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True Crime: Die Ehefrau des Parkplatzmörders ahnte nichts

Am 1. Februar 2012 wird Detlef S. (Mitte) zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Foto: dpa/Franziska Kraufmann

Fast ein Vierteljahrhundert lang hat Detlef S. ein Doppelleben geführt. Er hat seine Frau zigfach betrogen und ihr Geld verprasst. Dann ermordet er im Jahr 2010 zwei Homosexuelle auf Parkplätzen. Eine Geschichte darüber, wie alles ans Licht kam.


Esslingen/ Magstadt - Sie hat nichts geahnt. Dass ihr Ehemann seit vielen Jahren eine Freundin hat. Dass er sich mit Männern zum Sex trifft. Dass er ihr Erspartes, rund 350 000 Euro, verjubelt hat und mit dem Geld zu Prostituierten, in Schwulenclubs und ins Pornokino geht. Dass er zwölf Handys und 30 Konten hat - ohne Geld darauf. Und dass er zwei Männer umgebracht hat, einen Dritten schwer verletzt.


Als Renate H. davon erfährt, ist sie 63 Jahre alt. Mit ihrem acht Jahre jüngeren Ehemann Detlef S., einem Postbeamten, lebt sie in Esslingen. Es ist der 11. Dezember 2010, als Beamte der Kriminalpolizei die gemeinsame Wohnung stürmen. Renate H. erfährt, dass ihr Mann, den sie „Teddy“ und der sie „Engelchen“ nennt, ein gesuchter Doppelmörder ist.

Die Ex-Frau gibt keine Interviews mehr

Als Detlef S. ins Gefängnis kommt, hat Renate H. unfassbar viel zu verarbeiten. Und sie macht dies zumindest anfangs öffentlich. Sie tritt in Talkshows auf, lässt sich von diversen Medien interviewen – und schreibt ein Buch. „Und ich habe nichts geahnt“ erscheint im Sommer 2015, viereinhalb Jahre nachdem Detlef S. festgenommen wurde.


„Dass ich damit an die Öffentlichkeit gehen will, habe ich nach meinen Klinikaufenthalten entschieden“, sagt Renate H. 2015 in einem Interview. Das Buch solle auch eine Warnung für andere Frauen sein: „Ich wollte (...) zeigen, dass man besser hinschauen und nicht alles glauben soll. (...) Es muss natürlich nicht so ausarten wie bei meinem Ex-Mann. Aber ich glaube, viele Frauen machen sich etwas vor und wollen nicht richtig hinsehen.“

Heute steht Renate H. nicht mehr für Interviews zur Verfügung, teilt die Münchner Verlagsgruppe mit, in der sie 2015 das Buch über das Doppelleben ihres Ex-Manns veröffentlicht hat.

Todesopfer wird mit heruntergelassener Hose gefunden

Den Ermittlungen zufolge wird Detlef S. am Abend des 8. Mai 2010 erstmals zum Mörder. Doch es dauert, bis die Polizei ihn fasst. Auf einem Parkplatz im Hölzertal in Magstadt – ein beliebter Treffpunkt für schwule Männer – bemerkt ein Autofahrer an jenem Abend etwas Seltsames: Die Fahrertür eines grünen Peugeot steht offen. Hinter dem Steuer sitzt leblos ein 30-Jähriger mit heruntergelassener Hose. Der Notarzt kommt zu spät für den 30-jährigen, ehemaligen Soldaten Heiko S. Er wurde durch einen Kopfschuss umgebracht. Etliche Polizisten durchkämmen das Gebiet, ein Hubschrauber sucht mit Wärmebildkamera nach dem Mörder. Erfolglos.


Zunächst ermittelt die Polizei in die falsche Richtung: Ein 33-jähriger Sindelfinger muss für mehrere Wochen in Untersuchungshaft, weil er in der Nähe des Tatorts mehreren Zeugen aufgefallen war und außerdem ein Auto mit auffällig abgedunkelten Seitenscheiben fuhr. Doch die Tatwaffe findet die Polizei nicht bei ihm.

Unterdessen machen Detlef S. und Renate H. Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff. Noch ahnt die Ehefrau von nichts.

Letztlich verrät das Auto den Mörder

Doch kurz darauf, im Juli 2010, wird ein Mann mit derselben Waffe ermordet wie Heiko S. – wieder in der Nähe eines als Homosexuellen-Treffpunkt bekannten Parkplatzes, das Opfer ist nackt. Hans Friedrich L. wurde mit 70 Jahren getötet; an der A 5 bei Mörfelden-Walldorf in Hessen. Zunächst muss ein 50-Jähriger aus Frankfurt für zwei Wochen in Untersuchungshaft, weil er die Leiche von Hans L. gefunden hat.


