Jonas Wagner

Journalist, Frankfurt am Main

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Artikel

In der Ferne die brennende Welt

Eigentlich sollte es nur eine kleine Tour durch Zentralasien werden. Doch seit fast zwei Wochen sitzt die Berliner Rockband Treptow in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe fest. Der Flughafen ist geschlossen, die Visa der Musiker sind inzwischen abgelaufen. Philipp Taubert, Sänger und Gitarrist der Band, wirkt am Telefon dennoch gefasst: "Uns geht's hier sehr gut", berichtet er. Man sei bei einer Mitarbeiterin der deutschen Botschaft untergekommen, mit der die Band auch befreundet ist. Zwar sehe man einige Menschen mit Mundschutz, so Schlagzeuger Lukas Lindner, doch in Tadschikistan gebe es offiziell noch keine Corona-Fälle - und keine Ausgangsbeschränkungen. "Die Lage hier ist noch verhältnismäßig normal", sagt er. Wobei die Betonung auf dem Wörtchen "noch" liege.

Auch in Deutschland ist die Welt noch halbwegs in Ordnung, als sich die Band am 1. März auf den Weg nach Usbekistan macht. Dort spielt sie zunächst Konzerte mit einer usbekischen Rockgruppe, danach geht es weiter nach Tadschikistan. Als sie nach zwei Wochen zurückreisen wollen, hat die Corona-Pandemie allerdings schon große Teile der Welt im Griff. "Am 15. März hätten wir fliegen sollen, in der Nacht zum 14. wurde uns gesagt, dass die Flüge gestrichen sind", berichtet Taubert. Deswegen seien sie in Duschanbe gestrandet. "Wir waren die ersten paar Tage im Hotel", so der Sänger weiter, "und wurden dann von unseren Freunden liebevoll aufgenommen."

Die Odyssee geht da allerdings erst richtig los: "Wir hatten schon fünf- oder sechsmal Flüge gebucht", erzählt Lindner. Doch Flugannullierungen und Visa-Probleme verhindern jedes Mal die Ausreise. So auch beim letzten Versuch am 21. März: "Wir wollten gerade einchecken", berichtet der Schlagzeuger, "und dann sagt der Typ, noch während wir unser Gepäck aufs Band legen: ›Nee, ihr könnt nicht mitfliegen‹". Angeblich würden sich die Musiker vor ihrem Anschlussflug nach Europa zu lange im Transitbereich von Dubai aufhalten, heißt es. Zwar gibt es Rückführungen der Bundesregierung, doch da komme es auf die Situation in den Ländern und die Anzahl der dort gestrandeten Deutschen an, erklärt Lindner. "Tadschikistan hat da keine Priorität."

Reisebeschränkungen, mögliche Flugrouten und dazu die sich rasant verändernde Nachrichtenlage zur Coronakrise: "Das war nervlich sehr belastend, weil es ein ständiges Hin und Her war", erzählt der Schlagzeuger. Immerhin setzen sich die Mitarbeiter*innen des Kulturreferats der deutschen Botschaft für die Musiker ein: "Die tun wirklich alles, um uns zu helfen", lobt Lindner.

Doch wie kommt es überhaupt dazu, dass eine deutschsprachige Band durch Zentralasien tourt? "Bei uns dreht es sich in der Musik häufig um Berlin und generell um die deutsche Sprache", erklärt Sänger Taubert. Irgendwie haben sie es dann in die Lehrmaterialien des Goethe-Instituts geschafft, sogar eine Zusammenarbeit mit einem Schulbuchverlag kam zustande. "Das war für uns der Anlass, zu sagen: Wir wollen mit unserer Musik international arbeiten", fährt Taubert fort. Kooperationen mit Vereinen deutschsprachiger Minderheiten und deutschen Botschaften führten die Band im vergangenen Jahr in neun verschiedene Länder, darunter auch nach Bahrain und in den Iran. Für die kommenden Monate waren Auftritte in Frankreich und Brasilien geplant. "Das mussten wir jetzt leider absagen", so Taubert.

Die Zeit in der tadschikischen Hauptstadt vertreiben sich die Musiker mit Songwriting, Homeoffice-Tätigkeiten und dem Bearbeiten von Videomitschnitten ihrer Konzerte. "Wir haben hier auch eine Tischtennisplatte und eine Dartscheibe", freut sich Schlagzeuger Lindner. Und Bassist Alexander Langner, der das Duo auf der Tour begleitet hatte, ist nun dabei, sich selbst einen Bass anzufertigen. Alle paar Tage nehmen die Musiker zudem einen Podcast auf. "Das ist so ein bisschen unsere Selbsttherapie", sagt Lindner. Das Haus verlassen sie zurzeit selten, da sie quasi illegal im Land sind und Tadschikistan ein autoritär regierter Staat ist. "Es kann relativ schnell eskalieren", so Taubert.

Insgesamt könnten sie sich in ihrer Situation jedoch glücklich schätzen, findet der Sänger. Das Chaos aus einem noch nicht betroffenen Land mitzuerleben, sei sehr surreal und besonders. "Man kriegt diese brennende Welt nur so peripher mit."

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