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Mordfall Maria Bögerl: Warum ist die Tat bis heute ungeklärt?

Maria Bögerl wurde mit 54 Jahren erstochen. Ein Jahr später erhängt sich ihr Ehemann. Foto: dpa/Stefan Puchner

Im Mai 2010 wird Maria Bögerl entführt, die Frau des Sparkassenchefs in Heidenheim. Drei Wochen später findet ein Spaziergänger ihre Leiche. Der Täter fehlt bis heute. Das könnte auch an Fehlern der Polizei liegen.

Heidenheim - Elf Jahre nach dem Tod von Maria Bögerl will niemand mehr darüber reden. Der ehemalige Chef der Sonderkommission nicht. Die Ermittler der Ulmer Polizei nicht, die bis heute versuchen, herauszufinden, wer der Mörder der 54-jährigen Frau war. Auch der damals amtierende Heidenheimer Bürgermeister, der sich kürzlich in den Ruhestand verabschiedet hat, steht für kein Gespräch zur Verfügung. Und die Menschen, die in Heidenheim leben, betonen alle, dass dieser Fall unfassbar traurig sei, aber auch sie nur wenig dazu sagen könnten.


Das Lösegeld wird zu spät an der Autobahn abgelegt

„In der Zeit, als das passiert ist, hat man in Heidenheim schon darüber geredet und einiges gelesen“, sagt Uwe Siedentop, Inhaber eines Verlags in Heidenheim. „Man hat sich vor allem gewundert, weil bei den Ermittlungen ja das ein oder andere schiefgelaufen ist.“ Und Ingrid Kriesten, Vorstandsmitglied des Heimat- und Altertumsvereins in Heidenheim, sagt: „Man ist wortlos und sehr ratlos.“ Das Ganze sei tragisch und habe eine Lücke in der Stadt hinterlassen.

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Maria Bögerl, Sonderschullehrerin und Ehefrau des Heidenheimer Kreissparkassenchefs Thomas Bögerl, wird am 12. Mai 2010 vormittags aus dem gemeinsamen Haus in Heidenheim entführt. Ein Mann mit schwäbischem Dialekt ruft bei Thomas Bögerl an und fordert 300 000 Euro Lösegeld in einer bestimmten Stückelung. Der Ehemann legt das Geld wie vereinbart in einen Müllsack neben die Autobahn 7, markiert mit einer Deutschlandflagge – noch am selben Tag, aber etwas später als vom Entführer gefordert. Später sagt die Familie, dass die Polizei nicht geholfen habe bei der Beschaffung des Geldesund es darum länger gedauert habe. Die 300 000 Euro werden jedenfalls nicht abgeholt, der Entführer meldet sich nie wieder.

Sohn erfährt aus dem Internet vom Tod seiner Mutter

Eine Woche nach dem Verschwinden wenden sich Thomas Bögerl und die beiden erwachsenen Kinder in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen X Y ... ungelöst“ an die Öffentlichkeit. Sie bitten um Hinweise, versuchen, den oder die Entführer zu erreichen. Sie bitten darum, die damals noch als vermisst geltende Maria Bögerl freizulassen. Danach gibt es viel Kritik an dem Auftritt. Manche verbreiten Gerüchte, die Familie sei in Wahrheit selbst in die Entführung verstrickt und die Angst sei nur gespielt.

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Drei Wochen nach der Entführung, am 3. Juni 2010, entdeckt ein Spaziergänger im Wald die Leiche von Maria Bögerl unter einem Reisighaufen – nur wenige Kilometer vom Zuhause der Familie entfernt. Polizisten hatten den Wald zuvor bereits durchsucht, hatten jedoch nur ihr Handy gefunden. Das wird den Ermittlern vorgeworfen. Außerdem kritisiert die Familie die Spurensicherung, die wohl erst viel zu spät und ungenau nach Spuren des Täters im Haus der Familie gesucht habe. Der Sohn gibt zudem an, er habe auf der Internetseite einer Boulevardzeitung gelesen, dass die Leiche seiner Mutter gefunden worden sei, die Polizei hatte es ihm bis dahin nicht mitgeteilt.

