Wer nicht weiß, dass auf der Baustelle neben dem Campus Westend der Goethe Universität in Frankfurt soeben eine 1,8 Tonnen schwere Weltkriegsbombe gefunden wurde, würde auch nicht auf die Idee kommen, dass sie da ist. Es ist denkbar unspektakulär: Ein Polizeiauto parkt vor der Baustelleneinfahrt, es gibt gerade mal ein Absperrband. Verräterisch sind nur die Maschinen, die still stehen und die Leute, die hin und wieder zum Bauzaun huschen und ein Foto machen. Dabei ist gar nichts zu sehen: Ein Bagger versperrt den Blick.
Auch von oben erkennt man nichts, vom vierten Stock des Seminarhauses kann man nur das blaue Zelt betrachten, das über der Bombe aufgestellt wurde. Die beiden Jura-Studenten Andreas Sinzig und Yagmur Tipi sind in der Pause zwischen zwei Kursen gekommen, um einen Blick auf den Fundort zu werfen. „Angst habe ich keine", meint Sinzig. „Aber ich war schon etwas überrascht, dass die Bombe nicht so gut bewacht ist. Auf der anderen Seite - wer soll so viel Sprengstoff wegtransportieren?" Auch seine Kommilitonin Tipi macht sich keine Sorgen. „Ich habe aber Freunden, die in der Evakuierungszone wohnen, Asyl angeboten." Hier auf dem Campus sei aber alles wie immer, als wäre die Bombe gar nicht da.
Wer von der Baustelle kommt, wirkt entspanntTatsächlich scheint alles seinen Gang zu gehen, im Seminarhaus finden eine Summer Academy statt und ein Erste-Hilfekurs, was angesichts der Bombe dann doch etwas absurd wirkt. „Ein mulmiges Gefühl hat man schon", erzählt Seminarleiter Philipp Diedrich. „Wenn die hochgeht, haben wir ja keine Chance. Rational betrachtet weiß ich natürlich, das die Situation nicht so schlimm ist. Sonst wäre ich auch nicht her gekommen." Auch die beiden Studentinnen Katharina Wilhelm und Eleonore Lux, die sich am Donnerstag einen Sitzplatz mit Blick auf die Baustelle gesucht haben, sind unbesorgt. „Ich habe Vertrauen, dass alles gut geht. Man wird ja auch gut informiert", so Wilhelm. Den Sonntag wird sie bei ihren Eltern verbringen, die ebenfalls in Frankfurt leben.
Rund um den Campus hat man nicht das Gefühl, sich Sorgen zu müssen. Die Polizisten wirken ebenso entspannt wie die Männer, die die Baustelle verlassen, als hätten die Bagger dort ein paar Tonscherben statt einer Bombe ausgegraben. Nur vereinzelt schnappt man ein besorgtes Gespräch auf. „I thought it would be safe in Frankfurt", hört man von einer internationalen Seminarteilnehmerin: Ich dachte, in Frankfurt wäre man sicher. Eine ältere Dame ist extra zur Baustelle gefahren, um die Polizei zu der geplanten Entschärfung zu befragen. Wie denn die Evakuierung ablaufe? Aktuelle Informationen gibt es auf Twitter, erklären ihr die Beamten, das benutzt die Dame aber nicht. Und im Radio und Fernsehen, setzen die Beamten deshalb nach.
Auch außerhalb des Campus wirkt das Westend am Donnerstag-Nachmittag gelassen: Schulkinder sind unterwegs nach Hause, die Leute erledigen ihre Einkäufe und spazieren im Park - was auch sonst. Dass die viel befahrene Bremerstraße am Sonntag ganz leer sein wird, kann man sich nicht so richtig vorstellen. Von Aufregung ist also nicht viel zu spüren, auch wenn die Bombe natürlich Thema ist. Der Inhaber des Cafés „Tasty Donut", Jan Peper, hat schon mit vielen Gästen über die Evakuierung gesprochen.
Große Angst habe aber niemand, sagt Peper. Bei ihm Zuhause habe vor allem das frühe Aufstehen für Stöhnen gesorgt, denn bis acht Uhr müssen alle ihre Häuser verlassen haben. Peper hat dabei Glück im Unglück: Sein Geschäft ist sonntags ohnehin geschlossen, anders als der Kiosk von Ingrid Walter im Adolph-von-Holzhausen-Park. „Am Sonntag soll das Wetter gut werden, da macht man natürlich immer das beste Geschäft", erzählt die Selbstständige. „Aber es gibt Schlimmeres. Woanders fallen die Bomben wirklich." Jetzt plant sie einen Ausflug, vielleicht an den Walldorfersee, um das Beste aus dem Tag zu machen.
Dann gibt's das Sonntagsmenü eben schon am SamstagViele haben für das Wochenende Unterschlupf bei Bekannten und Verwandten gefunden. Weil es am Sonntag so früh los geht, wollen die meisten schon am Samstag fahren. Einzig die Frage, ob man nicht sicherheitshalber wichtige Dokumente und andere Wertsachen einpacken sollte, treibt einige Anwohner um. Alles in allem haben sie aber Vertrauen in das Räumkommando. „Das ist ja nicht die erste Bombe, die die Jungs da entschärfen", sagt eine Anwohnerin.
Eine Herausforderung wird die Evakuierung wohl insbesondere für die beiden Krankenhäuser und die Altenheime. Dort laufen schon die ersten Vorbereitungen für Sonntag. „Wir können zum Beispiel schon Tüten mit Medikamenten für die Bewohner vorbereiten", erzählt Harald Dollansky, Leiter des Nellinistifts. Dort leben etwas mehr als 80 Bewohner, die vor der Abfahrt gepflegt werden müssen und ein Frühstück brauchen. „ Das nimmt natürlich viel Zeit in Anspruch. Zum Glück haben sich einige Kollegen bereit erklärt, einzuspringen", so Dollansky. Er ist optimistisch, was die Organisation angeht. „Und unser Sonntagsmenü haben wir einfach auf den Samstag vorverlegt."