Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Timo Hildebrand und Vincent Klink nicht viel miteinander anfangen können: hier der Ex-Fußballer des VfB Stuttgart, der das vegane Lokal Vhy gegründet hat – dort der Sternekoch, der seinen Gästen gerne Kutteln, Niere oder Hirnsuppe serviert. Doch die beiden Stuttgarter lassen sich sofort auf ein Zwiegespräch zum Thema Fleisch ein. Und schnell wird deutlich: So weit auseinander liegen die beiden nicht – meistens jedenfalls.
Herr Klink, Sie haben kürzlich in Ihrem Blog geschrieben: „Für einen Berufskoch sind die Möglichkeiten der veganen Gerichte doch ziemlich eingeschränkt.“ Warum?
Klink Man kann das mit der Malerei vergleichen: Wenn man nur zwei Farben hat wie Blau und Rot, kann man kein Grün damit erzeugen. Für mich ist veganes Kochen die schwierigste Disziplin.
Sie bieten aber auch ein vegetarisches Menü in Ihrem Lokal an.
Klink Im Vegetarischen sind die Möglichkeiten dagegen riesig. Man kann Butter, Milch, Käse verwenden. Aber im Veganen muss man mit einer kleinen Palette viel erzeugen. Bei uns bestellt mittlerweile die Hälfte unserer Gäste das vegetarische Menü.
Hildebrand Veganes Essen kann sehr vielfältig sein. Viele vegane Köche, mit denen ich gesprochen habe, sagen, dass die vegane Küche extrem vielseitig ist. Aber ja: Man muss das lernen. Und es erfordert ein Umdenken – auch bei Experten wie Vincent Klink.
Herr Klink, kommen Ihre Gäste zu Ihnen, weil sie Fleisch wollen?
Klink Da hat sich viel geändert. Manche wollen bewusst kein Fleisch. Aber es kommen Menschen von weiter weg zu uns, die Hirnsuppe, Leber, Kutteln essen wollen. Dafür sind wir bekannt.
Haben Sie schon einmal so etwas gegessen, Herr Hildebrand?
Hildebrand Kutteln? Nee. Habe ich aber früher auch nicht, als ich noch Fleisch gegessen habe.
Klink: Meistens bestellen das die Männer. Mein liebstes veganes Gericht, das ich privat esse, sind übrigens Spaghetti mit schwarzem Pfeffer und Olivenöl. Das könnte ich jeden Tag essen.
In Stuttgart gibt es rund zehn vegane Restaurants. Wenig oder viel?
Hildebrand Wenn man in andere Metropolen schaut, ist das wenig. Das war mit ein Grund, warum wir das Vhy eröffnet haben.
Der Großteil Ihrer Gäste sind keine konsequenten Veganer, oder?
Hildebrand Wenn wir nur von Veganern leben müssten, würde das Vhy nicht funktionieren. Und wir wollen gerade die Flexitarier inspirieren. 70 bis 80 Prozent unserer Besucher sind Frauen. Und oft bringen diese Frauen dann ihre Partner, Eltern oder Großeltern mit und sagen: Probier’s halt mal aus!
Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Gästen, die gezwungenermaßen bei Ihnen landen?
Hildebrand Gezwungen wird ja niemand. Die sind aber meistens überrascht, wie gut es ist. Und wie viel man aus Gemüse machen kann. Wir haben fast durchweg positives Feedback.
Wollen Sie Menschen überzeugen?
Klink Ich bin gegen das Missionieren. Viele Ehen gehen kaputt, weil der eine den anderen verändern will.
Hildebrand Ich will inspirieren. Es ist der falsche Weg, den Leuten zu erklären: Du musst dich jetzt pflanzlich ernähren.
Angesichts der Klimakrise müssten wir aber doch weg vom Fleischkonsum, oder?
Hildebrand Klar, die Fakten liegen auf dem Tisch. Aber es ist utopisch, dass alle aufhören, Fleisch zu essen. Wir wollen das Bewusstsein schärfen, bewusster mit Nahrung umzugehen und ein geschmackliches Topangebot liefern.