Ein Jahr nach dem Mord erhängt sich der Ehemann

Damit endet die Tragödie noch nicht. Im Herbst 2010 wird die Familie selbst von der Sonderkommission in den Kreis der Verdächtigen einbezogen. Ermittlungen gegen den Ehemann Thomas Bögerl beginnen. Und auch gegen Sohn Christoph und den Freund der Tochter Carina wird kurzzeitig ermittelt. Grund dafür ist die Auswertung der Telefonanlage. Dabei kommt heraus, dass die jungen Männer am 6. Mai 2010, eine Woche vor der Entführung, mit einem Unbekannten telefoniert hatten, der sich im Haus der Familie aufgehalten hatte. Die Ermittler vermuten, dass sie mit ihm die Entführung geplant hatten. Die Polizei überwacht nun die Wohnungen der beiden, ihre Telefonate und Mails.

Im April 2011 stellt sich jedoch heraus, dass es am 6. Mai 2010 einen Spannungsabfall im Heidenheimer Stromnetz gegeben hatte. Dadurch hatte sich die Telefonanlage der Bögerls abgeschaltet, und die Zeitangabe war auf null Uhr gesprungen. Alle registrierten Anrufe waren also zu einer anderen Zeit geführt worden. „Ich fühlte mich entwürdigt und in die Enge gedrängt durch ihre absurden Behauptungen“, sagt der Sohn Christoph in einem Interview von 2012 über die Ermittlungen der Polizei.

Im Januar 2011 werden bei Thomas Bögerl Depressionen diagnostiziert. Am 1. Juli 2011 erhängt er sich. In Bögerls Todesanzeige kritisieren die beiden Kinder und seine Mutter nicht nur die Arbeit der Ermittler, sondern auch die Öffentlichkeit. Thomas Bögerl habe „den Verlust seiner geliebten Frau, die erfolglosen polizeilichen Ermittlungen, die unsäglichen Verleumdungen und den zuletzt daraus resultierenden Abschied aus seinem Beruf nicht mehr ertragen können“, heißt es. In einem Interview von 2012 sagt die Tochter Carina Bögerl in Richtung der Polizei: „Das Ausmaß an Pannen hat unser Vertrauen zerstört. Du schreist um Hilfe, doch die Instanz, die dazu da ist, dir zu helfen, macht tausend Fehler und versinkt in planlosem Aktionismus.“

Jeder Verdacht zerstreut sich wieder

Im Februar 2014 ruft die Polizei zu einem Massengentest auf. Alle Männer zwischen 21 und 68 Jahren aus der Stadt Neresheim im Ostalbkreis sollen eine Speichelprobe abgeben. 3000 Männer werden angeschrieben, doch nicht alle kommen der Aufforderung nach. Der Täter wird nicht gefunden. 2014 verurteilt das Landgericht in Ellwangen einen Familienvater aus Giengen, der monatelang falsche Gerüchte gestreut und der Polizei versprochen hatte, er könne die Täter – zwei Russen – gegen Geld ausliefern. Im Jahr 2017 wird ein Mann in Königsbronn festgenommen, zehn Kilometer von Heidenheim entfernt, nachdem dieser augenscheinlich Täterwissen kundtat. Doch seine DNA passte nicht zum Fingerabdruck des Täters, der im Auto von Maria Bögerl gefunden wurde. Im Januar 2020 werden Häuser im Kreis Schwäbisch Hall und im bayerischen Kreis Donau-Ries durchsucht, weil drei Menschen verdächtigt werden, darunter ein Ehepaar. Doch der Verdacht zerstreut sich.

Nach dem zehnten Jahrestag im Mai 2020 gehen erneut viele neue Hinweise bei der Polizei ein, sie bringen die Ermittler jedoch nicht weiter. Obwohl inzwischen mehr als 8000 Speichelproben genommen wurden, war die passende noch nicht dabei.

Kein Fall sei bundesweit mit diesem vergleichbar

Die Heidenheimerin Ingrid Kriesten kannte die Bögerls nicht und gehört auch nicht zum „Klüngel“ im Ort, wie sie sagt. Betroffen gemacht hat sie der Fall trotzdem – wie so viele Menschen: „Vor allem im Nachgang ist das tragisch; durch den Selbstmord des Mannes und das Zurückbleiben der Kinder.“ Bis heute wurde der Mörder von Maria Bögerl nicht gefasst. Man nennt dies einen „Cold Case“. Rund 400 ungeklärte Tötungsdelikte gibt es in Baden-Württemberg. Doch kein Kriminalfall werde in dieser Kontinuität bearbeitet, wie der Fall Bögerl, sagte der Ulmer Kriminaldirektor Thomas Friedrich vergangenes Jahr dem „Spiegel“. Und kein Fall sei bundesweit mit diesem vergleichbar.


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