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Hirten wird Tierquälerei vorgeworfen

Quereinsteiger in der Tierhaltung: Seit 2016 verdient Tibor Wodetzky seinen Lebensunterhalt mit Schafen, Ziegen und Rindern. Foto: Ines Rudel

Tibor Wodetzky hält rund 400 Schafe, Ziegen und Rinder in Ostfildern und anderen Teilen der Region Stuttgart. Aus der Öffentlichkeit wird ihm Tierquälerei vorgeworfen. Er „freue" sich über diese Vorwürfe, sagt er. Wie kann das sein?


Die Vorwürfe sind nicht schön: Die Hunde wären eingesperrt in „viel zu kleinen Zwingern", die obendrein nicht isoliert seien. Die Kühe stünden „knöcheltief in ihrer eigenen Scheiße". Oft fehle Wasser bei den Schafen auf der Weide. Die Lämmer lägen morgens „tot und festgefroren" auf der Wiese, wenn sie im Winter nachts auf die Welt kämen. „Das ist ein richtiger Tierquäler", davon ist die Person überzeugt, die unserer Redaktion anonym eine Mail mit Fotos hat zukommen lassen. Die Bilder zeigen Tiere von Tibor Wodetzky, einem Hirten aus Ostfildern. Darauf ist unter anderem ein totes Lamm zu sehen. Und Kühe, die tief im Matsch stehen.


Schickt man Tibor Wodetzky diese Bilder zu und konfrontiert ihn mit den Vorwürfen, lädt er zu sich ein. Der 34-Jährige hat einen Stall mit Außenbereich von der Stadt Ostfildern gepachtet, im Körschtal zwischen Scharnhausen, Nellingen und Denkendorf. Dort leben sieben Rinder, knapp 100 Ziegen und drei Hunde. Die 300 Schafe von Wodetzky weiden mal in Stuttgart-Sillenbuch, mal in Fellbach, mal in Ostfildern, zurzeit am Scharnhauser Park.

Der Hirte ärgert sich nicht über die Vorwürfe

„Es gibt keine glücklicheren Tiere als bei mir“, ist Wodetzky überzeugt. Bei ihm finde man die „ursprünglichste Nutztierhaltung überhaupt“. Damit meint er, dass seine Tiere, wenn sie auf eine neue Weide kommen, nicht mit dem Anhänger dorthin gebracht werden, sondern zu Fuß hinlaufen. Heu produziert er selbst, um die Klauenpflege kümmert er sich allein, nur zur Schafschur kommt ein Profi.


Wodetzky betont, dass ihm die Vorwürfe der Tierquälerei nichts ausmachten, er sich sogar über sie freue. Denn es zeige, dass die Leute auch im städtischen Raum in Kontakt mit Nutztierhaltung kämen, „gläserner als bei mir geht’s nicht“. Er sagt aber auch, dass es „völliger Quatsch“ sei, dass seine Rinder knöcheltief in ihrem Mist stünden. Wenn es über mehrere Tage hinweg regne, bilde sich im Außenbereich des Stalls Matsch. „Aber sie können ja jederzeit rein.“ Im Stall werde immer frisch eingestreut. Und dass von 400 Tieren mal eines sterbe – auch ein Junges – könne passieren. Aber dass er Tieren Leid zufüge, sei schon aus finanziellen Gründen absurd: „Jedes tote Tier bedeutet einen wirtschaftlichen Verlust für mich.“

Seit 2016 verdient er Lebensunterhalt mit Tieren

Tibor Wodetzky ist Quereinsteiger in der Tierhaltung. Und er bezeichnet sich als Hirte, nicht als Schäfer, weil er keine Ausbildung hat. Nach der neunten Klasse hat er die Waldorfschule ohne Abschluss geschmissen. Danach hat er in Küchen gearbeitet und war viel mit seiner Band unterwegs. „Nebenher war ich immer in der Landwirtschaft.“ Er hat an der Waldorfschule Gartenbau unterrichtet und bei Schäfern mitgearbeitet, „dort habe ich alles gelernt.“ Eine Zeit lang hat er mit dem Hirtenvolk Massai in Afrika gelebt, „da entstand die Idee mit Ziegen.“


Zurück in Deutschland schaffte er sich 2014 die ersten Ziegen an. Seit 2016 verdient er seinen Lebensunterhalt mit Tieren. „Ich habe mir einen Traum aufgebaut.“ Er wird bezahlt für die Landschaftspflege, also das natürliche Mähen von Wiesen durch die Tiere. Und er lässt Rinder, Zicklein und Lämmer schlachten, mit dem Fleischverkauf verdient er auch.

Hunde im Zwinger, weil sie „Arbeitshunde“ sind

Ist Tibor Wodetzky nun ein Tierquäler? Einerseits haben seine Tiere im Stall nicht gerade viel Platz. Und Wodetzky kann oder will auf manche Fragen nicht antworten. Trotz mehrfachem Nachhakens sagt er nicht, wie viel Quadratmeter Platz jedes Tier hat. Er wiederholt nur: „Sie werden tierschutzkonform gehalten.“ Auf die Frage, warum er die Hunde in einen Zwinger sperrt, entgegnet er, dass es sich um „Arbeitshunde“ handle und er sich deshalb genau habe beraten lassen vom Veterinäramt. Andererseits wirken die Tiere zumindest auf Laien gesund. „Ich bin immer da für die Tiere, stehe auch im strömenden Regen bei ihnen.“ Sein Betrieb sei eben kein Schaubauernhof: „Bei mir ist alles echt.“ Also: Nachfragen bei den Experten.


Regelmäßig werde der Betrieb kontrolliert, sagt Dominique Wehrle, Sprecher der Stadt Ostfildern. „Dabei konnten keine gravierenden Verstöße festgestellt werden.“ Auch aus dem Esslinger Veterinäramt heißt es, dass schon im Winter 2020/2021 ähnliche Anzeigen bezüglich der Tiere von Wodetzky eingegangen seien. „Bei Kontrollen haben sich diese seinerzeit überwiegend nicht bestätigt“, richtet eine Sprecherin des Landratsamts aus.

„Keine gravierenden Verstöße festgestellt“, heißt es

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Die Tierschutzorganisation Peta kritisiert, dass die Amtsveterinäre zu lax vorgingen. „Wir bekommen regelmäßig Meldung über schlechte Schafhaltung, auch im Kreis Esslingen“, sagt Peter Höffken. So hätte Peta im Januar 2021 erfahren, dass Schafe auf geschlossener Schneedecke Lämmer bekommen würden, ohne Unterstand. „Nach unserer Meldung an den Amtsveterinär wurde ein Holzwagen auf die Weide gestellt, allerdings war der nicht annähernd groß genug für alle Schafe. Und die Lämmer kamen aufgrund der Höhe gar nicht hinein.“ Ob es sich dabei um Wodetzkys Tiere handelt, kann Höffken nicht mit Sicherheit sagen, nur mutmaßen.

Stadt Ostfildern kündigt erneute Prüfungen an

Das Veterinäramt erklärt sich die Vorwürfe auch mit dem Standort im Körschtal: „Aufgrund der exponierten Lage der Stallungen mit vielen Freizeitgängern gehen regelmäßig Anzeigen ein.“ Die Auffassungen der Öffentlichkeit und der Tierhalter gingen „regelmäßig auseinander“. Die Stadt Ostfildern kündigt an, den Betrieb wieder zu prüfen. Unterdessen weist Wodetzky darauf hin, dass bei ihm nicht das Übel der Tierhaltung zu suchen sei: „Schweine- oder Hühnermast sind eine ganz andere Hausnummer.“

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