1 Abo und 2 Abonnenten
Artikel

Als Single durch den Lockdown

Katja Schlenker (28) und Max Genth (21) sind Halbgeschwister und beide derzeit ohne Partner oder Partnerin.


Alleinlebende bilden die häufigste Haushaltsform in Deutschland. Doch die Ruhe, die Singles im Alltag oft genießen, kann während der Pandemie zur Herausforderung werden.

Stuttgart - Zielstrebig kommt Katja Schlenker auf den Supermarkt am Vogelsang im Stuttgarter Westen zugelaufen. Das ist der vereinbarte Treffpunkt für einen Spaziergang, bei dem sie über ihr Leben als Single während der Corona-Pandemie erzählen will. Teilweise sei sie während der vergangenen Monate täglich hier einkaufen gewesen, sagt sie und muss selbst lachen. Wenn Bars, Clubs, Cafés, Fitnessstudios und Läden nicht öffnen dürften, sei der Supermarktbesuch ein echtes Highlight.


In den meisten Haushalten lebt nur eine Person

Die letzte Liebesbeziehung der 28-Jährigen liegt inzwischen fünf Jahre zurück. Im Juli ist sie aus ihrer Wohngemeinschaft ausgezogen, seitdem wohnt sie in einer Einzimmerwohnung. Damit gehört sie zu rund 17,6 Millionen Menschen in Deutschland, die laut Statistischem Bundesamt alleine leben (Stand 2019, im Vorjahr waren es 17,3 Millionen). Die Alleinlebenden bilden den Angaben zufolge die häufigste Haushaltsform vor den Zweipersonenhaushalten (13,8 Millionen).

Als Single im Lockdown – wie fühlt sich das an? „Ich bin darüber nicht traurig, ich vermisse nichts“, sagt Katja Schlenker. Und während der Feiertage? „Es ist auch ganz cool, mal nichts zu machen.“ Weihnachten hat sie mit ihrem jüngeren Halbbruder bei der Mutter in Sindelfingen verbracht. Auch die beiden sind Singles. An Heiligabend gab es Raclette – auch weil dieses Essen lange dauert. Danach wurden Spiele gespielt.

Beim Essen fehlt ein Gegenüber

Normalerweise ist die 28-Jährige jeden Tag verplant. Vor Corona war sie viermal pro Woche im Fitnessstudio, hat Freunde getroffen und Städtetrips an den Wochenenden unternommen. Dass sie dabei oft ohne Begleitung unterwegs ist, stört sie nicht. Auch dieses Jahr, als die Ansteckungszahlen noch niedrig waren, ist sie alleine nach Lissabon geflogen und hat dort Wellenreiten gelernt, am Gardasee war sie windsurfen. „Ich habe mein eigenes Leben und kann mich gut beschäftigen.“ Nur beim Essen fehle ihr manchmal ein Gegenüber, „allein essen ist komisch“.

Während in ihrer Clique seit Wochen darüber diskutiert wird, was an Silvester erlaubt ist und wer mit wem feiern könnte, hat sie sich früh aus der Diskussion rausgezogen und entschieden, dass sie auch die Neujahrsnacht bei ihrer Mutter zu Hause verbringt. „Natürlich finde ich Corona doof, ich kann nicht mehr feiern gehen, nicht mehr reisen. Aber nur weil ich Single bin, bin ich nicht allein.“ In diesen Tagen geht sie viel mit Bekannten spazieren oder trinkt mit Freundinnen zu Hause ein Glas Wein. Außerdem backt, kocht und liest sie mehr. „Es war für mich trotz allem ein gutes Jahr. Ich habe so viel gemacht.“

An Silvester bleibt die 59-Jährige allein

Auch ihr Halbbruder, Max Genth, steckt in keiner tiefen Krise. Silvester verbringt der angehende Wirtschaftsingenieur wohl bei einer Freundin, die Planungen laufen noch. Was dem 21-Jährigen fehlt, sind Treffen mit mehreren Kumpels, bei denen man „entspannt Bier trinken und reden“ kann. Stattdessen zocken sie nun viel am Computer oder an der Playstation. Gut für ihn war, dass er seit April einen Job als Werkstudent hat. Dadurch kommt er zweimal pro Woche raus, „und im Büro habe ich einige Kontakte“.

Ganz anders klingt das bei Isolde Reinert. Die 59-Jährige aus Althengstett (Landkreis Calw) ist seit 18 Jahren geschieden und hätte gerne wieder einen Partner. „Silvester verbringe ich dieses Jahr allein zu Hause.“ Ihre Bekannten sind alle verheiratet und bleiben unter sich. Ihre Tochter hatte ihr zwar angeboten, mit ihr und ihrem Partner Silvester zu feiern, doch Isolde Reinert lehnte ab. Aufgrund der Corona-Verordnung müsste sie dann bei ihrer Tochter übernachten, „und das will ich nicht“. Dennoch hat auch für sie das Jahr 2020 etwas Gutes gebracht: Sie hat endlich wieder angefangen, richtig zu singen und Keyboard zu spielen. Bereits als Jugendliche hatte sie in einer Band gespielt, nun tritt sie nebenberuflich auf Hochzeiten und Trauerfeiern auf. „Das macht mich sehr glücklich.“

