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Impfschäden in Baden-Württemberg: Wenn ein Piks das ganze Leben verändert

Bei den allermeisten Menschen erzeugt eine Impfung keine Spätfolgen. Foto: Imago/Ute Grabowsky

Ein persönliches Treffen oder auch ein Telefonat ist für Dennis Riehle zurzeit unmöglich. Die Mischung aus Parkinson und der Impffolgen raube ihm die Stimme, „das Sprechen fällt mir deshalb sehr schwer", entschuldigt sich der 37-Jährige aus Konstanz. Aber er versuche, alle Fragen per E-Mail zu beantworten, verspricht er. An die erste E-Mail hängt er ein Attest seines Arztes an. Auf drei Seiten legt der Internist dar, warum er bei Dennis Riehle „von einem immunologischen Trigger durch die Corona-Schutzimpfungen ausgeht, die latente Gesundheitsstörungen hervorgebracht haben dürften und bestehende offenbar deutlich verschlimmert haben".

Zwei von 1000 Corona-Geimpften hatten Nebenwirkungen

Dennis Riehle hat eine Selbsthilfegruppe für Menschen gegründet, die nach einer Impfung Komplikationen erleiden. „Es melden sich rund zehn Betroffene täglich bei mir“, sagt er. Die Menschen tauschten Erfahrungen aus und berieten sich. Gruppentreffen kann er aufgrund seines Zustands derzeit keine organisieren.

Bereits seit Jahren leidet Dennis Riehle an Parkinson. Vor gut einem Jahr erhielt er dann seine erste Impfung gegen Covid-19. Zwei Tage später spürte er starke Schmerzen an den Gelenken, außerdem fühlten sich diese unnatürlich steif an, berichtet er. Nach der zweiten Impfung verschlimmerten sich die Symptome. In dem Attest des Arztes steht: multiple Entzündungen, brennender Ganzkörperschmerz, Verlangsamung sämtlicher Bewegungsabläufe. Nach der dritten Impfung sei es richtig übel geworden, sagt Riehle. Die Ärzte hätten bewusst auf das Vakzin von Novavax gewartet, weil sie bei dem proteinbasierten Impfstoff weniger Reaktionen erwarteten. „Leider hat sich das als falsch herausgestellt.“ Die Symptome seien ausgeprägter als bei den ersten zwei Impfungen gewesen, und sie dauerten bis heute „nahezu unvermindert“ an.

Fast jeder Verdachtsfall wird abgelehnt

Laut dem letzten Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts, das für Statistiken bei Impfungen in Deutschland zuständig ist, wurden bei 1,7 pro 1000 Corona-Impfdosen eine Meldung auf eine Nebenwirkung gemeldet, bei 0,2 von 1000 Impfdosen eine Meldung auf eine schwere Reaktion. Einen Impfschaden anerkannt zu bekommen dauert allerdings meist Jahre, teils sogar Jahrzehnte.

Ramona Gerlinger beschäftigt sich damit tagtäglich. Sie ist im Vorstand des Bundesvereins Impfgeschädigter und zuständig für den Südwesten. Durch Corona hat sich die Zahl der Vereinsmitglieder fast verdoppelt; von etwas mehr als 150 auf zuletzt rund 300. Ramona Gerlinger berät diese Menschen, hilft ihnen bei Stellungnahmen für Anwälte und Gerichte und erklärt Impfgeschädigten, was ihnen zusteht. Wobei die meisten gar nicht bis zu diesem Punkt kommen. Der Großteil scheitert am Nachweis, dass eine körperliche Reaktion tatsächlich von einer Impfung kommt und dass es sich um einen dauerhaften Schaden handelt. „99,9 Prozent der Fälle werden abgelehnt“, sagt sie.

Nach der Impfung schlief das Kind 22 Stunden pro Tag

Ramona Gerlinger ist Mutter einer 24-jährigen Tochter, bei der 2009 ein Impfschaden anerkannt wurde. Zuvor hatte es zig Gutachten und Untersuchungen gebraucht. Dann bestätigte ein Gericht, dass eine Fünffachimpfung gegen unter anderem Keuchhusten, bei der die Tochter die erste Spritze mit sechs Monaten erhielt, mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Schaden ausgelöst hat. Nach dieser Impfung hatte sich das Verhalten des Babys verändert, anfangs bezeichnete man es noch als „schreckhaft“. Mit der zweiten Impfung kam häufiges Erbrechen und eine unübliche Müdigkeit hinzu: „Meine Tochter schlief 22 Stunden am Tag.“ Schließlich wurde Epilepsie diagnostiziert. Die Tochter erhielt von nun an Medikamente.

Dann kam die dritte Impfung, „und am Tag darauf krampfte meine Tochter 73 Minuten am Stück“. Von nun an war die Entwicklung stark verzögert, es folgten zig Krankenhausaufenthalte. Im Alter von fünf Jahren hatte das Mädchen einen epileptischen Anfall von mehr als einer Stunde, sie fiel dabei ins Koma, „seitdem ist sie ein Vollpflegefall“.

Ist ein Impfschaden anerkannt, fließt Geld

Durch die Anerkennung des Impfschadens bekommt Ramona Gerlinger die 24-Stunden-Pflege der Tochter vom Staat finanziert. Neben einer Pflegezulage, der Grundrente und Ausgleichsrente erhält die Familie auch Zuschüsse für Kleidung der Tochter sowie für diverse Therapien.

In Baden-Württemberg wurden im vergangenen Jahr 17,35 Millionen Euro an 455 Betroffene mit Impfschaden bezahlt, das macht im Schnitt 3177 Euro monatlich pro Fall. Darunter ist bisher niemand mit Covid-19-Impfschaden. Mehr als die Hälfte der Betroffenen, 277 Personen, hat Schäden aufgrund einer Pockenimpfung. An zweiter Stelle folgen 49 Betroffene mit Polio-Impfschäden, bei Diphtherie sind es 24 Personen, bei Grippe 21, bei Keuchhusten 18, bei FSME und der Masern-Mumps-Röteln-Impfung jeweils 13. Erst am Donnerstag hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Masern-Impflicht etwa für Kita-Kinder, Lehrerinnen, Erzieher, medizinisches Personal sowie Bewohner und Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften bestehen bleibt.

Keine Benachteiligung für Ungeimpfte, fordert Riehle

Obwohl Dennis Riehle zurzeit kaum sprechen kann und nicht nur er, sondern auch sein Arzt vermutet, dass er einen Impfschaden hat, verteufelt er die Covid-19-Impfung nicht. Er bleibe ein Impfbefürworter, würde aber heute die Entscheidung intensiver überdenken: „Eine Impfung sollte nicht zu einem Stich im Vorbeigehen werden.“ Und: Wer diese aus wichtigen Gründen ablehne, dürfe nicht benachteiligt werden, fordert er.

Ramona Gerlinger mahnt, dass es keine Jahre mehr dauern dürfe, bis ein Impfschaden anerkannt werde, „man muss das Thema für voll nehmen“. Sie hat mit ihrer Tochter den Beweis Tag für Tag vor Augen.

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