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Wohnen rund um Stuttgarter Flughafen: Wie lebt es sich mit ständigem Fluglärm?

Wer auf den Fildern lebt, kommt zwangsläufig mit Fluglärm in Berührung.

Seit über neue Abflugrouten am Stuttgarter Flughafen debattiert wird, sind besonders belastete Gemeinden in den Fokus gerückt. Wie hält man das dort aus? Menschen aus Neuhausen auf den Fildern und Schönaich berichten.

Schönaich/ Neuhausen - Das Leben rund um den Stuttgarter Flughafen bedeutet Glück und Leid zugleich: Einerseits sind auf den Fildern viele Firmen angesiedelt. Wer hier wohnt, hat also oft kurze Wege zur Arbeit. Außerdem kommt man überall schnell hin, da die A 8, die A 81 und die B 27 nie weit weg sind, es einen guten Nahverkehr gibt - und natürlich den Flughafen für weite Strecken. Die Kehrseite der Medaille besteht darin, dass man kaum auf den Fildern wohnen kann, ohne von Lärm betroffen zu sein: durch Straßen, durch die vielen Baustellen - und durch Flugzeuge.

Corinna und David Rebmann sind beide in Schönaich im Kreis Böblingen aufgewachsen, dort zur Schule gegangen – und wohnen inzwischen als verheiratetes Paar wieder dort. So ganz ohne Lärm – das kennen die beiden 30-Jährigen gar nicht. Die 10 000-Einwohner-Gemeinde Schönaich liegt direkt in der Einflugschneise des rund zehn Kilometer Luftlinie entfernten Flughafens – und die Flieger fliegen dort relativ tief. Man kann also nicht in Schönaich wohnen und nichts vom Flughafen mitbekommen.

Manchmal müsse man sich wegen des Fluglärms regelrecht anschreien

„In meiner Kindheit und Jugend hat mich der Lärm wenig gestört, weil man so daran gewöhnt war“, sagt David Rebmann. „Aber wenn man einmal woanders gelebt hat und dann wieder kommt, fällt es einem stark auf – und es nervt.“ Vor allem im Sommer sei es nervig, findet Corinna Rebmann: „Wenn man draußen sitzt und sich unterhält, muss man das Gespräch oftmals kurz unterbrechen oder sich regelrecht anschreien.“

David Rebmann leidet vor allem nachts, weil er gerne mit offenem Fenster schläft. In letzter Zeit wacht er oft auf, „ich habe den Eindruck, dass wieder mehr Flieger nachts unterwegs sind“. Womöglich fällt es ihm aber auch nur mehr auf, weil es während des Lockdowns so ruhig war, „das war schon sehr entspannt“, sagt David Rebmann. Vor allem weil das Paar gerade während dieser Zeit so viel spazieren war und draußen saß.

Nach einem Aufenthalt in Irland war der Schock groß

Besonders groß war der Schock für seine Frau und ihn 2018, als sie nach einem siebenmonatigen Aufenthalt in Irland wieder zurückkehrten. „Dort ist uns gar nicht aufgefallen, wie leise es war – aber als wir wiederkamen, haben wir schon darüber gesprochen, ob wir wirklich wieder so nahe zum Flughafen ziehen wollen“, sagt David Rebmann. Jobbedingt zogen sie vorerst auf die andere Seite des Flughafens; nach Denkendorf im Kreis Esslingen. Auch dort hörten sie die Flieger, Denkendorf liegt ebenfalls in der Flugschneise. Im November 2020 ist das junge Paar wieder nach Schönaich gezogen.