Reagiert die Gastronomie schnell genug auf die wachsende Zahl an Vegetariern und Veganern?
Klink Im Vergleich zu beispielsweise Frankreich auf jeden Fall. In Frankreich gibt es manchmal zur Vorspeise Fisch, erster Gang Gänseleber, zweiter Gang Wachtelbrust, vierter Gang Lammrücken. In Deutschland ist in einem Menü heutzutage oft nur noch einmal Fleisch enthalten. Ganz schlimm finde ich es, wenn man etwas isst von einer gequälten Kreatur. Wenn man kein Geld für gutes Fleisch hat, lässt man es halt bleiben.
Herr Klink, Sie kochen viel mit Biofleisch. Ist das Ihr Ausweg, mit gutem Gewissen Fleisch zu essen?
Klink Mir geht es natürlich vor allem um den Geschmack. Aber ich verwende dieses Fleisch auch, weil die Tiere gut gehalten werden. Ich gehe unangekündigt auf Höfe und schaue mir das an. Mein Vater war Tierarzt, ich war schon früh oft auf Schlachthöfen.
Herr Hildebrand, ist es für Sie in Ordnung, wie Herr Klink das macht? Vorwiegend Biofleisch, auch ein vegetarisches Menü anbieten?
Hildebrand Die Einstellung geht in meine Richtung: Billigfleisch verbieten und das gute Produkt schätzen. Es ist utopisch, dass Deutschland fleischfrei wird. Aber ich finde es gut, dass Herr Klink den Respekt vor dem Produkt hat und was Gutes daraus macht.
Gerade wegen der Schlachthof-Skandale wenden sich viele vom Fleischessen ab.
Klink Zwar ist Cem Özdemir – ein Grüner und Vegetarier – ja gerade Bundesernährungsminister, aber die Fleischlobby ist dermaßen fett, da kommt man kaum dagegen an. Für mich gehört Clemens Tönnies, der Chef von Tönnies, ins Gefängnis.
Wie erklären Sie sich, dass die Fleischproduktion in Deutschland gerade leicht zurückgeht?
Klink Das hängt auch mit den Medien zusammen. Seit 20 Jahren wird auf uns eingeprügelt, weniger Fleisch zu essen. Aber was ich bei Veganern nicht verstehe: Wenn man kein Fleisch mag – warum isst man dann Fleischersatz?
Herr Hildebrand, wie oft essen Sie Ersatzprodukte?
Hildebrand Selten. In meinem Kühlschrank liegt der Fokus auf Gemüse. Ersatzprodukte erfüllen den Zweck, dass sie genau die Zielgruppe der Flexitarier ansprechen, um eine Verbindung zum konventionellen Produkt herzustellen.
Welche Rolle spielen Tierschutz und Klimawandel für Sie beim Essen?
Hildebrand Das hat schon immer dazugehört. Ich kann es moralisch nicht mehr vertreten, tierische Produkte zu essen. Die Fakten zeigen, was das mit unserem Planeten, unserer Umwelt und unserer Gesundheit macht. Wir können nicht immer so weitermachen wie in den letzten 50 Jahren mit der Massentierhaltung – und dass die Menschen das unhinterfragt konsumieren.
Klink Ja, der Verstand ist nicht bei der Mehrheit, auch wenn die Jugend bewusster handelt. Die ernähren sich heute bewusster als zu meiner Zeit. Auch die Klimakleber finde ich gut – sie sind zwar lästig, geben aber irgendwie Gas.
Hildebrand Und jedes Angebot, das wir mehr machen, bringt die Leute dazu, sich Gedanken zu machen. Wir hinterlassen eine Generation nach uns – und im Zweifel leben die auf einem Planeten, der nicht mehr lebenswert ist. Noch spielen Profit und Lobby eine zu große Rolle. Und der Mensch ist leider so gestrickt, dass immer erst etwas Gravierendes passieren muss, bevor er sich ändert. Veränderung tut weh, und jeder versucht sein Feld zu schützen; also Massentierhaltung und Produktion. Ich hoffe, dass Cem Özdemir da Bewegung reinbringt.
