Jonas Mayer

Freier Journalist, Reutlingen

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Klimaschutz im Alltag: Was, wenn es alle machen?

Gemeinsam am selben Strang zu ziehen, hilft auch, um die Klimakrise doch noch zu bewältigen. © Anna Samoylova/​unsplash.com

Eigentlich braucht es die neuen Schockmeldungen gar nicht mehr, 27 Grad Celsius im Mai, die Temperaturen laut Weltorganisation für Meteorologie (WMO) wieder auf Rekordkurs, bis 2026 mal wieder ein wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Eigentlich ist das alles doch allen längst bekannt. Die Menschheit nimmt auf den Planeten Erde so viel Rücksicht wie ein Kettenraucher auf seine Lunge.

Auch wenn ein globales Problem wie die Klimakrise letztlich nur auf politischer Ebene gelöst werden kann, freigesprochen können Individuen deswegen nicht: Jede und jeder Deutsche verursacht im Jahr mehr als elf Tonnen Emissionen, ein Sechstel davon wäre noch ökologisch verträglich. Die wichtigsten Hebel für den Klimaschutz: Strom und Wärme aus fossilen Brennstoffen reduzieren, die Fahrten im eigenen PKW drosseln, weniger Fleisch essen. Alles richtig. Nur sind diese Hinweise so prominent, dass wir kleinere Emissionsquellen übersehen. Gehen wir also einmal mit offenen Augen durch den Tag: Was brächte es dem Klimaschutz, wenn ganz Deutschland für einen Tag auf ein paar Gewohnheiten verzichtete?

Ein Kaffee daheim oder 56-mal mit dem Auto durch Deutschland

Gibt es eine größere Liebe als die eines Morgenmuffels zu einem großen Pott Kaffee? Rund 450 Tassen oder 5,4 Kilogramm Kaffeepulver trinken wir hierzulande jedes Jahr. Für den Anbau und die Verarbeitung eines Kilos rechnet das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) mit 5,6 Kilotonnen CO₂. Für das Kochen fallen pro Tasse durchschnittlich 0,1 Kilowattstunden Stromverbrauch an. Zusammen macht das 120 Gramm CO₂-Emissionen für eine einzige Tasse.

von Flensburg bis an die Zugspitze könnte man fahren, wenn alle Deutschen einen Tag lang auf Kaffee verzichteten..

Eine 500 Meter kurze Autofahrt um den Block verursacht genauso viel CO₂. Wenn alle Deutschen einen Tag lang auf Kaffee verzichteten, sparte das fast 11.300 Tonnen Emissionen ein. Eine Menge, für die man mit dem Auto 56-mal von Flensburg bis an die Zugspitze fahren könnte.

Lange Dusche oder Flug nach Mallorca

Laut des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft macht das Aufheizen von Wasser im Durchschnitt 13 Prozent des heimischen Energiebedarfs aus. Wir verwenden fast vollständig Warmwasser zum Duschen oder Baden. Das Öko-Institut geht in einer eher vorsichtigen Rechnung davon aus, dass die Deutschen im Durchschnitt 200-mal im Jahr je sechs Minuten lang duschen. Pro Minute fließen zehn Liter durch den Duschkopf, die auf bis zu 37 Grad Celsius Wohlfühltemperatur erhitzt werden - meist mit fossilen Brennstoffen. Das macht 33 Liter Wasser und ein halbes Kilo Emissionen am Tag für eine einzige Person. Das ganze Land? Verursacht am Tag so mehr als 43.000 Tonnen. Das entspricht 180 Flügen von Frankfurt nach Palma de Mallorca.

Schokolade essen oder drei Millionen Würste

Ein Stück Schokolade hilft in jeder Lebenslage, heißt es. Jede und jeder Deutsche gönnt sich 9,2 Kilogramm im Jahr. Das Problem: Ausgerechnet Kakao und Palmöl sind echte Klimakiller. Laut WWF liegt das am enormen Flächenverbrauch, inklusive der Rodung vieler Regenwälder, und an der intensiven Verarbeitung. Für Palmöl fallen 15,1 Kilogramm CO₂ pro Kilogramm Ernte an. Für Kakao sind es sogar 25,4 Kilogramm. Für die fertig verarbeitete Schokolade geht das ifeu von 4,1 Kilogramm CO₂ pro Kilo Süßes aus. Ein paar Stücke Schokolade am Tag verursachen also rund 100 Gramm Emissionen. Ein Tag Schoki-Verzicht in Deutschland entspräche drei Millionen Würste weniger zu essen - 8.600 Tonnen Emissionen.