Was wäre den beiden wichtiger: dass die Flugzeuge leiser werden oder dass weniger geflogen wird? Corinna Rebmanns Antwort ist eindeutig: „Weniger Flieger – vor allem aus Klimaschutzgründen.“ David Rebmann wünscht sich eine konsequente Nachtruhe: „Wenn ich zwischen 22 und 6 Uhr keine Flieger mehr hören würde, wäre ich happy.“

Der Lärm sei stark abhängig vom Wetter

Noch näher am Flughafen als in Schönaich wohnen die Menschen in Neuhausen auf den Fildern. Vom äußersten Zipfel der 12 000-Einwohner-Gemeinde sind es gerade einmal anderthalb Kilometer bis zum Ende der Landebahn, wo Spaziergänger und Radfahrer gerne Fotos machen. Michael H. geht dort oft spazieren mit seinem Hund. Der 68-Jährige wohnt seit 1981 mit seiner Frau in Neuhausen. Der pensionierte Daimler-Manager weiß, dass das Thema Fluglärm gerade hohe Wellen schlägt, darum will er seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen.

„Wir wohnen 3000 Meter von der Startbahn weg“, sagt er. „Das geht morgens um 6 Uhr los, und ab dann geht alle paar Minuten ein Flieger hoch.“ Besonders laut hören er und seine Nachbarn die Flugzeuge, die in östlicher Richtung abfliegen, aber auch die in Richtung Westen seien vernehmbar, wenn auch etwas leiser, sagt er. „Das ist stark abhängig vom Wetter. Es gibt Tage, da denken Sie, der Flieger steht direkt vor Ihnen. Und dann gibt es Tage, da merkt man wenig.“

In Neuhausen hat man den Flughafen und die Autobahn

Vor allem Besucher würden sich die Augen reiben und ihn fragen, wie er das aushalte, sagt Michael H. Ihm fällt der Fluglärm vor allem morgens auf, tagsüber gehe er in dem restlichen Geräuschpegel unter – „man hört in Neuhausen ja auch die Autobahn“.

Auch Michael H. und seine Frau haben zwischenzeitlich mal im Ausland gelebt, sieben Jahre waren es bei ihnen. Als sie 1998 wiederkamen, entschieden sie sich erneut für Neuhausen – trotz des Fluglärms. Warum? „Ich habe in meinem Berufsleben auch die Vorteile des Flughafens genossen“, sagt Michael H. Etwa alle sechs bis acht Wochen habe er einen Interkontinentalflug nehmen müssen – in der Regel erst von Stuttgart nach Frankfurt und dann von dort aus weiter.

Manche Menschen werden krank durch den Lärm

„Der Flughafen und die Filderebene bietet den Menschen auch einiges. Man kommt überall gut hin“, sagt er. Erst durch Corona habe er gemerkt, wie ruhig Neuhausen ohne die ständigen Flieger sein könnte. „Auch heute kann man den Lärm längst nicht vergleichen mit dem, wie es vor 2020 war.“ Derzeit würde er etwa alle zehn Minuten ein Flugzeug hören. Vor Corona hätten seine Frau und er oft eine Warteschlange von fünf, sechs Fliegern am Himmel beobachtet.

Dennoch: Für ihn wäre es in Ordnung, wenn das Flugaufkommen wieder so hoch wie vor Corona werde. „Ich weiß aber auch, dass andere dadurch krank werden“, sagt er. Langfristig rechnet er jedoch mit einem Aufschwung: „Geschäftsreisen werden zwar weniger, aber Urlaubsreisen nehmen zu.“ Noch mehr Flüge sollten es jedenfalls nicht werden, findet er, „sonst wäre das eine ganz andere Hausnummer“.

Streitpunkt neue Flugrouten

Fluglärm treibt die Menschen in der Region Stuttgart zurzeit stark um. Grund dafür ist der Vorschlag von Lufthansa und Eurowings, dass Piloten, die vom Stuttgarter Flughafen aus Richtung Süden unterwegs sind, künftig eine zusätzliche, neue Route nutzen sollten. Damit soll etwas Kohlenstoffdioxid eingespart werden und sollen einige Kommunen vom Fluglärm entlastet werden – etwa Ostfildern. Andere Orte wären voraussichtlich stärker belastet als bisher – etwa Nürtingen-Oberensingen oder Neuhausen. Weil sich deshalb bereits vier Bürgerinitiativen gebildet haben sowie mehr als 10 000 Unterschriften gegen die neue Route gesammelt wurden, soll es nun vorerst ein Lärmschutzgutachten geben. Zudem soll die alternative Route in einer Simulation durchgespielt werden

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