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Lyrik-Website Fixpoetry: SOS, verhallt

Den Advent hat sich die literaturaffine Netzgemeinde in vielerlei Hinsicht anders vorgestellt. Eine der vielen schlechten Nachrichten lautet, dass die Literatur-Website Fixpoetry zum Jahresende offline gehen wird. Ihre Gründerin Julietta Fix kann und mag nicht mehr: „Schluss ist aus finanziellen Gründen. Fixpoetry konnte seit Jahren nur mit viel Leidenschaft und Selbstausbeutung überleben. Jetzt merke ich, dass ich an eine Decke stoße, die ich mit Engagement nicht mehr durchdringen kann."

Dreizehn Jahre lang war die Website von Julietta Fix ein zentraler Orientierungspunkt für die deutschsprachige Lyrikszene. In einer literarischen Welt, in der Lyrik ein Außenbezirk ist und die meisten Leitmedien selten Gedichtbände rezensieren, bot das Online-Portal Besprechungen von Titeln sowohl aus Publikums- als auch Kleinstverlagen, alternative Kolumnenformate und den „Text des Tages", meistens ein Gedicht. Um ein ansprechendes Niveau zu garantieren, sichteten und kuratierten Julietta Fix und ihr Mitstreiter Frank Milautzcki Einsendungen aus einem auf tausend Autoren angewachsenen Pool. Debütanten wurde die gleiche Chance auf Veröffentlichung eingeräumt wie namhaften Literaten.

Zum enormen Aufwand, den es bedeutete, sich durch Manuskripte zu wühlen und an sieben Tagen pro Woche frische Inhalte zu präsentieren, meint die Herausgeberin lapidar: „Ich arbeite schnell und bin gut organisiert. Es stellt sich, wie bei allen Dingen, Routine ein." Obwohl die Plattform selten Honorare zahlen konnte, genoss und genießt sie höchste Anerkennung. Ulla Hahn bemerkte schon vor Jahren in einem Essay, dass Fixpoetry wichtige Impulse zum Lesen und Schreiben von Gedichten bereitstelle. Daniela Seel, die Verlegerin des Verlags kookbooks, spricht davon, dass sich die Nachricht vom Aus wie ein Schicksalsschlag anfühle.

Man betrachtet Fixpoetry als Mitglied der familiären Lyrikszene. Ein Familienmitglied allerdings, um das man sich eher schlecht gekümmert hat. Die Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer kommentiert bei Facebook treffend: „Ich sage vielen Dank! Auch mit Scham, dass ich eine von denen bin, die nur profitiert und nichts zurückgegeben haben." Tatsächlich hatte Julietta Fix schon vor längerem auf die prekäre finanzielle Situation aufmerksam gemacht. Förderanträge wurden ihr selten genehmigt. Paywalls lehnte sie ab. Unter dem Motto „SOS - save our site" konnte man von 2,50 Euro an im Monat Unterstützer werden. Mitgemacht haben 91 Nutzer. Die Nutznießer waren zahlreicher. Fixpoetry verzeichnete fast 750.000 Seitenabrufe im letzten Jahr. Ein ordentliches Publikum, wenn man bedenkt, dass es Literaturzeitschriften kaum auf Auflagen von mehr als fünfhundert Exemplaren bringen. Unverständnis oder Wut liegen Julietta Fix aber fern. „Warum sollte ich mich ausgenutzt fühlen? Es geht ja nicht um mich. Ziel war, die Breite der literarischen Epizentren zu zeigen und Dingen Platz und Raum zu schaffen, die im klassischen Feuilleton nicht wahrgenommen werden."

Das ist der Hamburgerin gelungen. 2019 hatte sie mit dem Gertrud-Kolmar-Preis, einem ausschließlich für Frauen ausgeschriebenen und nach der in Auschwitz ermordeten Dichterin benannten Lyrikpreis, wiederum ein Projekt initiiert, das breite öffentliche Beachtung erfuhr. „Frauen schreiben. Frauen schreiben Gedichte. Aber Frauen werden bei Preisvergaben verlässlich weniger oft ausgezeichnet. Fixpoetry nimmt sich die Freiheit, etwas zu tun. Um ein Zeichen zu setzen, schreiben wir einen Lyrikpreis aus, der sich ausschließlich an Frauen richtet", hieß es in der Ausschreibung. Der Wettbewerb wurde vollständig vom Elbkulturfonds gefördert, das Gesamtpreisgeld betrug 16.500 Euro. Es war das erste Mal, dass Fixpoetry umfassende planungssichernde Unterstützung bekam. Dauerhafte Unterstützung der Kulturbehörden fordern jetzt Lyrikerinnen und Lyriker in einer Unterschriftenaktion unter dem Titel „Wir brauchen Fixpoetry".

Aber selbst wenn morgen jemand mit Blankoscheck daherkäme, müsste Julietta Fix erst überlegen: „Ich denke, eine Pause, eine lange Pause, wäre dringend nötig. Nicht nur persönlich, sondern auch, um das Konzept zu überdenken und die Schwerpunkte neu zu definieren. Die Website müsste überarbeitet werden." Für die nächsten Monate jedenfalls wolle sie das Leben genießen und sich zurücklehnen. Vielleicht gibt es dann auch wieder Gedichte von ihr selbst zu lesen. Ihr Talent als Lyrikerin musste sich lange ihrem Talent als Macherin unterordnen.

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