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Kaum zu glauben - Konfirmationskreuz unter dem T-Shirt

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Giacomo Negretto,21, Maria Trausch, 19, und Jakob Wagner, 22, (von links) sind Teil der Regionaljugendkammern Süd und Ost der Evangelischen Jugend des Dekanats München. Die drei Jugendleiter sind auch privat miteinander befreundet.

(Foto: Angelika Bardehle)

Von Julia Fietz

Regenbogenflaggen so weit das Auge reicht, schrill gekleidete Dragqueens, feiernde Menschenmassen. Am Festwagen ein mit Strasssteinen besetztes Kreuz. Wahrscheinlich würden die wenigsten den Christopher Street Day (CSD) mit einem kirchlichen Jugendverband in Verbindung bringen. Die Evangelische Jugend München beteiligt sich seit 2015 jedes Jahr an der Demonstration für die Rechte von Lesben, Schwulen, Tran- und Bisexuellen.

Jakob Wagner, Giacomo Negretto und Maria Trausch sind Teil der Regionaljugendkammern Süd und Ost der Evangelischen Jugend. Für sie ist das Engagement beim CSD eine Selbstverständlichkeit. Jeder habe es verdient, akzeptiert zu werden, die gleichen Rechte zu bekommen.

"Wir finden es grundsätzlich falsch, dass homosexuelle Paare in der Kirche nur gesegnet werden dürfen", sagt Jakob Wagner entschieden. "Wieso kann Liebe nicht einfach Liebe sein". Der 22-Jährige aus Grünwald studiert Maschinenwesen an der Technischen Universität in Garching. Außerdem ist er Vorsitzender der Regionaljugendkammer Süd, dem Beratungs- und Entscheidungsgremium der Evangelischen Jugend in diesem Teil des Dekanats München.

Die Regionalkammer bilden vier Vertreter der Jugend, die auf dem Regionaljugendkonvent gewählt werden. Dorthin entsenden die einzelnen Gemeinden jeweils zwei Vertreter aus ihren Jugendausschüssen. In der jeweiligen Kammer sitzen darüber hinaus noch Vertreter der Dekanatssynode und des Regionalen Arbeitskreises sowie der Regionaljugendpfarrer und der Regionaljugendreferent.

"Wir bilden eine Art Schirm über den Gemeinden", erklärt Giacomo Negretto, der aus Trudering kommt und der Regionaljugendkammer Ost angehört. Konkret bedeute das die Unterstützung der Gemeinden im Tagesgeschäft der Jugendarbeit, wie der Ausbildung von Jugendleitern, der Organisation von Zeltlagern oder auch mit kleineren Angeboten wie Grillabenden.

Vor sieben Jahren kam der 21-Jährige Negretto zur Evangelischen Jugend. Er studiert mittlerweile Soziale Arbeit in München und wäre wohl kein Jugendleiter geworden, hätte ihn nicht sein damaliger Konfirmationslehrer so sehr beeindruckt. "Er ist für mich ein krasses Vorbild, wie wertschätzend er mit anderen umgeht, was er für eine Ausstrahlung hat", erzählt Negretto heute.

Der Jugendleitergrundkurs, den jeder der drei Freunde absolviert hat, führt in die Grundlagen der Jugendarbeit ein, von rechtlichen Fragen bis hin zur Erlebnispädagogik. Eine sehr intensive Erfahrung, wie die drei Freunde Maria Trausch, Jakob Wagner und Giacomo Negretto berichten.

"Man lernt das Reflektieren während der Kurse, das gibt sehr viel Input bei zwanzig Leuten", sagt Trausch, die gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Jugendkirche der Evangelischen Jugend macht. Schon als Kind war sie bei den Zeltlagern in ihrer Gemeinde dabei, heute ist sie eine der Leiterinnen. "Eine schöne Entwicklung", sagt die 19-Jährige lächelnd.

Ein besonderer Tag während des Kurses ist der "Gender-Day". An diesem beschäftigen sich die Teilnehmer mit gesellschaftlichen Geschlechterrollen, Jungs und Mädchen werden getrennt. Bei den Jungs hätte jeder einen persönlichen Gegenstand dabei gehabt und davon erzählt, so Giacomo Negretto.

