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Kinder auf Instagram: "Vor einem Gesicht mit einer Behinderung schrecken die Leute zurück"

Mama, Papa, Kind fahren auf einem Holzschlitten einen schneebedeckten Hang herunter. Schnitt. Die Mutter spielt Klavier, ihre Tochter, Matilda, bald zwei Jahre alt, lila gestreifte Latzhose, sitzt vor ihr. Matilda hat ihren Daumen im Mund und wackelt im Takt nach rechts und links. Wieder Schnitt. Matilda krabbelt vorsichtig Stufe für Stufe eine Treppe hoch.

Lea Hubertus hat diese Szenen im August auf ihrem Instagram-Profil @lea.hubertus geteilt. Mehr als 14.000 Menschen folgen ihr, mehr als 28.000 Menschen haben das Video mittlerweile gelikt. Es sind eigentlich ganz normale Einblicke in den Alltag einer Familie auf . Doch im Hintergrund läuft ein Song des YouTubers und Musikers Fynn Kliemann: "Ich tausch' 'n bisschen Mut gegen tolle Aussicht", singt er. Hubertus hat ihn ausgesucht, denn ein bisschen Mut hat sie gebraucht, als sie sich für ihre Familie entschieden hat. Hubertus würde sagen: mehr Mut als normal ist. Denn ihre Tochter Matilda hat das Down-Syndrom. Als Lea Hubertus, damals 21 Jahre alt, mit ihr schwanger war, zogen manche sogar in Zweifel, ob es die richtige Entscheidung sei, das Kind zu bekommen.

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland fast 800.000 Kinder geboren worden. Statistisch gesehen müsste bei einem von etwa 650 Kindern eine Trisomie 21 vorliegen. Aber es kommen viel seltener Kinder mit dem Down-Syndrom auf die Welt. Expert:innen schätzen, dass bei neun von zehn ungeborenen Kindern mit der Diagnose Down-Syndrom die Schwangerschaft beendet wird.

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Zwischen 30.000 und 50.000 Menschen mit dem Down-Syndrom leben schätzungsweise in Deutschland. Sie sind im Alltag vieler Menschen kaum präsent. Deshalb hat sich Lea Hubertus, heute 23, dafür entschieden, Auszüge ihres Familienlebens auf Instagram zu teilen, Fotos von ihrer Tochter und Videos, wie das am Klavier.

Sie ist damit nicht allein: Auch andere Eltern von Kindern mit Trisomie 21 nutzen Social Media und vor allem Instagram, um über die schönen Seiten und auch die Herausforderungen ihres Lebens zu sprechen. Sie wollen Vorurteile abbauen und dazu beitragen, dass Menschen mit Down-Syndrom einfacher und besser leben können. "Indem wir die Menschen an unserem Alltag teilhaben lassen, hoffen wir, Matilda einen leichteren Weg in die Gesellschaft ebnen zu können", sagt Lea Hubertus.

Hubertus studiert im dritten Semester Psychologie in Fribourg in der Schweiz, als ihre Gynäkologin feststellt, dass sie schwanger ist. "Das war ein riesiger Schock, ich musste das erst mal ein paar Wochen lang verdauen", sagt sie zwei Jahre später in einem Videocall. "Ich hatte das damals nicht geplant, das ist einfach passiert." Auch mit ihrem Freund war sie noch nicht lange zusammen. "Trotzdem wusste ich von Anfang an, dass ich nicht abtreiben würde", sagt Hubertus.

Im fünften Monat geht sie zu ihrer Gynäkologin für eine Routinekontrolle. Im Ultraschall sieht man Verkalkungen im Herzen, die auf einen Herzfehler hinweisen. Die Ärztin schickt Lea Hubertus in die Uniklinik. "Ich hatte die Schwangerschaft noch gar nicht so richtig verarbeitet und plötzlich war da dieses neue riesige Thema", sagt sie. Die Untersuchungen lässt sie im saarländischen Homburg machen, wo sie aufgewachsen ist, dann fährt sie zurück in die Schweiz. Während sie an der Uni ist, holt ihr Vater im Saarland den Brief mit den Untersuchungsergebnissen aus der Uniklinik aus der Klinik ab und liest am Telefon vor: "Ihr Kind hat mit 99,5-prozentiger Wahrscheinlichkeit das Down-Syndrom." Nach dem Anruf habe Lea Hubertus erst mal draußen geweint.

"Ich habe mir irgendwelche schrecklichen Bilder vom Down-Syndrom in meinem Kopf zusammenfantasiert", sagt Hubertus. Menschen mit Behinderungen kannte sie damals keine. Die Angst davor, was auf sie zukommen würde, habe sich überwältigend angefühlt. "Ich dachte, die Welt geht unter", sagt sie. (Mehr auf der Webseite)

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