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Wildes Plastik

Recycling von Plastik: Nicht Abfall, sondern Wertstoff

Hamburg, Speicherstadt. In dem roten Backsteingebäude am Brooksfleet haben früher Kaufleute Jutesäcke voller Kaffeebohnen mit großen Seilwinden zu Boden 3 hochgezogen. Heute werden dort im dritten Stock Mülltüten gelagert. Sie haben eine ähnlich weite Reise hinter sich wie einst der Kaffee. Das Start-up namens Wildplastic lässt sie aus alten Tüten und Verpackungsmüll aus südlichen Ländern herstellen. Der Sinn dieses Mülltransports: Der Plastikabfall soll nicht länger Land, Flüsse und Meere verschmutzen.

Plastikmüll wird zu Verpackungsmaterial

Christian Sigmund leitet das Sozialunternehmen. Der ehemalige Google-Mitarbeiter trägt einen beigefarbenen Kapuzenpulli mit weißem Firmenschriftzug und fährt morgens von Ottensen mit dem Fahrrad in die Speicherstadt. Manchmal bringt er vorher noch den Müll runter. Wie für Millionen andere Menschen in Deutschland ist es für ihn ganz normal, dass unsere Joghurtbecher, Essensreste und Zeitungen wie von Zauberhand verschwinden - und im Idealfall nicht nur verbrannt, sondern weiterverwertet werden. In armen Ländern bleibt Abfall dagegen ein sichtbares Problem. Er landet neben der Straße, im Wald oder im Fluss. Sigmund hat es beim Surfen an der Nordküste Perus selbst erfahren, als ihm Starkregen „eine ganze Müllkippe" vor die Füße gespült hat.

Wildplastic kümmert sich um das Recycling von LDPE-Kunststoff. Das ist weiches Plastik, das in manchen Ländern milliardenfach für Einwegverpackungen benutzt wird. Das gesammelte Material wird in Spanien und Portugal zu Granulat verarbeitet, aus dem anschließend in Deutschland Folien für Müllbeutel entstehen. Mit dem Versandhändler Otto als Partner hat Wildplastic über Monate die Produktion optimiert und die Mengen erhöht. Otto verschickt zum Beispiel T-Shirts in Beuteln aus „wildem" Plastik.

Ende des Jahres soll jede zweite Otto-Versandtüte aus dem Material sein. Im Frühjahr waren die Mülltüten in vielen Rossmann-Filialen im Angebot, deren Lage Christian Sigmund auf einer Deutschland-Karte in seinem Tablet markiert hat. Dieser Testballon sei ein wichtiger Schritt gewesen, denn große Mengen seien entscheidend, um das System zum Laufen zu bringen, sagt Sigmund. Nur wenn er den Sammlern in Liberia oder Indonesien den Ankauf vieler Tonnen Müll garantiere, werde sich bei den Menschen dort der Gedanke durchsetzen, dass Wasserbeutel und Plastiktüten nicht Abfall, sondern ein Wertstoff seien. Dann könne sich wie beim PET eine Kreislaufwirtschaft entwickeln, die das Plastik dauerhaft aus der Umwelt hole.

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