Jonas Wagner

Journalist, Frankfurt am Main

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E-Rezept: Ist das E-Rezept praxistauglich?

Karl Lauterbach will zeigen, dass es funktioniert. An einem sonnigen Mittwochmittag im August besucht er erst eine Arztpraxis und dann eine Apotheke in Berlin-Charlottenburg, die beide bereits mit dem E-Rezept arbeiten. Etwas, das im Ausland der Normalfall, in Deutschland aber noch die Ausnahme darstellt. Vor der Apotheke kündigt der Gesundheitsminister eine "Aufholjagd" bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens an und sagt: "Diese Aufholjagd beginnt mit dem elektronischen Rezept."

Geht es nach Lauterbach, müssen bereits von Januar 2024 an alle Ärzte in Deutschland E-Rezepte ausstellen. Das dafür nötige Gesetz erarbeitet sein Ministerium gerade. Die rosa Zettel jedenfalls, die Patienten bislang noch von ihrem Arzt bekommen, sollen binnen weniger Monate ersetzt werden. Stattdessen sollen die Rezepte künftig entweder mit einer App auf dem Smartphone oder per Gesundheitskarte eingelöst werden. Einen Ausdruck soll es nur noch ausnahmsweise geben, etwa für Pflegeheimbewohner.

Auf einmal soll es also ganz schnell gehen mit der Einführung des E-Rezepts. Zu schnell womöglich, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) befürchtet. Sie vertritt die Interessen von Ärzten in bundesweit 185.000 Praxen. Und für die bedeutet das elektronische Rezept eine enorme Umstellung. Zwar verspricht Lauterbach, dass die Ausstellung perspektivisch einfacher und schneller sein wird als das Ausfüllen und Bedrucken der Papiervorlagen. Doch dafür müssen erst einmal die IT-Systeme angepasst werden, die Ärzte für die Praxisverwaltung nutzen. 130 verschiedene gibt es davon in Deutschland.

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Klingt zwar erst mal nach einem schlichten Update. Beim Bundesverband Gesundheits-IT heißt es dann auch, E-Rezept-Funktionen seien "in allen relevanten" Praxissystemen "umgesetzt, ausgeliefert und nutzbar". Doch ganz so reibungslos funktioniert das in der Praxis laut KBV offenbar längst nicht überall. Manche Systeme blockierten zum Beispiel bei der Ausstellung des E-Rezepts andere Funktionen: Während es erstellt wird, konnten sie für nichts anderes genutzt werden - ein enormes Problem im trubeligen Praxisalltag.

Dass Lauterbach nun Druck macht, ist trotzdem nachvollziehbar. Das Projekt "E-Rezept" gibt es schließlich nicht erst, seitdem der Minister im Amt ist. Einführen wollte es bereits seine Vorvorvorvorvorgängerin Ulla Schmidt. 2002 war das.

Ihr engster Berater damals war ein Gesundheitsökonom aus Köln: Karl Lauterbach. Schmidt brachte damals zwar die elektronische Gesundheitskarte auf den Weg - aber auch das nur mit Müh und Not. Denn die Datenschutzbedenken waren groß. So groß, dass aus dem E-Rezept in den folgenden Jahrzehnten nichts wurde.

Das hatte mit Bedenken zu tun, die bis zuletzt nicht ganz unbegründet waren. Ein Pilotversuch in Nordrhein-Westfalen, bei dem vom vergangenem Herbst an rund 250 Praxen das E-Rezept testen sollten, wurde deshalb wieder abgebrochen. Die Lösung, es per Gesundheitskarte zu übermitteln, schied aus. Der Grund: Datenschützer hatten eine Sicherheitslücke gefunden, durch die ohne Pin oder Identitätsprüfung auf Versichertendaten zugegriffen werden konnte. Inzwischen ist diese Lücke geschlossen. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik hat die Änderungen technisch abgenommen.

Seit Juli sollen Patienten nun auf sicherem Weg E-Rezepte über ihre Gesundheitskarte in der auslesen lassen. Das soll den Durchbruch bringen. Denn von der Lösung per App, die es schon seit etwa zwei Jahren gibt, haben bisher die wenigsten Patienten Gebrauch gemacht. 2,75 Millionen eingelösten E-Rezepten insgesamt standen allein im vergangenen Jahr 462 Millionen Rezepte auf Papier gegenüber.

Das Rezept per Gesundheitskarte einzulösen werde von den Patienten dagegen gut angenommen, berichtet Anke Rüdinger, die selbst eine Apotheke in Berlin-Lichtenberg führt und stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands ist. Sie geht davon aus, dass bis Ende des Jahres deutlich mehr Menschen das E-Rezept nutzen - vorausgesetzt, die Ärzte sind technisch in der Lage, es auch auszustellen.

Diese Offenheit der stationären Apotheken gegenüber dem E-Rezept ist neu. Lange hatten sie nämlich Bedenken, dass sie dadurch massiv an Geschäft an Online-Apotheken verlieren könnten. Dort ein Papierrezept per Post einzureichen ist vielen Patienten zu aufwendig. Per App aber geht das deutlich schneller. Nutzen dagegen die meisten Patienten für das Rezept ihre Gesundheitskarte, wonach es derzeit aussieht, sind wieder die stationären Apotheken im Vorteil.

An den Apotheken dürfte die Einführung des E-Rezepts daher eher nicht scheitern. Spannend wird dagegen sein, ob die Arztpraxen die Umstellung mit ihrer Software hinbekommen. Der größte Belastungstest dürfte im Januar kommen, wenn das E-Rezept flächendeckend eingeführt wird. Lauterbach setzt darauf große Hoffnungen. Er will beweisen, dass sich auch das deutsche Gesundheitssystem digitalisieren lässt. Noch beschreibt er Deutschland in dieser Hinsicht als "Entwicklungsland".

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