Serien streamen oder Mondraketen starten

Die Deutschen sitzen gerne vor der Glotze. Durchschnittlich dreieinhalb Stunden am Tag, um genau zu sein. Fast jeder Haushalt besitzt ein Gerät - mindestens. Laut co2online verbrauchen diese durchschnittlich 190 Kilowattstunden im Jahr. An einem Tag emittiert ganz Fernsehdeutschland also mehr als 8.700 Tonnen CO₂. Für so viele Emissionen bekommen Sie Action auch abseits des Bildschirms: etwa mit dem Start von 35 SpaceX-Raketen.

Zum Stromverbrauch des Fernsehers kommen noch die Streamingdienste: Ein Zehntel der Bevölkerung streamt täglich Filme und Serien bei Amazon Prime, Netflix und in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen. Zusammen macht das nach Daten des Öko-Instituts täglich 22 Gramm CO₂-Emissionen pro Kopf aus. Streaming-Fans sammeln also noch mal 206 Tonnen an einem Tag. Zugegeben: Das reicht nicht ganz für einen weiteren Raketenstart.

Das Potenzial von vielen

Ein Einsparpotenzial von 72.000 Tonnen CO₂ an nur einem Tag. Das entspricht knapp dem, was ein großes Kohlekraftwerk über zwei Tage hinweg in die Luft bläst. Klar, der Verzicht eines ganzen Landes auf Kaffee, Dusche, Schokolade, Wäschewaschen und Fernsehen ist illusorisch. Aktionen wie der Veganuary (Veganer Januar) oder "Mit dem Rad zur Arbeit" zeigen allerdings, dass sehr wohl Hunderttausende für das Klima und die eigene Gesundheit, Gewohnheiten ändern können.

Zudem geht es im Klimaschutz ja ohnehin keineswegs um ewige Enthaltsamkeit, sondern schon ein simples "Weniger": weniger Fleischessen, weniger Autofahren, weniger Zeit vor dem Fernsehbildschirm.

Auch Genuss statt Verzicht kann klimafreundlich sein

Wenn Sie aber ohne den täglichen Kaffee nicht wach werden, ohne heiße Dusche nicht sauber und ohne drei Folgen Ihrer Lieblingsserie nicht glücklich, können Sie außerdem durch ein paar Einkäufe und Routinen Emissionen einsparen.

Etwa beim Kaffee: Geografen des University Colleges London haben errechnet, dass die Emissionen für Kaffeebohnen aus nachhaltigem Anbau bestenfalls nur ein Viertel der Emissionen aus konventionellem Anbau betragen. Wenn Sie den Kaffee mit dem Wasserkocher und einer French Press oder mit einer Filterkaffeemaschine zubereiten, haben Sie zudem höchstens ein Drittel des Energiehungers einer Mokkakanne oder Siebträgermaschine. Statt Kuhmilch pflanzliche Alternativen wie Hafermilch in den Kaffee zu geben, verursacht ebenfalls weniger Klima- und Umweltschäden.

Für die Emissionen in der Duschkabine hilft ein Sparduschkopf, der das durchfließende Wasser mit Luft vermischt. Das spart pro Jahr Tausende Liter Wasser und bis zu 300 Kilogramm Emissionen ein - fast drei Prozent des persönlichen jährlichen CO₂-Fußabdrucks!

Auch Schokolade verursacht aus nachhaltigem Anbau weniger Emissionen. Zartbitterschokolade ist laut ifeu leicht klimafreundlicher als Vollmilchschokolade, des Milchpulvers wegen. Schokolade mit Mandeln sollten sie im Zweifel im Supermarktregal zurücklassen.

Emissionen lassen sich allein mit einem Sparduschkopf einsparen. Das sind immerhin fast drei Prozent des persönlichen jährlichen CO₂-Fußabdrucks.

Für Fernseher gilt, wie für jedes andere Elektrogerät, dass Sie beim Kauf auf eine hohe Energieeffizienz achten sollten. Allerdings bringe selbst eine A-Bewertung wenig, wenn diese Effizienz von immer längeren Bildschirmdiagonalen aufgefressen werde, mahnt das Öko-Institut. Und rät außerdem dazu, mit niedriger Auflösung und auf einem Laptop zu streamen. Wenn Sie Ihre Lieblingsserie unterwegs auf einem Tablet oder Smartphone anschauen wollen, laden Sie sich die Folgen am besten vorher runter. Die Emissionen aus der Datenübertragung im Mobilfunknetz sind nämlich vielfach höher als im heimischen WLAN.

Und, wer weiß, vielleicht gelingt gerade im Frühling und Sommer ja auch ein bisschen weniger Bildschirmzeit.

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