Julia Elisabeth Hackober

Mode- und Kulturjournalistin / Features Editor bei ICONIST.de, Berlin

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„Influencer" - Warum das Wort problematisch ist - WELT

ARTIKEL VOM 08.01.2017 FÜR ICONIST.DE. ONLINE HIER. 



Lifestyle-Blogger, -Youtuber und -Instagrammer haben die Medienwelt umgekrempelt. Das verdient Anerkennung. Doch der Begriff „Influencer" ist problematisch - weil er ein passives Publikum voraussetzt.

Bevor jetzt gleich wieder moniert wird, dass an dieser Stelle alteingesessene Medien innovative, erfolgreiche, selbständige, hübsche Blogger, Instagrammer, Youtuber und sonstige „Influencer" aus Missgunst kritisieren würden: Darum geht es nicht. Es geht um den Begriff „Influencer" an sich, der, wenn man einmal genau darüber nachdenkt, ziemlich unmöglich ist.

„To influence" heißt „beeinflussen". Im Zusammenhang mit Kulturprozessen bedeutet das: Wenn jemand etwas sehr Außergewöhnliches leistet und sehr viele Fans findet, dann gewinnt seine oder ihre Arbeit an kulturellem Einfluss. „Die Rolling Stones haben die Popmusik nachhaltig beeinflusst", „Picasso hat die Kunst des 20. Jahrhunderts beeinflusst", diese Sätze beschreiben eine gehörige kulturelle Einflussnahme.

Wer bestimmt, was wir denken?

In Anbetracht der Machtposition, die „Influencer" in der Lifestylebranche inzwischen innehaben, mag der Terminus also schon irgendwie korrekt sein - auf der lexikalischen, von jedem Kontext losgelösten Bedeutungsebene. Schließlich ist es das Talent und die Aufgabe von „Influencern" im Lifestyle-Kosmos, ihre Fans zu beeinflussen: Hinsichtlich der Geschmacksbildung (Modeblogger), der Motivationssteigerung (Fitnessblogger), aber vor allem hinsichtlich der Kaufentscheidungen.

Auf der einen Seite stehen in diesem Kommunikationsmodell also die Beeinflusser, die Tonangeber, die „Bestimmer" - auf der anderen die Fans, die Follower, die Gefolgschaft, die bereitwillig Herzchen verteilt und sich Shopping-Apps auf's Handy lädt, um die Bomberjacken und Crop-Tops der Instagram-Idole nachzukaufen.

Dabei sprechen Internet-Berühmtheiten eigentlich nicht so gern davon, dass es bei ihrer Arbeit hauptsächlich um die Vermittlung von positiven Marken-Images geht. Folgende Tätigkeitsbeschreibung ist beliebter: Bilder und Videos sollen keine explizite Werbung, sondern „Inspiration" sein. Zwischen „inspirieren" und „beeinflussen" besteht allerdings ein erheblicher Unterschied.

Inspiration zielt darauf ab, das Publikum zu eigenen Gedanken und Ideen zu ermutigen. Beeinflussung heißt, dass Meinungen und Verhaltensweisen auf ein Publikum übertragen werden, welches das möglicherweise noch nicht einmal bemerkt. Ein inspiriertes Publikum ist ein aktives Publikum, ein beeinflusstes Publikum bleibt passiv. Dass „Influencer" ihre Tätigkeit als „Inspirieren" beschreiben, ist demnach irreführend. Und doch schreiben international erfolgreiche Modebloggerinnen in ihre E-Mail-Signaturen „Online Influencer" als Jobbeschreibung, während sie unter ihre Instagram-Fotos den Hashtag #Inspo setzen.

Warum Instagram Trends ohnehin nicht gut tut, lesen Sie HIER. Inspiration und Beeinflussung unterscheiden sich deutlich

Sich den Unterschied gewahr zu machen und gegebenenfalls zu kommunizieren, ist eben beinah so mühsam, wie sich früher im Lateinunterricht zu merken, dass das Verb „persuadere" zwei verschiedene Dinge bedeuten kann: nämlich „überzeugen" und „überreden". Seit der antiken Rhetorik gibt es einen erheblichen Unterschied in den Konnotationen, wenn es um die Taktiken geht, mit denen Menschen zur Annahme einer bestimmten Meinung bewegt werden sollen. Überzeugen ist gut. Überreden, Menschen dazu kriegen, etwas zu tun, was sie eigentlich nicht wollen, nicht so.

Und dieser Unterschied gilt auch heute noch: In einer Gesellschaft, deren Mitglieder stolz auf ihre individuelle Lebensgestaltung sind, zum Beispiel darauf, dass sie ein Jahresendfest und nicht Weihnachten und Silvester feiern, will man doch eigentlich nicht „influenced" oder überredet werden - sondern inspiriert und überzeugt. Man will Entscheidungen selbstständig und mündig treffen. Auch, wenn es „nur" um die schönen Dinge des Lebens wie Mode, Reisen und Genuss geht, und nicht um politische Haltungen.

Ein bisschen ernst gemeinte Überzeugungsarbeit schulden die neuen Stars der Popkultur ihrer Gefolgschaft durchaus. Auch, wenn das schwierig ist in einem Kosmos, in dem nur schön oder hässlich, das schnelle like oder dislike zählen. Doch immerhin machen erst die Millionen und Abermillionen Fans junge Leute, die ihre Outfits und Reiseerlebnisse posten, zu „Fashion Powerhouses" oder „Digital Entrepreneurs".

Sich selbst als „Influencer" zu bezeichnen, zeugt daher von einer Achtlosigkeit gegenüber der eigenen Zielgruppe, deren Konsumverhalten das einzig relevante Feedback darstellt. Als dritte Partei von „Influencern" zu sprechen, heißt, dieses Gefälle zwischen Meinungsmachern und Restmasse zu akzeptieren - und der ganzen Chose womöglich noch mit der gleichen Ehrfurcht zu begegnen, mit der viele Marken um „Influencer" buhlen.

Wie man „Influencer" sinnvoller bezeichnen könnte

Noch schlimmer ist im Übrigen nur noch der Begriff „Key Opinion Leaders", womit sozusagen die Oberanführer unter den Influencern gemeint sind. Die, die die propagandistischen mind tricks der Meinungsbildung am besten beherrschen. Es hat schon seinen Grund, warum all diese Internetbegriffe nie ins Deutsche übersetzt werden.

Ein passender Begriff für alle, die per Instagram, Youtube & Co. zum Shopping animieren, wäre vielleicht eher „Digital Native Sales Agent". Das stünde in schöner Tradition der Avon-Make-up-oder Tupperware-Vertreterinnen, die ja schließlich auch nichts anderes taten, als mit ihrer gepflegten, positiven Art hübschen, aber überflüssigen Quatsch zu verkaufen.

„Influencer" kann man sich guten Gewissens nennen, wenn man Michelle Obama heißt, komponiert wie der neue Mozart oder man den Nahostkonflikt gelöst hat. Aber nicht, wenn es darum geht, 14-Jährige in der Annahme zu bestärken, dass sie sich ohne ein bestimmtes Paar zerrissener Jeansshorts oder den neuen Mango-Marshmallow-Duschschaum nicht mehr in die Schule trauen können.

Julia Hackober freute sich beim Verfassen dieses Artikels darüber, dass die Sprachwissenschaftskurse an der Uni doch keine Zeitverschwendung waren.
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