil es diese vielschichtigen Bewegungen gekonnt eingebunden hat, sondern auch wegen seiner Rückbesinnung auf klassisch sozialdemokratische Rezepte. Und das, obwohl Podemos als „Unidos Podemos“ Seit‘ an Seit‘ mit Izquierda Unida zu den Neuwahlen schreitet. Die Koalition mit dem Sammelbecken für Alt-Kommunisten und Neo-Marxisten ist allerdings in erster Linie ein Manöver, um den Tücken des spanischen Wahlgesetzes ein Schnippchen zu schlagen. Inhaltlich hat es kaum Einfluss. Auf den Wahlkampfveranstaltungen singt keiner die Internationale, stattdessen skandiert die Menge weiter „Si se puede“: „Yes we can“. Podemos gibt sich weiter kritisch gegenüber der Austeritätspolitik, ist aber von der EU-Total-Kritik und den Hasstiraden auf Angela Merkel und Co. weit abgerückt. Die Partei will keinen Austritt aus der Euro-Zone, keine Schulden-Revolte.

Natürlich müsse man das Haushaltsdefizit reduzieren, aber eben nicht im Galopp, sondern so, dass zugleich noch Sozialmaßnahmen und eine vernünftige Arbeitsmarktpolitik zu bewältigen seien. Das ist bei Lichte besehen eine Politik, die die EU in ihren Grundfesten weniger erschüttert als ein möglicher Brexit. Italien und Portugal fordern das Gleiche.

Dabei bleibt Podemos trotz des gemäßigten Tons seinen Grundsätzen treu. Pablo Iglesias  fordert weiter die Revision der umstrittenen Reform des Verfassungsartikels 135, der der Bedienung der Schulden Priorität einräumt. Anders sind die Herausforderungen in einem Land mit 22,7 Prozent Arbeitslosigkeit auch nicht zu bewältigen. Die Stabilitätspakte sind für spanische Verhältnisse wenig sinnvoll. Die Arbeitsmarktreformen der vorherigen Regierung haben zwar die Statistiken geschönt, an den prekären Arbeitsbedingungen aber haben sie wenig geändert. Jungakademiker kämpfen weiter in 750-Euro-Jobs oder schicken ihre Bewerbungsunterlagen gleich nach Deutschland.


Sparpolitik ist gescheitert

Das Wirtschaftswachstum ist bei den wenigsten angekommen. „Austerität“, Schuldentilgung um jeden Preis, das ist kein Naturgesetz, sondern eine politische Option. In Spanien hat sie in den letzten Jahren nicht funktioniert. Also ist es legitim, nach anderen Wegen zu suchen.

Darauf bezieht sich Pablo Iglesias, wenn er sich mit der ihm eigenen Chuzpe als legitimer Erbe der klassischen Sozialdemokratie präsentiert. Seine Partei ist drauf und dran, in Spanien den Platz zu besetzen, den die sozialdemokratische PSOE geräumt hat: in der breiten gesellschaftlichen Mitte, die links fühlt, die radikalen Lösungen aber eher abgeneigt ist.

Trotz des jungen telegenen Pedro Sánchez sehen dieser Tage die „alten Sozialdemokraten“ sehr grau aus. Sie haben aber auch noch eine Chance. Gemeinsam mit Podemos könnten sie die Fehler der Vergangenheit ausbügeln, darunter die mitverantworteten Arbeitsmarktreformen und die verfassungsrechtlich verankerte Austeritätsklausel. Dadurch könnten sie wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. Es ist ihre einzige Chance. Alle anderen Optionen – eine große Koalition oder eine von der PSOE tolerierte konservativ-liberale Regierung – bedeuten ihr politisches Ende.