"Einer hatte zum Beispiel ein Armband von seinem toten Freund dabei", erzählt er nachdenklich. Die Tiefgründigkeit des Tages habe ihn überrascht, durch den Gender-Day habe er viel über sich selbst lernen können. "Eine sehr tiefe, sehr persönliche Reflexion findet statt", bestätigt Jakob Wagner. "Du bist okay und genau richtig, so wie du bist", das sei für ihn die wichtigste Lehre des Tages gewesen, die ihn noch immer begleite. Diese Botschaft sei überdies ein zentraler Wert, an dem sie sich in ihrer ehrenamtlichen Arbeit orientierten.

Und auch der, mit dem sie sich am meisten im christlichen Kontext identifizieren könnten. "Hier sind die allermeisten nicht nach Schema F gläubig", betont Negretto. Trausch nickt bekräftigend. Ihr gehe es genauso, sagt sie. "Ich bin von Haus aus eher der rationale Mensch, ich glaube nicht so an Gott wie in der Bibel." Glauben sei etwas ganz Persönliches, das müsse jeder für sich entscheiden.

Für Negretto hat Glaube eine ganz praktische Bedeutung, Glauben leben ist hier das Stichwort. "Er manifestiert sich in dem, was wir Christen sind und tun, vor allem in der Gemeinschaft", sagt der 22-Jährige. Im Großen und Ganzen stehe der Glauben bei ihrer Arbeit allerdings nicht im Vordergrund, auch wenn es genug Angebote gebe für diejenigen, die das Spirituelle ausleben wollten, erklärt Trausch, die wie Negretto aus Trudering kommt und sich in der Regionaljugendkammer Ost engagiert.

Wenn die 19-Jährige in der Öffentlichkeit ihr Konfirmationskreuz um den Hals trägt, dann nur unter dem T-Shirt. Sie wolle nicht jedem in der U-Bahn das Kreuz ins Gesicht halten, zumal es nicht gerade klein sei, sagt sie. Vorurteile und dumme Sprüche gegenüber kirchlichem Engagement kennen die drei Ehrenamtlichen zu Genüge. "Wenn andere zum ersten Mal hören, dass man Jugendleiter ist, wird man schnell in eine Schublade gesteckt: langweilig, prüde, ultra-gläubig", erzählt Giacomo Negretto. Erkläre er seine Tätigkeit genauer, seien die meisten Reaktionen sehr positiv.

Jakob Wagner erlebt Ähnliches, oft werde man als naiv und leichtgläubig abgestempelt, sagt er. Darauf angesprochen, ob er gläubig sei, antworte er mit "Nein", er wolle nicht in eine Schublade gesteckt werden. Maria Trausch hat vor ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr ein Praktikum gemacht, wo sie stets nur erzählt habe, sie würde ein Ehrenamt ausüben. "Selbst da wurde ich komisch angeguckt, dabei ist ein Ehrenamt so genial".

Kritik an der Kirche könnten sie verstehen, darin sind sich die Freunde einig. "Ich würde mich selber deutlich von der Kirche abgrenzen", betont Negretto. Sie gehe lange nicht in allen Bereichen mit der Zeit, ein in der Vergangenheit erstarrtes Bild, dass sich durch den Schulunterricht in den Köpfen festsetze, sei allerdings auch falsch. Obwohl sie sich also einigem an Vorurteilen ausgesetzt sehen, engagieren sich Maria Trausch, Jakob Wagner und Giacomo Negretto seit Jahren mit Herz und Seele in ihren Gemeinden und der Evangelischen Jugend.

Auf einen Satz runter zu brechen, was ihr Engagement für sie ausmache, fällt den drei Freunden erst einmal schwer. Und dann ist es doch ganz einfach. "Ich habe hier eine Gemeinschaft kennengelernt wie nirgends sonst", betont Negretto. "Gemeinschaft leben und für andere möglich machen", ergänzt Wagner. (Mehr auf der Webseite)

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