Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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KI in der Wetterprognose: Akkurat, aber ahnungslos?

Angesichts des Klimawandels und zunehmenden Extremwetterereignissen heißt es immer häufiger: KI könne auch hier präzise Vorhersagen treffen - ohne dafür viel von Meteorologie verstehen zu müssen. Da ist etwas dran. Die wichtigen Entscheidungen werden jedoch wohl auch in Zukunft Menschen treffen.


Nein, er sei kein Meteorologe, sagt Christian Schneider. Aber das müsse er auch gar nicht, um bei wetter.com die Vorhersagen zu verbessern. Er ist Data Scientist, hat als Spezialist für Machine Learning bereits bei Media Markt die optimalen Produktpreise ermittelt. Seit drei Jahren wendet er seine KI-Fähigkeiten auf die Prognosemodelle für Wetter-Apps und die Vorhersagen von Sendern wie Pro7 und Sat1 an. „Man sollte immer über den Tellerrand hinausschauen und ausprobieren, was bereits in anderen Feldern gut funktioniert", sagt er.

Schneider tüftelt vor allem an der besseren Vorhersage von Regen, Temperatur und Sonnenscheindauer durch KI-Methoden. Damit ist wetter.com keine Ausnahme. Im Jahr 2016 hat IBMs Cloud-Einheit die US-amerikanische Weather Company aufgekauft. Google sorgte bei der Konferenz der American Meteorological Society im vergangenen Jahr für Aufsehen, als deren KI-Experte Jason Hickey eine rein auf Deep Learning beruhende Echtzeit-Vorhersage für Regen und Schnee vorstellte. KIs können Go spielen und Hindernisse für selbstfahrende Autos erkennen, sagt er. Diese Fähigkeiten ließen sich auch auf die Wettervorhersage übertragen. Und auch die Pioniere des britischen Unternehmens DeepMind, bekannt für ihre Modelle auf dem Feld der Proteinfaltung, haben sich nun die Vorhersage von Regen innerhalb der nächsten 90 Minuten vorgenommen.

Christian Schneider von wetter.com probiert das ebenfalls. Dabei setzt er unter anderem auf eine raffinierte Methode der autonomen Erkennung von Satellitenbildern. Nach und nach lernt die KI, wie die Wolken aussehen, wie sie sich formen und bewegen. Sie kategorisiert, ergänzt und präzisiert die Aufnahmen dort, wo aufgrund der schlechten Auflösung nur „ausgefranste Kanten" zu sehen sind, wie Schneider erklärt. „Bei autonomer Bilderkennung experimentieren wir noch", möchte Schneider betonen. Aber das Ziel steht: Eine verbesserte Berechnung der Sonnenscheindauer.

Wer den Innovationssprung dahinter verstehen möchte, muss sich vor Augen führen, wie Wettervorhersagen bisher funktionierten. Üblicherweise werden dabei allerlei Parameter wie Windverhältnisse und Temperaturen berücksichtigt und nach physikalischen Gesetzmäßigkeiten das zukünftige Wetter ermittelt, sagt Schneider: „Das kann man ziemlich gut theoretisch erklären". Ähnlich auch der statistische Ansatz, der letztlich Daten der Vergangenheit mit denen von heute abgleicht - und daraus folgert, wie das Wetter aller Wahrscheinlichkeit nach morgen aussehen dürfte.

Die Vorhersagen der KI werden immer besser

Die KI in Schneiders Bilderkennung der Wolken wiederum hat keine Ahnung von Meteorologie. Die KI soll lernen, die Aufnahmen der Wolken eigenständig zu verfeinern und sortieren - und das ohne zu wissen, welchem Zweck dies dient. Wie genau die KI das macht, das wiederum wissen Schneider und sein Team nicht im Detail. Aber müssen sie das überhaupt?