Auch Thorsten Meier-Bartlog war zuletzt oft allein: Er hatte sich vor Weihnachten in Selbstquarantäne begeben, weil er über die Feiertage zu seinen Eltern nach Bayern gefahren ist und diese nicht gefährden wollte. „Eigentlich weiß ich viel mit mir anzufangen, aber während der Selbstquarantäne habe ich gemerkt, wie gerne ich unter Leuten bin.“ Der 45-jährige Stuttgarter trifft sich normalerweise regelmäßig mit Freunden zum Kochen und Genießen. Das ist nur noch bedingt möglich: „Wenn man nicht so resistent ist, kann dieses dauerhafte Alleinsein hart werden.“

Die Angst, etwas zu verpassen, fällt weg

Auch in ganz normalen Jahren seien die Tage rund um Weihnachten und Neujahr eine Herausforderung, sagt Claudia Elizabeth Huber, Diplom-Psychologin in Stuttgart. Manche Menschen seien deshalb sogar froh darüber, dass sie sich jetzt nicht dafür rechtfertigen müssten, einer Silvesterparty fernzubleiben. In normalen Jahren würden viele Menschen zudem unter der „fear of missing out“ leiden, also unter der Angst, etwas zu verpassen. Diese Sorge falle 2020 weg.

Wer sich schwertue, an Silvester und zwischen den Jahren alleine zu sein, dem empfiehlt Huber, sich mit Geschwistern oder Freunden zu verabreden; zu zweit ist dies ja nach wie vor erlaubt. Wenn man zu niemandem gehen könne, rät sie dazu, Filme zu schauen oder Bücher zu lesen, die man schon immer mal ausprobieren wollte – oder welche, die man kennt und von denen man weiß, dass sie einem guttun.

Menschen in einer Beziehung sind im Vorteil

Doch all das ändert nichts daran, dass sich Singles im Lockdown mitunter kaum beachtet fühlen. Thorsten Meier-Bartlog etwa hat früher meist spontan entschieden, was er in der Silvesternacht macht, „nun muss man plötzlich im Voraus planen“. Er ist deshalb froh, dass die baden-württembergische Landesregierung an ihrer Verordnung nochmals gefeilt hat und nun auch Übernachtungen außerhalb einer Partnerschaft erlaubt sind. „Anfangs war die Regelung schon sehr bemerkenswert formuliert.“ Er hat erlebt, dass Menschen, die nicht in traditionellen Familienkonstellationen leben, sich von der Politik übersehen fühlten.

Wer in einer Beziehung lebt, bleibt in einem Punkt dennoch im Vorteil: So darf man während des Lockdowns nur dann anderswo übernachten, wenn die Anreise vor 20 Uhr erfolgt und die Abreise nach 5 Uhr. Davon ausgenommen ist der Besuch von Ehegatten, Lebenspartnern sowie Partnern einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Sie dürfen auch nach 20 Uhr kommen und vor 5 Uhr gehen. „Das ist widersinnig“, sagt eine 55-jährige Stuttgarterin, die aufgrund ihres Jobs bei einer Behörde anonym bleiben möchte. „Ich hatte Tränen in den Augen, als ich das gelesen habe.“

Yoga und Spaziergänge werden zum Alltag

Um den Lockdown und das Dauer-Homeoffice besser zu ertragen, hat die Stuttgarterin ihren Alltag verändert: Vor dem Homeoffice macht sie nun jeden Tag eine Stunde Yoga – was sie sich früher niemals hätte vorstellen können. Zwischen 18 und 20 Uhr geht sie oft spazieren. Die Arbeit, die sie bis dahin nicht erledigen konnte, macht sie danach. „Zum Glück kann ich mich gut selbst strukturieren“.

Allerdings sagt auch sie: „Auf Dauer ist mir das zu einsam.“ Manchmal findet sie ihre eigene Stimme schon seltsam, weil sie nur noch so selten spricht. Und private Videoanrufe strengen sie zunehmend an: „Wenn ich den ganzen Tag in den Bildschirm starre, bekomme ich Kopfweh, wenn ich das auch abends noch mache.“

Es hilft, sich gewisse Fragen zu stellen

Psychologin Claudia Elizabeth Huber weiß: „Diese Zeit ist ja für niemanden so, wie man es sich wünscht.“ Um deshalb nicht in ein Loch zu fallen, schlägt Huber vor, sich öfter zu fragen: „Worauf freue ich mich, wenn wir wieder machen dürfen, was wir wollen?“ Diese Gedanken sollte man sich ohne festes Datum im Kopf machen. „Und gleichzeitig kann man sich überlegen: Was ist zurzeit möglich? Was kann trotzdem schön oder in Ordnung sein?“ Das sei ein Trostpreis, ja, aber auch der könne helfen.

Und etwas Pragmatismus schade nicht. „Ich empfehle auch mal ‚Jammerfasten‘.“ Wenn man sich mit anderen Leuten unterhalte, sei es sinnvoll, Corona auch mal auszublenden – und über etwas anderes zu sprechen.

Zum Original