1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Flughafen, Messe und A 8: Der krasse Wandel der Filderebene

Die Filderebene bestand einst vor allem aus Feldern. Im Laufe der Zeit kamen neue Siedlungen, Straßen, Flughafen und Messe dazu. Foto: Rebecca Beiter

Vor einem halben Jahrhundert sahen die Filder völlig anders aus als heute: Die Messe gab es nicht, der Flughafen war viel kleiner, die Bauern hatten viel mehr Felder. Der dramatische Wandel stieß auf heftigen Widerstand.

Leinfelden-Echterdingen - Kaum eine Gegend, die von so krassen Extremen lebt wie die Filderebene: Einerseits gibt es dort das Siebenmühlental, in dem man sich schnell mal fühlen kann wie im Allgäuurlaub. Andererseits sind die Filder einer der stärksten Wirtschaftsstandorte Deutschlands; mit dem Stuttgarter Flughafen, der Landesmesse und zig großen Firmen wie Lapp Kabel in Stuttgart-Möhringen, Herma in Filderstadt und künftig auch Daimler Truck in Leinfelden.


Ständig wird irgendwo gebaut oder abgerissen

Wenn Roland Klenk Besuch bekommt, hört er daher oft diesen Satz: „Ich sehe überall nur Baukräne.“ Klenk ist Oberbürgermeister von Leinfelden-Echterdingen. Der Flughafen und die Landesmesse, die Autobahn 8 und die Bundesstraße 27, die S-Bahn und eine Stadtbahn – die einst ländliche Kommune verfügt heute über die Infrastruktur einer Großstadt und macht nie Pause. Ständig wird irgendwo etwas abgerissen, neu gebaut, erweitert. Stetiger Wandel.


Wie hält man es dort aus? „Es gibt keinen Punkt in Leinfelden-Echterdingen, wo man nicht innerhalb von fünf Minuten auf einer Wiese oder im Wald ist“, sagt Klenk. Und tatsächlich sei nur ein Drittel der Gemarkung von L.-E. bebaut, ein Drittel ist Wald, ein Drittel landwirtschaftliche Flächen. Zudem sei man vom ÖPNV „gesegnet“. Für ihn und viele Menschen, die auf den Fildern wohnen, sei diese Mischung perfekt: „Man hat die Großstadt Stuttgart vor der Tür, aber muss nicht in ihr wohnen.“ Die Bevölkerung reiche vom „einfachen Bäuerle“ bis zum „globalen Player“, der Großteil sei liberal eingestellt.


Auf den Fildern wächst noch immer jede Menge Gemüse

Bekannt ist die Filderebene für ihren fruchtbaren Boden. Es wächst dort allerlei Gemüse, unter anderem das Filderkraut, das sogar ein eigenes Fest bekommen hat: Jedes Jahr im Herbst strömen Tausende zum Krautfest in Leinfelden-Echterdingen.


Diese Mischung aus Landwirtschaft, wirtschaftlichen Interessen und dem Bedürfnis der Anwohner nach Ruhe hat schon einige Konflikte erzeugt. Bereits 1967 hat sich deshalb auf den Fildern eine Schutzgemeinschaft gegründet, die sich als Ziel gesetzt hat, die Filder vor Zersiedelung und Zerstörung zu bewahren.


Das Landesmessegesetz sei „das Übelste“ gewesen

Das größte und umstrittenste Bauprojekt der vergangenen 50 Jahre war den Bau der Landesmesse, wofür mehr als 90 Hektar Filderboden bebaut und die Landschaft massiv verändert wurde. Bis 2007 war die Messe auf dem Stuttgarter Killesberg gewesen, doch der Platz dort reichte nicht mehr aus. Bereits Ende 1996 fanden erste Verhandlungen statt, um die benötigten Grundstücke zu erwerben.


Die betroffenen Landwirte und die Stadt Leinfelden-Echterdingen wehrten sich zunächst massiv gegen den Messebau. Auch die Schutzgemeinschaft Filder leistete erheblichen Widerstand – und verlor doch. Im März 2003 genehmigte das Regierungspräsidium das Projekt, im August 2004 verkündeten die Landwirte und die Stadt Leinfelden-Echterdingen, dass sie auf alle weiteren Klagen verzichten und ihre Böden hergeben – gegen viel Geld. Durch das damals neu formulierte Landesmessegesetz als Grundlage für die Genehmigung hätten die Gegner keine echte Chance mehr gehabt, sagt der Vorsitzende der Schutzgemeinschaft Steffen Siegel heute. „Das war das Übelste, was passiert ist.“ Aufgrund des Nachgebens der Landwirte wurde auch nie mehr geklärt, ob das Landesmessegesetz eigentlich der Verfassung entsprach. „Eigentlich sollte die Messe noch viel größer werden“, sagt Siegel. „Zumindest das konnten wir verhindern.“


Die Messe hat der Gastronomie und den Hotels gut getan

Roland Klenk wurde zum Oberbürgermeister gewählt, als die Auseinandersetzung um die Messe gerade auf dem Höhepunkt war. Klenk gehörte anfangs eher zu den Kritikern des Projekts, sogar einen Anwalt hatte er beauftragt. Später sprach er sich für den Bau aus. „Als Kind aus einem Arbeiterhaushalt habe ich die Angst vor Arbeitslosigkeit und deren Folgen immer spüren können“, erklärt er. „Und ich habe die wirtschaftlichen Chancen der Messe begriffen.“

Trotz aller Konflikte habe sich die Bevölkerung relativ schnell an die Messe gewöhnt, sagt Klenk – und der Gastronomie und Hotellerie habe sie mehr als gut getan. Es wurden zahlreiche Hotels in der Stadt gebaut, 2019 gab es mehr als eine halbe Million Übernachtungen in L.-E. Damit folgt die Kommune bei der Anzahl der Übernachtungen in der Region Stuttgart direkt hinter der Landeshauptstadt und vor deutlich größeren Städten wie Esslingen oder Sindelfingen. So langsam müsse es aber genug sein mit den Hotels, „denn die bringen nicht nur Gäste und den Duft der weiten Welt, sondern auch viel Verkehr“, haben Klenk und seine Kollegen festgestellt.


