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Start-up aus Frankfurt: Daumenkinos als Integrationshelfer

„Mama, Papa, Hund, Katze." Ein Kind lernt in den ersten Lebensjahren, erst Wörter zu sprechen, dann Sätze zu bilden, seine Gedanken und Gefühle immer besser auszudrücken. Hat es dagegen Schwierigkeiten beim Spracherwerb, beispielsweise wegen einer Behinderung, kann es sich schnell ausgeschlossen fühlen. Laura Mohn und Maria Möller aus Frankfurt wollen mit ihrem Start-up Talking Hands (Sprechende Hände) einer solchen Isolation vorbeugen. Sie bieten Daumenkinos an, mit denen Kindergartenkinder schnell und spielerisch Gebärden erlernen, mit denen sich dann alle unterhalten können. Ende dieses Monats geht die erste Auflage der Bilderbücher an die Kunden.

Sie werden kaum erahnen, wie viele Stunden Arbeit in den Daumenkinos stecken. Wer sie zeichnet, braucht viel Geduld. Jedes noch so kleine Detail muss stimmen. Schon ein zu weit gekrümmter Finger kann den Betrachter so sehr stören, dass sich die Illusion eines Bewegungsablaufs in Luft auflöst. Mal sind es zehn, mal fünfzig, mal hundert Bilderseiten, die die Illustratorin Laura Mohn für ein einziges Daumenkino zeichnen muss.

Als sie vor anderthalb Jahren an der Frankfurter European School of Design zur Abschlussprüfung erscheint, hat sie 100 schmale Daumenkinos im Gepäck. Ihr Projekt nennt die angehende Kommunikationsdesignerin „Talking Hands". Die Bilder zeigen die Bewegungsabläufe der gebärdenunterstützten Kommunikation nach Etta Wilken, welche Kindern mit Schwierigkeiten beim Spracherwerb helfen soll, über begleitende Gebärden zur Lautsprache zu kommen. Eine solche Entwicklungsverzögerung tritt unter anderem bei Kindern mit Down-Syndrom häufig auf. Mohns Daumenkinos bilden eine Art Grundwortschatz für Kleinkinder, basierend auf Wilkens Methode.

Kommunizieren für Menschen mit und ohne Behinderung

Nächtelang hat sie daran gearbeitet, manchmal bis sechs Uhr morgens, um jede der rund zweitausend Zeichnungen zu perfektionieren. Mit Rat und Kaffee steht ihr damals besonders ihre Studienfreundin Maria Möller zur Seite. Beide wohnen zu dieser Zeit in Berlin. Viel ausgemacht habe ihr der Arbeitsaufwand nicht, sagt die Sechsundzwanzigjährige heute. „Ich liebe es einfach." Vielleicht auch, weil ihr diese Liebe in die Wiege gelegt worden sei. Ihre Mutter und ihre große Schwester, die das Down-Syndrom habe, seien beide künstlerisch tätig.

Die Idee zur Abschlussarbeit sei von der Geschichte ihrer Schwester inspiriert. Als sie noch klein war, habe die Familie eigene, ausgedachte Gebärden genutzt, um sich zu verständigen. Die Methode der gebärdenunterstützten Kommunikation habe sie erst im Nachhinein erlernt, sagt Mohn über sich. Mit ihrem Abschlussprojekt habe sie etwas schaffen wollen, das Kindern mit und ohne Behinderung auf eine visuell ansprechende Weise spielerisch die Kommunikation erleichtere.

Für den Dreh eines Kurzfilms, der zur Abschlussarbeit gehört, fährt Mohn zur Frankfurter Kita Grüne Soße. Dort stellt sie ihre Daumenkinos auf den Tisch und kann gerade noch rechtzeitig die Kamera einschalten, so schnell stürzen sich die Kinder darauf. Auch zwei Jungen mit Down-Syndrom sind dabei. „Alle waren begeistert und konnten direkt alles", erinnert sich Mohn und lächelt.

Die Prüfung besteht sie gut, trotz der Sehnenscheidenentzündung, die Mohn vom vielen Zeichnen davongetragen hat. Nach dem Abschluss lässt sie die Idee nicht los, das Projekt weiterzuverfolgen. Sie fragt wieder Maria Möller um Rat, und die zögert nicht lange. Unzufrieden mit ihrem Job in einer Berliner Werbeagentur, packt Möller ihre Sachen und zieht zurück nach Frankfurt. Aus dem Studienprojekt soll ein Geschäftsmodell werden. Mohn fungiert als kreativer Kopf, Möller kümmert sich um das laufende Geschäft. Im Februar 2020 machen die jungen Frauen ihre Daumenkinos auf einer eigenen Internetseite bekannt. Für die geplante erste Auflage setzen sie eine Warteliste auf, inzwischen stehen über einhundert Bestellungen aus ganz Deutschland darauf. Viele Kindergärten melden sich, aber auch Logopäden, Arztpraxen und Eltern von Kindern mit Down-Syndrom oder anderen Problemen beim Spracherwerb.

Trotz der Pandemie geht es seit der Freischaltung der Internetseite stetig bergauf. Seit Juni dieses Jahrs sind die beiden Mitglieder des Unibator-Programms der Goethe-Universität. Dieses unterstützt Gründer in der Anfangsphase. Nach dem Eintrag ins Handelsregister und einem Probedruck sollen nun Ende November die Pakete mit den Daumenkinos verschickt werden, kündigt Möller an. Die erste Auflage finanzieren die Gründerinnen komplett aus eigener Tasche. Eine Druckerei in Bad Nauheim drucke sie mit ungiftiger Farbe auf widerstandsfähigem Volumenpapier. Das Ergebnis einer Lernkurve, sagt Möller. „Wir haben uns ein bisschen die Welt des Papiers hineingelebt." Vor allem die Rückmeldung der Kita Grüne Soße habe ihnen geholfen, die Produkte zu optimieren. Beispielsweise hätten sie die Daumenkinos noch einmal verkleinert, damit kleine Kinderhände sie besser halten können.

Ein nächster spannender Moment wird für die beiden Frauen der 18. November. An diesem Tag werden die Gewinner des „Hessen Ideen Wettbewerbs", des Gründerwettbewerbs der hessischen Hochschulen, verkündet. Talking Hands steht im Finale. (Mehr auf der Webseite)

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