Im Oktober wird unter dem Titel „Zwei Morde – eine Waffe“ in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ über die beiden Morde berichtet. Obwohl daraufhin einige Hinweise aus der Bevölkerung eingehen, kommen die Ermittler nicht weiter. Doch kurz darauf, Ende November 2010, stellen Kriminaltechniker fest, dass bei einem Messerüberfall im Juni 2010 in Freudenstadt Spuren derselben DNA gefunden wurden wie an dem Parkplatz in Magstadt, wo Heiko S. getötet wurde. In Freudenstadt hatte der Täter einen 62-jährigen belgischen Touristen in seinem Auto mit einem Messer überfallen und war danach zu Fuß geflohen. Als die Polizisten die drei Fälle miteinander vergleichen, entdecken sie auf den Fluchtwegbildern von Freudenstadt einen schwarzen 7er-BMW mit Esslinger Kennzeichen. Ein solcher Wagen war Zeugen auch schon am Tatort in Magstadt aufgefallen. Es ist das Auto von Detlef S.

Parkplatzmörder war früher Gast im King’s Club und Pornokino

Am 12. Dezember nimmt die Polizei in Esslingen den damals 55-Jährigen fest. In seinem BMW finden die Ermittler die Waffe, eine schwarze Umhängetasche mit Handschuhen, Masken, einen Elektroschocker und einen Zettel mit den Worten: „Dies ist ein Überfall!“


Noch bevor der Prozess gegen ihn beginnt, unternimmt Detlef S. zwei Suizidversuche. Im Verfahren sagt dann unter anderem Laura Halding-Hoppenheit aus, eine Ikone der Stuttgarter Schwulen-Szene. Sie gibt an, dass sie den Parkplatzmörder mehrfach in ihren Homosexuellen-Diskotheken gesehen hat. Auch der Betreiber eines Homosexuellen-Kinos in Bad Cannstatt erkennt den Mörder: Er sei immer montags gekommen, um sich Filme anzuschauen – da sei es billiger.

Lebenslange Haftstrafe mit Sicherungsverwahrung

Detlef S. selbst schweigt während des kompletten Verfahrens, nur einmal bittet er seine Frau um Verzeihung. Seine Frau glaubt zunächst an seine Unschuld. Doch als sie erfährt, dass er eine langjährige Affäre mit einer Arbeitskollegin hatte, verliert auch sie ihr Vertrauen in ihn.


Am 1. Februar 2012 wird Detlef S. wegen Mordes in zwei Fällen und versuchtem Mord zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das Motiv bleibt bis zum Schluss unklar, weil Detlef S. keine Aussage macht. Allerdings steht die Vermutung im Raum, dass die Morde mit Hass auf schwule Männer zusammenhängen könnten. Detlef S. soll sich in den 90er Jahren bei einem Kenia-Urlaub mit Hiv angesteckt haben. Zum Zeitpunkt der Verurteilung ist er an Aids erkrankt.

Wenn die Ehefrau zu viel fragte, wurde ihr gedroht

Seine Frau lässt sich von ihm scheiden. Im Jahr 2013 besucht sie ihn noch einmal im Gefängnis. In einem Interview 2015 berichtet sie, dass sie inzwischen von Grundsicherung lebe und in einer geförderten Zwei-Zimmer-Wohnung außerhalb Stuttgarts lebe. Einst habe sie als selbstständige Werbefachfrau gut verdient, viel mehr als ihr Mann. Nun müsse sie jeden Cent umdrehen. In einem anderen Interview sagt sie: „Immer wieder kommt die Frage, ob ich nicht irgendwas bemerkt habe. Wie man mit so jemandem 23 Jahre Tisch und Bett teilen kann.“ Doch ihr sei wirklich erst im Nachhinein klar geworden, warum er nachts manchmal stundenlang verschwunden war. In der Beziehung habe sie sich nicht getraut zu viel zu fragen, denn sonst habe er ihr mit der Trennung gedroht, „schon war ich still“.


Detlef S. hat nicht nur die Psyche der Angehörigen der Todesopfer beschädigt, sondern auch die seiner Ex-Frau. Sie muss mehrfach in eine Klinik, um sich psychologisch behandeln zu lassen. „Die Vorstellung, dass mein Ex-Mann mir 23 Jahre lang etwas vorgespielt hat. Sich mich vielleicht sogar ausgesucht hat, um sein perfides Spiel zu spielen. Das hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen.“ Im Nachhinein stelle sie ihr ganzes Leben in Frage.

Immerhin, in dem Interview 2015 sagt sie auch: „Heute denke ich nur noch wenig an ihn. Er ist mir gleichgültig.“

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