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Rundgang durch die sanierte Neue Nationalgalerie in Berlin - Projekte

von Judith Jenner, 29.04.2021

Bevor sich die Neue Nationalgalerie in Berlin wieder mit Kunstwerken füllt, ermöglichten die Staatlichen Museen zu Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie das ausführende Büro David Chipperfield Architects einen Rundgang durch das Gebäude. Eröffnet 1968 und jahrzehntelang ein Besuchermagnet für Ausstellungen wie „Das MoMA in Berlin", war eine Grundsanierung bitter nötig. Das zeigten beispielsweise die Schäden durch das Kondenswasser an der Glasfassade des transparenten Kunsttempels. „Mehrmals sind Gläser gebrochen, die dann durch geteilte Scheiben ersetzt wurden", erklärt Daniel Wendler, Projektleiter und Partner bei David Chipperfield Architects Berlin. Lediglich vier Scheiben blieben bauzeitlich erhalten. In China fanden Wendler und sein Team einen Hersteller, der sie im Originalmaß herstellen konnte. Auf eine heute übliche Doppelverglasung verzichteten die Architekten. Dafür hätten die Originalstützen deutlich breiter gewählt werden müssen, die filigrane Wirkung wäre dahin.

Platz für Patina Ludwig Mies van der Rohe, der den Gebäudetyp ursprünglich als Hauptsitz von Bacardi in Santiago de Kuba geplant hatte, sah die rundum verglaste Halle für soziale Begegnungen vor. Ein Vorhang sorgt auf Wunsch für Privatheit. Obwohl mehr als 10.000 Granitplatten ausgebaut, restauriert und wieder eingesetzt wurden, sind die Besucherspuren zum Teil noch sichtbar. Auch die mit Tinos-Marmor verkleideten Technikschächte, für die Mies' Enkel das Material aussuchte, blieben originalgetreu erhalten. „Wir haben nicht versucht, das Haus auf neu zu trimmen", unterstreicht Daniel Wendler. „Schäden an den Originalmaterialien wurden lediglich leicht kaschiert." Auch die Leuchtkörper blieben erhalten und auf energiesparende LEDs umgerüstet.

Effiziente Raumnutzung Nach Mies van der Rohes Vorstellung soll die Kunst im Untergeschoss genossen werden. Seit der Sanierung ist es per Personenaufzug erreichbar, der geschickt in den Garderobenkomplex aus Brauneichefurnier integriert wurde. Das Holz bildet einen warmen Kontrast zu der Umgebung aus Glas und Stahl. Dieses Konzept führten David Chipperfield Architects in einem neuen Garderobenraum im Untergeschoss fort. Ein Ziel der Sanierung war es schließlich auch, Flächen effizienter zu nutzen. Bis zur Sanierung befand sich dort ein Depot. Der Tresen ist aus dem gleichen Eichenfurnier wie die Garderoben im Obergeschoss, mit einer Platte aus schwarzem Granit. Die Stützen und Wände oberhalb der etwa zwei Meter hohen Holzverkleidung sowie die Kassettendecke blieben im Originalzustand aus Beton. Auch der Museumsshop ist auf die Fläche eines ehemaligen Bilderlagers umgezogen. Einbauten aus Holz und Stahl mit integrierter Beleuchtung setzen die Bücher in Szene. Im fensterlosen Museumscafé erlebt die Automatenbar aus den Sechzigerjahren ein Revival. Die Gestaltung des Raumes übernimmt der Künstler Jorge Pardo.

Auf leisen Sohlen Obwohl es der Bauherr lieber pflegeleichter gehabt hätte, setzten sich der Denkmalschutz und die Architekten durch: Der für Museen unübliche Teppich blieb in den Ausstellungsräumen erhalten. Mit dem robusten Belag im Salz-Pfeffer-Design grenzen sie sich auch akustisch vom eher halligen Granitboden im Obergeschoss ab. Die Ausstellungsräume öffnen sich zum ummauerten Skulpturengarten mit dem rechteckigen Wasserbecken. Künftig sollen dort wieder Kunstwerke ausgestellt werden. Seine ursprüngliche Bepflanzung stellte das Büro TOPOS Landschaftsarchitekten wieder her und reparierte Wurzelschäden an den Bodenplatten.

Wer den Museumsdirektor besuchen möchte, muss nach Mies' Willen erst die vollständige Ausstellung durchqueren - sofern er nicht den Seiteneingang benutzt. Sein Büro befindet sich am südlichen Ende des Skulpturengartens. Teilweise sind die originalen Schreibtische von Ludwig Mies van der Rohe erhalten. Bücher und Akten lagern in den originalgetreuen Einbauten und auch die legendäre Raufasertapete blieb erhalten. Mit der Sanierung der Neuen Nationalgalerie haben David Chipperfield Architects nach dem Neuen Museum in Berlin den baulichen Fortbestand eines weiteren Berliner Museumsbaus gesichert. Ihnen gelang dabei die Balance, als „the invisible architect" zu agieren und zugleich das Gebäude an die aktuellen Nutzungsanforderungen anzupassen. Ende Mai können sich Besucher an Tagen der offenen Tür selbst davon überzeugen. Ab dem 22. August wird der Ausstellungsbetrieb wiederaufgenommen.

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