Julia Herz- El Hanbli

Ethnologin, Kulturjournalistin, Coburg

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Artikel

Ethnologie in der Medizin: Wie passen denn die herein?

Immer, wenn es irgendwo auf der Welt darum geht, Epidemien einzudämmen, werden Experten aus allen Fachbereichen in die betroffenen Regionen entsandt. Mediziner, Naturwissenschaftler und Co packen ihre Koffer und ziehen los, um mit ihrem Know-How zu helfen. Und die Ethnologen? Auch sie sollen nicht fehlen.


Die ethnologische Fachexpertise kommt aus dem Bereich Medizinethnologie.

 


Was ist Medizinethnologie?


Hierzu eine Definition des Ethnologen Frank Heidemann (2011):

"Die Medizinethnologie untersucht die sozialen und kulturellen Dimensionen von Krankheit und Heilung aus einer kulturvergleichenden Perspektive. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass in jeder Gesellschaft Krankheit auf eine spezifische Art und Weise wahrgenommen und klassifiziert wird, die Ursachen jeweils benannt und Heilverfahren angewendet werden."


Krankheit ist eben, so die Erkenntnis aus der Medizinethnologie, nicht gleich Krankheit bzw. wird nicht überall auf die gleiche Art und Weise wahrgenommen.

Daher gibt es in der Medizinethnologie eine Unterscheidung zwischen


_Krankheit (disease) als eine biomedizinische Dimension, die aufgrund westlicher Analyseverfahren ermittelt werden kann, und 

_Kranksein (illness), als eine vom Kranken und seinem sozialen Umfeld wahrgenommene Dimension.


Als Beispiel hierfür nennt Heidemann die Krankheit Aids in Afrika. Vor Ort gibt es viele Erklärungsmodelle für diese Krankheit. Diese zu ignorieren, von Seiten der angereisten Helfer_innen, wäre der Sache nicht dienlich. Denn was als Krankheit wie aufgefasst wird und wie Kranksein erfahren wird, ist ein komplexes Werden und Entstehen.


Medizinethnologie berücksichtigt alle Einflüsse, die hier eine Rolle spielen könnten, etwa philosophische, naturwissenschaftliche oder auch sozialkritische.


Nehmen wir zum Beispiel „Heilungen in Trance“ oder „Schamanismus“, so schreibt Heidemann: Jene Akteure „gehen von komplexen Weltbildern aus, die zunächst nachvollzogen werden müssen, um die symbolische Dimension der Heilverfahren zu erkennen und somit zu einem angemessenen Verständnis von Krankheit zu gelangen.“ (Heidemann 2011)


 

Medizinethnologen arbeiten sehr praxisorientiert


Mittlerweile wurde das Potential, das Medizinethnologie leisten kann, vielerorts erkannt. In folgenden Praxisfeldern sind Ethnologen anzutreffen:

Gesundheitspolitik (Public Health und International Health)

HIV/AIDS-Prävention

- im Gesundheitswesen, denn diese ist durch die transnationale Migration vor neue Herausforderungen gestellt

- und auch in der transkulturellen Psychiatrie

 


Aktuelles Beispiel: Ebola


Wie (Medizin-) Ethnolog_innen im Fall der an Ebola Erkrankten helfen könnten, darüber hat die Anthropologin Ann Kelly ausführlich geschrieben.

Ein paar Aspekte aus ihrem Artikel seien hier nur kurz (und auf deutsch :) aufgegriffen. 

Kelly schreibt:

    • die Ethnolog_innen kennen lokale Traditionen, sie könnten dem medizinischen Personal erklären, wie z.B. der Handel und soziale Interaktionen die Verbreitung des Virus erleichtert haben könnten
    • sie können auch Einblicke in die Ängste zeigen, die Einheimische gegenüber dem medizinischen Personal sehr wahrscheinlich haben

Um eine Ahnung zu bekommen, warum die erkrankten Menschen womöglich auf das medizinische Personal misstrauisch reagieren könnten, hilft es, sich in ihre Lage zu versetzen:

Stellt euch vor, ihr lebt euer Leben, seid gesund, Epidemien kennt ihr höchstens vom Hörensagen, oder aus dem Fernsehen. Plötzlich ist sie da. Bringt Leid mit sich. Menschen sterben. Und plötzlich kommt ausländisches Medizinpersonal - die "Experten". Doch sie tun Dinge, die Einheimische nicht kennen und ergo mit denen sie absolut nichts anzufangen wissen - wie etwa das Desinfizieren von Häusern, Errichten von Quarantänen und Verbieten, dass die Familie sich um einen kümmert. Wird das nicht erklärt, sondern nur getan, dann ist das Misstrauen groß.  

Stellt euch vor, ihr werdet plötzlich krank. Wie ist eure Reaktion? Bei wem fühlt ihr euch sicherer aufgehoben - bei einem Mediziner, der so behandelt, wie ihr es kennt oder bei einem neuen, unbekannten Medizinpersonal, der Dinge tut, die ihr nicht kennt und ergo mit denen ihr absolut nichts anzufangen wisst?


 

Mehr Informationen zur Medizinethnologie:


Buch: Ritual und Heilung, von Katarina Greifeld (Link)

Artikel: "Notes from Case Zero: Anthropology in the time of Ebola" (Link)

INFOMED - Institut für Ganzheitsmedizin:

Ein Forum, um sich über Heiltraditionen, Methoden und Weltbilder zu informieren, auszutauschen. Die fachkundige Vermittlung wird durch Ethnologen und andere Wissenschaftler gesichert. (Link)

 

 

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