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Doxxing und Feindeslisten: Plötzlich im Visier

Ob Aktivisten, Politiker oder Unbeteiligte - viele landeten in den vergangenen Jahren auf Namenslisten von Rechtsextremen im Internet. Warum eine Löschung schwierig ist.


Der Berliner Künstler und Aktivist Jean Peters erfuhr von Freunden, dass sein Name auf einer von Rechtsextremen verbreiteten Liste stand. Peters war weniger erschreckt - schon früher war er von Rechtsradikalen im Netz bedroht worden - als vielmehr verwundert: Warum hatte ihn die Berliner Polizei nicht darüber informiert?


Peters Name tauchte im Januar auf einer Liste auf, die mit " Wir kriegen euch alle" überschrieben war. Darauf standen etwa 200 Namen und Adressen von Politikern, Aktivisten und Journalisten. Peters erstattete bei der Polizei Anzeige - und ärgerte sich über deren Reaktion. "Sie haben mir geraten, nicht mehr so viel zu posten", sagt Peters. Für ihn zeigt das die Hilflosigkeit der Beamten im Umgang mit Bedrohungen im Internet.


Feindeslisten

Feindeslisten tauchen immer wieder im Internet auf. Rechts- wie linksextreme sowie islamistische Kreise führen seit Jahren Listen des politischen Gegners - sie outen ihn damit. Wie gefährlich solche Dateien sind, lässt sich nicht pauschal sagen. Doch Listen mit Namen tauchten sowohl bei den Rechtsterroristen des sogenannten NSU wie auch bei der Prepper-Gruppe "Nordkreuz" auf, in der sich Bundeswehrsoldaten und Polizisten auf einen "Tag X" und einen Systemwechsel vorbereiteten. Auch beim Tatverdächtigen Stephan E. im Mordfall Walter Lübcke wurde eine Personenliste gefunden.


"Vergewaltigung angedroht"


Eine ähnliche Erfahrung wie Peters hat Sibel Schick gemacht. Schick schreibt feministische Texte und wurde schon mehrfach das Opfer von Doxxing. Dabei werden private Informationen von Personen illegal erbeutet, veröffentlicht und häufig auch missbraucht, um das Opfer einzuschüchtern. Ziel von Doxxing ist es, Menschen online bloßzustellen und sie einzuschüchtern.


Schick erhielt Essensbestellungen und Broschüren von Treppenlift-Herstellern an ihre Adresse, die sie nie geordert hatte. Auch ein Zettel landete in ihrem Briefkasten. "Auf dem Foto wird mir eine Vergewaltigung angedroht", sagt Schick. Sie ging zur Polizei. "Der Beamte war zwar freundlich und hat sich Zeit genommen. Aber er hat nicht verstanden, warum mich Fremde aus dem Internet bedrohen könnten. Für ihn lag es näher, dass es jemand sein müsse, der mich persönlich kennt."


Durch Zufall ins Visier gelangt


Von den Feindeslisten bis zu Doxxing: Wie schwierig es für die Polizei manchmal ist, der Internetkriminalität Herr zu werden, zeigt auch die so genannte "25.000 Liste". Die Datei kursiert seit Jahren in rechten Kreisen. Sie wird dort als Mitgliedsliste der Antifa angepriesen und enthält die Namen, Adressen und Handynummern von fast 25.000 Personen. Tatsächlich stehen in dem Dokument wohl lediglich Menschen, die einmal bei "Impact Mailorder", einem Onlineversand für Punks, bestellt haben. 2015 wurde deren Kundendatenbank erbeutet. Wer etwas bestellt hatte, landete auf der Liste. Der Fall zeigt: Auch Unbeteiligte können durch Zufall ins Visier von politisch extremen Gruppen geraten. Das Dokument ist noch immer auffindbar.


Das Bundeskriminalamt verweist auf Anfrage auf seinen regulären Ablauf bei solchen Fällen: Man habe eine Gefährdungseinschätzung der Liste vorgenommen und an die Landespolizei weitergeleitet. In den Bundesländern bewertete man nochmals die Gefahr für Betroffene. Informiert werde aber nur, für wen eine konkrete Gefährdung bestehe.


Unterschiedliche Informationspraxis


Ganz so einheitlich geht man in den Bundesländern aber nicht vor. Zwar kontaktiert die Polizei Menschen, die sie als gefährdet einstuft. Doch ansonsten informieren die Landesbehörden sehr unterschiedlich. Die Polizei in Hessen hat alle Personen per Brief oder im persönlichen Gespräch kontaktiert. In vielen anderen Bundesländern wurden die Menschen nicht oder nur in einzelnen Fällen darauf hingewiesen, dass sie auf solchen Listen auftauchen. Eine Übersicht hat das MDR-Magazin "Fakt" recherchiert.


Solche illegal erbeuteten Daten aus dem Netz zu tilgen, ist so gut wie unmöglich. Sie werden heruntergeladen und immer wieder veröffentlicht. Dennoch kann die Polizei auch versuchen, sie löschen zu lassen. Das Problem dabei ist, dass Server, die die Daten hosten, häufig im Ausland stehen. Die Polizei könnte bei den staatlichen Stellen auf die Löschung hinwirken. Solche Anträge laufen jedoch ins Leere, wenn ein Internetinhalt nicht nach dem Recht des Landes strafbar ist, in dem der Server steht.


Polizei widerspricht sich


Ob eine Löschung im Fall der "25.000-Liste" beantragt wurde, konnte heute.de bislang nicht erfahren. Paradoxerweise gab die Polizei Berlin an, das LKA Hessen führe ein Verfahren im Zusammenhang mit einer Löschung. In Hessen weiß man aber nichts davon, wie eine Sprecherin gegenüber heute.de sagte.


Die Unübersichtlichkeit im Umgang mit den Listen kritisiert die Grünen-Politikerin Irene Mihalic. Sie fordert eine "Task-Force im Bundesinnenministerium als zentralen Ansprechpartner und Beratungsstelle für Betroffene".


Wo sich Betroffene helfen lassen können


Wer auf einer Liste steht, kann sich an die Polizei wenden. Hilfe von nicht-staatlicher Stelle bekommen Betroffene von Hassangriffen im Netz auch bei HateAid. Die gemeinnützige Stiftung berät Menschen bei akuten Fällen und hilft, zivilrechtliche Prozesse zu finanzieren. Ob man selbst in erbeuteten Daten steht, lässt sich beim Identity Leak Checker des Hasso-Plattner-Instituts überprüfen. Die "25.000 Liste" ist hier beispielsweise eingepflegt.


Tätig geworden ist auch Sibel Schick, deren Adresse mehrfach veröffentlicht wurde. Sie hat nun eine Petition gegen Internetkriminalität gestartet, die mehr als 12.000 Menschen unterzeichnet haben. "Menschen sollen durch Hass im Netz eingeschüchtert werden. Es ist ein Angriff auf ihr Recht, auf freie Meinungsäußerung. Ich empfinde das als Gewalt." Schick fordert höhere Strafen für Hassrede im Internet und eine vereinfachte Strafverfolgung.


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