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Wie Europa Flüchtlinge auf das Mittelmeer drängt

Kein Weg in die EU: Die europäischen Staaten sind verantwortlich dafür, dass es keine legalen Fluchtwege nach Europa gibt. Deshalb müssen Menschen auf die gefährlichen Routen über das Mittelmeer ausweichen.

vom 24.4.2015

Bis zu 700 Menschen sind am Wochenende im Mittelmeer ertrunken, so schätzt die UN. Damit würde die Zahl der Toten allein im Jahr 2015 auf 1500 steigen. Politiker*innen in Europa und auch der UN-Sicherheitsrat haben die Schuldigen schnell ausgemacht: Das skrupellose Schlepperwesen, das scheinbar nicht davor zurückschreckt, Schutzsuchende zu Hunderten auf seeuntüchtige Kähne zu pferchen.

Diese Schleuser*innen gibt es, ohne Frage. Und es ist verwerflich, dass sie aus der Notsituation von Geflüchteten horrende Profite schlagen. Doch übersehen De Maizière, Hollande und Co. eines bei ihrer Analyse: Die europäischen Staaten sind verantwortlich dafür, dass es keine legalen Fluchtwege nach Europa gibt. Deshalb müssen Menschen auf die gefährlichen Routen über das Mittelmeer ausweichen.

Schengen: der Start der Abschottung

Mit dem Beginn des Schengen- Abkommens 1985 beginnt auch die Geschichte des Aufbaus der „Festung Europa". Die Grundidee: Freizügigkeit nach innen, Absicherung nach außen. So wurde der Grenzschutz an den Außengrenzen verstärkt, Visabestimmungen verschärft. Ziel war die Kontrolle über möglichst alle Migrationswege: über Land, Wasser und Luft.

Frontex in der Kritik

Ein Ausdruck dieser politischen Haltung ist die europäische Grenzschutzagentur Frontex. Gegründet im Jahr 2004 mit einem Etat von wenigen Millionen Euro wird sie im Jahr 2015 mit über 114 Mio. Euro von den EU- Ländern ausgestattet. Entgegen häufiger Annahmen ist Frontex selbst keine Grenzpolizei, koordiniert aber sehr wohl die Arbeit der Grenzpolizeien der EU- Mitgliedstaaten. Seit Dezember 2013 steht der Agentur dafür das satellitengestützte Überwachungssystem Eurosur zur Verfügung, das in Echtzeit Bilder von menschlichen Bewegungen im Mittelmeerraum und in Osteuropa liefert. Offiziell soll das Programm die Sicherheit der Geflüchteten gewährleisten und die Seenotrettung unterstützen. Durch das System kann aber zum Beispiel das Ablegen der Boote an der afrikanischen Nordküste verhindert bzw. Boote auf offene See zurückgedrängt werden.

Solche „Push-Backs" hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben, immer wieder ist auch der Name Frontex gefallen. Dokumentiert sind Vorfälle in der griechischen Ägäis und vor der Küste Italiens, aber auch auf dem Landweg in Bulgarien oder Spanien. Nach der europäischen Menschenrechtskonvention hat jede Person das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Im Jahr 2012 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte deshalb Push-Backs für unrechtmäßig. Trotzdem finden sie nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen weiter statt.

Von „Mare Nostrum" zu „Triton"

Infolge der gestiegenen Todeszahlen von Geflüchteten auf hoher See hat die italienische Küstenwache vergangenes Jahr das Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum" ins Leben gerufen. 140 000 Menschen sind dadurch nach Angaben des European Council on Refugees and Exiles in einem Jahr gerettet worden. Mehrfach hat die italienische Regierung die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, sich an den Kosten und der Durchführung zu beteiligen, vergebens: Auch auf Drängen von Innenminister De Maizière wurde das Programm eingestellt und im Herbst 2014 durch die Operation Triton unter der Leitung von Frontex ersetzt. Nicht nur ist der Einsatzbereich der Patrouillenboote auf dem Mittelmeer geringer, auch dient sie vornehmlich der Abwehr von Flüchtlingen und nicht der Seenotrettung, wie Frontex-Chef Gil Arias-Fernandez im Interview bestätigt.

Zäune an den Grenzen

Nicht nur auf dem Mittelmeer, auch an Land hat die EU effektive Mechanismen zur Abwehr von Geflüchteten entwickelt. Meterhohe und mehrstufige Zäune sichern die Grenzen der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla zu Marokko und die griechische Landgrenze zur Türkei. Beides sind beliebte Fluchtrouten nach Europa. Berichte über Push-Backs gibt es auch hier. Erst im Februar letzten Jahres sind 15 Menschen an der Grenze zu Ceuta ums Leben gekommen, da die spanische Polizei Gummigeschosse und Tränengas gegen die Geflüchteten einsetzte.

Die Auslagerung der Grenze

Doch die EU scheint nicht nur auf die Abwehr an der Grenze selbst zu setzen, sondern bezieht Nachbarstaaten in ihre Migrationspolitik mit ein. In Libyen sperren die Behörden Geflüchtete regelmäßig in Gefängnisse - finanziert von der EU. Vor einigen Wochen wurde bekannt, dass auch in der Ukraine solche Einrichtungen existieren, in die Asylsuchende ohne Anklage für bis zu ein Jahr eingesperrt werden. Ihr einziges „Vergehen": Das Durchqueren der Ukraine auf dem Weg in die EU. In diesen Tagen auch so kein ungefährliches Unterfangen.


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