Man könnte meinen, dies sei die Geschichte zweier Außenseiter. Zweier Herren, die sich fremd fühlen in ihrer Heimat, ihrer geistigen jedenfalls. Beide sind im Kirchendienst. Beide sagen, sie seien trotz allem richtig, wo sie sind. Und so wird aus einer Geschichte von Außenseitern die Geschichte zweier Kämpfer.
Der eine, Siegfried Huber, 43, katholischer Priester, möchte, dass seine Kirche endlich bereit ist, Liebende zu segnen - ob Hetero, ob Homo, Liebende eben. Der andere, Till Roth, 51, evangelischer Pfarrer, möchte, dass seine Kirche genau das wieder sein lässt - zurückrudern, abgrenzen, Mauern hoch.
Der eine ein progressiver Katholik, der andere ein reaktionärer Protestant? Wenn es nur so einfach wäre. Siegfried Huber und Till Roth sind sich nie begegnet, aber stellen sich dieselbe Frage: Passe ich noch zu meiner Kirche?
Till Roth, der Protestant, ist spät dran, er überspringt die letzten Stufen der Treppe. Ein heißer Mittwoch Anfang Juni in . Viel adrettes Fachwerk zu bestaunen hier im unterfränkischen Lohr am Main. Das evangelische Pfarramt dagegen hat Gesamtschulcharme. Weiß getünchte Backsteinwände, roter Fliesenboden. Sorry, ein Geburtstagsbesuch in der Gemeinde habe länger gedauert, sagt Roth, er mache das einfach gern, auch in der Pandemie, gegen diese Einsamkeit überall.
Till Roth wirkt anfangs wie aufgedreht. Wache Augen, schnelle, prüfende Blicke. Er zieht sein Sakko straff, setzt sich. Dann der Satz: "Ich bin mir unsicher, wie viel Toleranz ich noch erwarten kann." Und: "Ich erlebe das selbst mit meinen Kindern, die meine Position nicht verstehen. Für sie ist etwas ganz anderes normal als für mich."
Lohr am Main liegt zwischen Frankfurt und Schweinfurt, umgeben von sehr viel Grün. Seit fünf Jahren ist Roth hier als evangelischer Pfarrer und leitender Dekan tätig. Lohr ist urkatholisch, Unterfranken auch. Roth ist es nicht. Aber er wird in zweieinhalb Stunden Gespräch vieles loben am Vatikan, besonders die Glaubenskongregation, jene obersten römischen Gralshüter, die Standards setzen in Katholistan. "Für mich ist einleuchtend, was da aus dem Vatikan kam." Roth meint das jüngste Schreiben aus , ein deutliches Nein zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Zwar steht da, alle Menschen seien willkommen zu heißen und der Segen für einzelne Homosexuelle sei kein Problem. Aber: nicht für die Verbindung zweier Männer, zweier Frauen.
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In Roths eigener Kirche geht es seit Jahren deutlich lockerer zu. Erlaubt ist der Segen für gleichgeschlechtliche Paare seit 2020 in allen evangelischen Landeskirchen. Nur einzelne Gemeinden behalten sich dabei noch immer Einschränkungen vor. In der EKD gibt es keine Kongregationen und keine dogmatischen Verbotsschriften aus der Zentrale. Evangelistan scheint easy - alles kann, nichts muss. Doch Till Roth kritisiert: "Meine Kirche ist mir oft zu bemüht, die Menschen zu halten, die Schwellen niedrig zu machen."
Einen Tag später und rund 350 Kilometer südlich öffnet Siegfried Huber in Hausschuhen die Tür seines Pfarrhauses. Freiburg, Stadtteil Weingarten. Huber ist katholischer Priester. Sein Pfarrhaus ein Bungalow, ein enger Flur führt vorbei an Büros ins Wohnzimmer. Grasgrüner Flauschteppich, großer Fernseher, kein schweres Kruzifix an der Wand, dafür bunte Malereien....