Klink Im Moment ist das, was ich mache mit vorwiegend Biofleisch, und das, was Timo Hildebrand macht mit veganen Gerichten, immer noch eine Nische.
Ja, der Anteil des Biofleischs am gesamten Fleischabsatz liegt nur bei drei Prozent . . .
Klink Ab und zu muss ich zum Baumarkt, und da steht davor ein Göckeleswagen. Unglaublich, was da passiert. Die Hühnchen sind nur vier Wochen alt, bevor sie geschlachtet werden. Billigfleisch sollte verboten werden.
Wären Sie wirklich so radikal?
Klink Ja, natürlich. Der Normalbürger ist nicht belehrbar. Der Gesetzgeber muss strenger durchgreifen und gewisse Sachen verbieten.
Hildebrand Viele Menschen wissen, wie schlecht günstiges Fleisch ist, und kaufen es trotzdem. Da braucht es politische Vorgaben. Wenn die Pandemie eines gezeigt hat, dann, wie schnell man wichtige Dinge umsetzen kann, wenn man will.
Was ist mit der alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern, die gerne Fischstäbchen und Würstchen essen? Diese Familie kann sich Biofleisch nicht leisten.
Hildebrand Fischstäbchen und Würstchen gibt es auch vegetarisch oder vegan.
Also kein bezahlbares Fleisch mehr für alle?
Klink Entschuldigung, ich würde auch gerne einen Porsche fahren.
Hildebrand Wir brauchen ein Bewusstsein, dass es reicht, einmal pro Woche Fleisch zu essen. Dieser Anspruch, dass alles jederzeit verfügbar ist, ist einfach nicht gesund.
Klink Und man kann ohne Fleisch hervorragend überleben.
Hildebrand Das hat mit Bildung zu tun. Viele wissen gar nicht mehr, dass es nur Milch gibt, weil die Kühe jedes Jahr neu geschwängert werden. Ich finde die Bewegung der Discounter gut. Lidl will bis 2025 den Großteil des Fleischs durch pflanzliche Proteine ersetzen. Und beim Rewe im Stuttgarter Westen ist jetzt ein doppelt so langes Kühlregal mit veganen Produkten wie noch vor wenigen Jahren. Das ist der richtige Weg.
Was würden Sie machen, Herr Hildebrand, wenn Sie Kanzler wären?
Hildebrand Ich würde Firmen viel stärker fördern und subventionieren, die etwas für die Umwelt tun, die für den Klimaschutz eintreten und entsprechende Produkte auf den Markt bringen, statt diese Milliardensubventionen in eine Massentierhaltung stecken. Dieses System ist krank.
Sternekoch und veganer Ex-Fußballer treffen aufeinander
Vincent Klink
Der 74-Jährige ist Koch und Chef des Lokals Wielandshöhe in Stuttgart-Degerloch. Bereits 1978 erhielt er den ersten Michelinstern für sein damaliges Restaurant Postillion in Schwäbisch Gmünd, seit 1991 betreibt er das Lokal Wielandshöhe, welches ebenfalls einen Stern hat. Klink hat mehrere Bücher rund ums Essen und die Gastronomie veröffentlicht und tritt immer wieder im Fernsehen auf. In seiner Freizeit macht er Jazzmusik, er spielt Basstrompete.
Timo Hildebrand
Der 43-Jährige ist ehemaliger Fußballtorwart. Mit dem VfB Stuttgart holte er 2007 den Meistertitel und spielte in der Deutschen Nationalmannschaft. Seit etwa acht Jahren lebt Hildebrand überwiegend vegan. Im Sommer 2021 eröffnete er gemeinsam mit dem Künstler Tim Bengel und dem Chefkoch Christian Weber das Restaurant Vhy im Stuttgarter Westen, in dem ausschließlich Pflanzliches serviert wird. Er praktiziert privat viel Yoga.
Begegnung
Klink und Hildebrand kannten sich vor unserem Gespräch nur von einem Termin persönlich. Hildebrand war noch nie in der Wielandshöhe, Klink noch nie im Vhy. Am Ende des Gesprächs sprach Timo Hildebrand eine Einladung ins Vhy aus. Und Vincent Klink versprach, zu kommen.