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Toxische Männlichkeit bei Incels und Wege aus dem Hass

Incels, das sind meist Männer, die keinen Sex mit Frauen haben und daran verzweifeln. Eine Selbsthilfegruppe will Aussteigern Wege aus Einsamkeit und Hass aufzeigen.


Sie wünschen sich eine romantische Beziehung und Sex, wollen akzeptiert und geliebt werden, doch alles, was sie erleben, empfinden sie als Abweisung und Demütigung. Incels sind meist junge Männer, die unfreiwillig zölibatär leben. Im Netz schreiben sie über ihre Wut und Einsamkeit, stacheln sich gar zum Selbstmord und zu Terroranschlägen an.

Es ist eine toxische Mischung aus Selbsthass und Hass auf Frauen, die sich seit einigen Jahren in Online-Foren zusammenbraut. In einem der größten sind fast 13.000 Mitglieder registriert, alles ist öffentlich einsehbar. Einer schreibt: "Meine sexuelle Frustration ... bringt mich um." Ein anderer: "Bitte Gott, bring mich um." Ein User empfiehlt ihm daraufhin, sich zu erhängen.

Attentäter gilt vielen als Vorbild

Das Forum ist eine dunkle Ecke des Netzes. Immer wieder steht dort die Empfehlung: "Go ER" - "Mach es, wie ER." Das Kürzel ist ein Verweis auf Elliot Rodger, einen Attentäter, der 2014 in Kalifornien sechs Menschen umbrachte, bevor er sich selbst tötete. Er hatte sich zuvor als Incel beschrieben und gilt deshalb vielen als Vorbild. Im Forum gibt es Profile mit seinem Foto.

Auf Außenstehende kann die Sprache der Incels verwirrend wirken. Frauen werden nur "Femoids" oder "Foids" genannt, kurz für "female humanoid", also weiblicher Roboter. Frauen werden damit entmenschlicht und als fremde, oft bösartige Wesen dargestellt.

[Incels und der Hass auf Frauen - das hat auch diese Funk-Doku beleuchtet.]

Hilfsangebote für radikalisierte Incels gibt es bislang wenige. Eine Online-Selbsthilfegruppe, in der auch Ex-Incels sind, will das ändern. Rund 200 Mitglieder sind dort registriert, der Forumsname soll hier nicht auftauchen, um die Mitglieder zu schützen. Journalist*innen dürfen nicht rein, doch ZDFheute konnte mit einem der Moderatoren sprechen.

Der 23-jährige Jura-Student Björn Anderson* lebt in Schweden. Obwohl er keine psychotherapeutische Ausbildung hat, ist er mit Fragen von Leben und Tod beschäftigt. Im Forum berichten ihm Menschen von versuchten Suiziden. Er selbst habe ein "Tief" durchlebt, wie er das nennt, und eine Therapie gemacht. "Das hat mir geholfen und das rate ich auch immer anderen." Es ist das erste Mal, dass Anderson mit einer Journalistin über seine Tätigkeit spricht.

Moderatoren sind nicht geschult

Hass und Hetze sind in dem Forum verboten. Er wolle eine positive Umgebung schaffen, in der sich Menschen austauschen können, so Anderson. Über Probleme sprechen geht in Ordnung, wer aber hetzt, den kann Anderson verwarnen und auch sperren.

Neben ihm gibt es rund fünfzehn weitere Moderator*innen, darunter auch Deutsche. Im analogen Leben hat Anderson noch keinen der anderen getroffen, doch online steht er beinahe täglich mit ihnen in Kontakt.

Anders als professionelle Angebote wie die Telefon-Seelsorge oder gar Aussteiger-Programme für Extremisten sind die Foren-Moderator*innen nicht psychologisch ausgebildet, möglicherweise selbst labil und aus der Incel-Szene. Kann das gefährlich sein?

Doch der Psychiater warnt: "Es kann schnell in eine Negativspirale reingehen, wenn dort Suizid-Kommunikation stattfindet."

Die Regeln im Forum verbieten das. Anderson betont: "Viele sind so einsam, dass wir oft die Ersten sind, mit denen sie sprechen. In Ländern mit schlechterem Gesundheitssystem als Schweden oder Deutschland ist es auch nicht so einfach, an einen Therapie-Platz zu kommen."

Frauenfeindlichkeit als Einstiegsdroge

Wie gefährlich Incels für sich selbst und für andere sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Frauenfeindlichkeit, so eine Expertin der Menschenrechts-Organisation Southern Poverty Law Center, sei für Extremisten aber eine Einstiegsdroge. Der Attentäter von Hanau schrieb in seinem Manifest, dass er noch nie eine Frau oder Freundin gehabt habe.

"Einsamkeit ist besonders bei jungen Menschen ein riesiges Problem", sagt Psychiater Musil. Die Aussteiger-Gruppe um den Schweden Anderson arbeitet dagegen an - mit ihren eigenen Mitteln.

*Name von der Redaktion geändert


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