Sogar der Oberbürgermeister demonstrierte mit

Kurz nach der Entscheidung für den Messebau auf den Fildern flammte die Diskussion um eine zweite Startbahn am Stuttgarter Flughafen auf. Rund um das Jahr 2007 wurde dies so ernsthaft diskutiert, dass sogar der Oberbürgermeister selbst auf einer Demonstration anzutreffen war. „Gott sei Dank war das Thema schnell vom Tisch“, sagt Klenk. Es wäre damals wie heute nicht nötig gewesen, mit einer zweiten Startbahn die Landschaft zuzupflastern.


Gewachsen ist der Flughafen seit den 50er Jahren aber dennoch erheblich. 1951 wurde die Start- und Landebahn auf 1,8 Kilometer verlängert, zehn Jahre später auf 2,5 Kilometer. Inzwischen misst sie 3,3 Kilometer. Bauern mussten immer wieder Äcker abgeben, um dieses Wachstum zu ermöglichen.


Vor allem Ältere klagen über Bauarbeiten

Auch Stuttgart 21 und die neue ICE-Strecke nach Ulm waren höchst umstritten auf den Fildern: „In L.-E. war die Zustimmung noch knapper als in Stuttgart, 51 Prozent votierten bei der Volksabstimmung 2011 für das Projekt“, erinnert sich der Oberbürgermeister. Klenk selbst war Befürworter, übel genommen habe man ihm das nicht, glaubt er. „Ich vertrete aber die Interessen der Stadt bockelhart.“ Er versuche alles, um die Bürger vor Lärm und Erschütterungen durch S-21-Bauarbeiten zu schützen.

Dennoch sollte man auf den Fildern nicht allzu empfindlich sein, was Baulärm angeht. Vor allem wenn Roland Klenk ältere Bürger trifft, wird er immer wieder gefragt, ob man dieses oder jenes Bauprojekt nun „echt auch noch machen muss“. Er entgegne dann meist, dass ja auch sie mal in L.-E. gebaut hätten, meist keine kleinen Grundstücke besäßen, „und auch die Kinder und Enkel Anspruch auf ein Grundstück haben“.

Flughafen und Messe bringen der Stadt viel Geld

Und man habe freilich nicht jeder Baumaßnahme zugestimmt: „Wir haben uns sehr gut überlegt, was wir tun, und sind mit dem Flächenfraß sehr vorsichtig umgegangen. Ich habe schon vielen guten Firmen hier abgesagt“, sagt Klenk. Zudem habe man immer eher versucht zu verdichten und höher zu bauen, statt die Ortsränder zu verschieben.

Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft sieht das anders: „Kommunen leben davon, wenn sie Bauland ausweisen. Das ist ein Teufelskreis.“ Deshalb gehe es den Filder-Gemeinden besser als Kommunen „in der Pampa“. Aber das bedeute auch, dass viele Leute nicht mehr herziehen könnten, weil es so teuer geworden sei, auf den Fildern zu leben. Jedenfalls können die Kommunen nicht klagen über mangelnde Gewerbesteuereinnahmen. „Die Stadt hatte immer Geld“, sagt Klenk über L.-E.


Es wird immer weiter gebaut

Klar ist: Das Wachstum auf den Fildern wird so schnell nicht aufhören: Bereits begonnen haben etwa Arbeiten im Gebiet Schelmenäcker in L.-E., wo bis vor einigen Jahren noch Obstbaumwiesen waren. Wohnungen für bis zu 500 Menschen entstehen dort, ein neues Jugendzentrum, eine Kita sowie Platz für Industrie. „Und nachdem wir keinerlei Gewerbeflächen mehr haben, werden wir wieder neue Flächen erschließen“, kündigt Klenk an. Zwar solle dies maßvoll und ökologisch passieren, aber es sollen sich eben neue Unternehmen ansiedeln können. Unterdessen fordert Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft: „Es darf kein Quadratmeter Filderboden mehr zugebaut werden.“


Woher der Begriff „Filder“ stammt

Begriff: Der Name Filder stammt von den Ausdrücken Gefilde beziehungsweise Felder, weil die Gegend landwirtschaftlich schon immer stark genutzt wurde. Der Begriff wird genau wie das Wort Felder grammatikalisch flektiert. Es heißt also: „Ich mache einen Ausflug auf die Filder“, aber: „Ich wohne auf den Fildern.“

Umfang: Leinfelden-Echterdingen gehört gemeinsam mit Filderstadt, Ostfildern, Neuhausen, Denkendorf, Wolfschlugen sowie den Stuttgarter Stadtbezirken Plieningen, Birkach, Degerloch, Sillenbuch, Möhringen und Vaihingen zur Filderebene. Am Rande gehören auch die Esslinger Stadtteile Berkheim und Zollberg sowie ein Teil der Stadt Aichtal dazu.

Zum Original