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Das Zwei-Parteien-System hat ausgedient

CICERO 21.12.2015 Eines ist nach den schon im Vorhinein als "historisch" eingestuften Wahlen in Spanien klar: Das alte Zwei-Parteien-System hat ausgedient. Und eine Regierung zu bilden, wird schwer. Ich habe für CICERO aufgeschrieben, warum das eine Chance für das Land sein kann.


Das spanische Wahlergebnis scheint einem uralten Vorurteil aus dem 19. Jahrhundert Recht zu geben: Dieses Land ist unregierbar. Hinter den Pyrenäen haust ein Haufen Individualisten, unfähig, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen – es sei denn, um sich in einer tertulia, einer laut- und thesenstarken Debattenrunde, ihre jeweiligen politischen Ideologien an den Kopf zu werfen. Anarchisten eben, irgendwie sympathisch, aber politisch nicht für voll zu nehmen und hoffnungslos zerstritten.

Tatsächlich wird das vorläufige amtliche Endergebnis den Parteistrategen noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Weder der konservative Block aus Mariano Rajoys Regierungspartei PP (123 Sitze) und den liberalen Newcomern Ciudadanos (40 Sitze) noch der linke Block aus der PSOE von Pedro Sánchez (90 Sitze) und der Protestpartei Podemos (69 Sitze) kommen auf eine absolute Mehrheit von 176 Sitzen. Der konservative Partido Popular hat zusammen mit Ciudadanos zwar am meisten Sitze im Parlament. Nach Stimmen gezählt versammelt die Linke aber mehr Stimmen auf sich: 11 Millionen gegen 10,1 Millionen. Dazu tummeln sich fünf regionale Parteien und die linke Izquierda Unida im Parlament, unter denen Rajoy mehr Feinde als Freunde hat. Wie soll man da, bitte schön, einen Ministerpräsidenten wählen?


Die Parteichefs waren noch nicht vor die Fernsehkameras getreten, da sprachen die ersten Analysten schon von Neuwahlen im Frühjahr. Tatsächlich wird die Weihnachtspause für Spaniens Politiker kurz – am 14. Januar soll das Parlament zum ersten Mal zusammentreten –, aber das Ergebnis dieser historischen Wahlen lässt sich auch weniger fatalistisch interpretieren: Im Congreso zeigt sich Spanien so plural wie seine Gesellschaft inzwischen ist. Das ist nichts Schlechtes. Im Gegenteil.

Seit der Demokratisierung nach Francos Tod war Spaniens Parteiensystem überwiegend eines: stabil. Während der Transition galten Eintracht und Mäßigung als politische Tugenden. Man malte das Gespenst des Bürgerkrieges an die Wand und verschrieb sich ganz einer Kultur des Paktes. Das war historisch berechtigt, führte aber auch dazu, dass Politik immer mehr zur Sache der Eliten wurde – und der großen Parteien, die sich brav an der Regierung abwechselten und dabei immer mehr in die eigene Tasche wirtschafteten.

Korruption ist nicht erst ein Problem der letzten Jahre. So lange die Wirtschaft florierte, schien das keinen groß zu stören. Die Krise setzte dem ein Ende. Im Mai 2011 eroberte die Empörtenbewegung die Plätze der spanischen Großstädte. In ihrem Umfeld entstand die linke Protestpartei Podemos  – und in deren Fahrwasser konnte auch Ciudadanos reüssieren, die sich ebenfalls Erneuerung auf die Fahne schrieben. Dass beide, vor allem von jungen Wählern favorisierte Kräfte jetzt die dritt- bzw. vierstärkste Fraktion im Parlament bilden, ist vor allem Ausdruck einer Repolitisierung der spanischen Gesellschaft – und nicht ihrer Zerrissenheit.

Mit dem Wahlergebnis hält auch der Unmut über die Korruption Einzug ins Parlament. Sowohl Podemos wie auch Ciudadanos haben ein Bündel an Anti-Korruptionsmaßnahmen im Programm. Ciudadanos, als liberale Newcomer der Regierungspartei eigentlich ideologisch nah, will den unter Korruptionsverdacht stehenden Ministerpräsidenten Rajoy nicht zum Präsidenten machen, seiner Partei allenfalls durch Enthaltung zur Regierung helfen – sollte es überhaupt dazu kommen. Dass PSOE und PP in einer großen Koalition das Zwei-Parteien-System wiederbeleben, gilt angesichts des polarisierten Wahlkampfes und nach dem direkten Schlagabtausch der Vertreter des „alten Regime“ erstmal als ausgeschlossen. Einfach weiterlaufen wie bisher werden die Dinge nicht. Das ist sicher.

Und: Das Wahlergebnis birgt noch eine weitere Chance, auch wenn die in den Augen mancher als Schreckgespenst daherkommt: Die Separatisten ziehen ins Parlament ein – und könnten zum Zünglein an der Waage werden. Die katalanischen Linksrepublikaner schicken neun, Democràcia i Llibertat, die umgetaufte Partei des katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas, schickt acht Abgeordnete nach Madrid; die baskischen Nationalisten sechs, die separatistische Bildu zwei Vertreter. Ausgerechnet sie könnten zum Schlüssel für ein linkes Parteienbündnis in Spanien werden – unter der Federführung von Pablo Iglesias.

Auf den Politikdozenten mit dem Pferdeschwanz setzen nicht nur Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien und dem Baskenland, wo fast jeder vierte Podemos wählte, große Hoffnungen. Die Partei führte als einzige der großen Formationen ein Referendum im Programm. „Spanien ist ein plurinationales Land“, sagte ein sehr aufgeräumter Pablo Iglesias, als er um kurz nach elf vor seine jubelnden Anhänger trat. „und wir sind die einzige staatliche Formation, die einen territorialen Wandel anführen kann“. Das sind neue Töne, die Schwung in eine alte Debatte bringen könnte: die um das schwierige Kräfteverhältnis zwischen Zentralstaat und den Regionen.



Die drei Jahre nach Francos Tod verabschiedete Verfassung beschreibt das viersprachige und vielschichtige Spanien als „Nation der Nationalitäten“ und versteckt unter dieser Formel den Konflikt mehr, als dass sie Lösungen für ihn birgt. Das Erstarken der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist ein beredtes Beispiel hierfür. Bisher traute sich keine gesamtspanische Partei, am territorialen Status Quo zu rütteln, im Gegenteil: Das Bekenntnis zur „unverbrüchlichen Einheit Spaniens“ gehörte bislang zu den unumstößlichen Dogmen der gesamtspanischen Politik – auch wenn man den Eindruck nicht los wurde, dass das Thema zwar in Talkshows die Gemüter erhitzte, am Tresen der spanischen Frühstücksbars aber kaum interessierte.

Zur Herausforderung wird das vor allem für die PSOE, die im Wahlkampf ein Referendum kategorisch ausschloss – eine Verfassungsreform aber befürwortet. Ausgerechnet in einem Referendum liegt nun die Chance für Regierungsbildung: Das ist die eigentliche Ironie von Spaniens komplizierter Wahlarithmetik.

Die Debatte darüber könnte zum Gradmesser für Spaniens Umbruch werden. An ihr wird sich zeigen, ob der gesellschaftliche Wandel tatsächlich die Sphären der Politik erreicht hat, jenseits der neuen Kräfte. Oder ob am Ende jene Recht behalten, die Spanien schon jetzt an sich selbst scheitern sehen. Wieder einmal.