„KI ersetzt nicht unsere komplette Modellierung", sagt Schneider. Die herkömmlichen Methoden bilden nach wie vor die Basis, Meteorolog:innen sind in die Entwicklung eingebunden - und auch die Ergebnisse der Testläufe sieht er als Bestätigung: Die Akkuratheit der Vorhersage der mittleren Temperatur durch KI haben sie im Testlauf von 97,8 auf 99,5 Prozent verbessert. Das klingt wenig - ist jedoch eine merkbare Verbesserung für die ohnehin recht präzisen Prognosemodelle. In der Praxis heißt das: Wich davor in zwei von 200 Messstationen die Temperatur um 2,5 Grad Celsius von der Prognose ab, passiert das heute nur noch bei einer einzigen.

Sollte sich das auch im vollen Einsatz beweisen, wäre das ein Achtungserfolg: „Meiner Erfahrung nach sind die physikalischen Modelle so stark, dass es schwierig für KIs sein wird, diese zu schlagen", sagt Eric Floehr über die gewöhnliche Wettervorhersage. Der Gründer von ForecastWatch mit Sitz in Irland hat in seinem jüngsten Report verglichen, wie die Prognosen von weltweit 17 Anbietern rückblickend abgeschnitten haben.

Zunehmend nutzen diese KI, wenn auch meist für sehr spezielle Anwendungen und nicht vollumfänglich. Die Meteorologie setzt seit jeher enorm auf Sensorik und Satelliten und gilt als Pionierin in Sachen Big Data. Nun ist KI der große Trend, was Floehr grundsätzlich begrüßt, jedoch auch einwendet: „Da gibt es definitiv auch Risiken, vor allem ethische Bedenken. Man weiß nicht genau, was eine KI vorhersagt. Erst einmal mag sie einen besseren Job machen - aber nur so lange, bis dies nicht mehr der Fall ist". Und wer trägt dann die Verantwortung?

Großes Potenzial bei Extremwetterereignissen

Bei Sonnenscheindauer, dem Experimentierfeld bei wetter.com, sind sie da auf harmlosem Terrain unterwegs. Ganz anders ist es jedoch genau dort, wo das Potenzial für KI besonders groß ist: „Das ist dann, wenn wir an Grenzen kommen, die Phänomene zu verstehen, also vor allem bei Wetterextremen wie Tornados, Hitzewellen, Flut und Schneefall", sagt Floehr. Wenn Maschinen in derlei chaotischen Systemen Muster erkennen, die sich Menschen nicht erschließen, könne das vielleicht sogar Leben retten, sagt Floehr: „Herkömmliche Modelle tendieren dazu, Extreme zu glätten".

Die Hoffnung, extreme Wetterereignisse mithilfe von KI früher vorhersagen zu können, hegt wohl auch das Bundesforschungsministerium: Nachdem im Juli Sturzfluten und Überschwemmungen mehr als 180 Menschenleben in Deutschland forderten, präsentierte Forschungsministerin Anja Karliczek etliche Förderprogramme, die KI in der Vorhersage von Hochwasser, den Auswirkungen des Klimawandels und dem besseren Management von Katastrophen voranbringen sollen.

Die Flutkatastrophe im Ahrtal: Künftig soll KI bei der Vorhersage solcher Extremwettereignisse helfen. Foto: Getty Images

Aber auch für Floehr bräuchte es dann den „human in the loop", jemanden, der den „Schalter umlegen kann, wenn eine KI etwas macht, das Menschenleben gefährdet". Die Trainingsdaten für die KI sollten in solchen Fällen besonders „robust" sein.

Machine Learning ist kein Allheilmittel

Roland Potthast, gelernter Mathematiker, ist Chef der „numerischen Wettervorhersage" beim Deutschen Wetterdienst, der Wetterstationen aufrecht hält und die Grundlagen für die meisten Prognosen in Deutschland liefert. Auch Schneiders Team bei wetter.com greift darauf zurück.

Allzu ambitionierte Data-Science-Enthusiasten möchte er etwas bremsen. Zwar haben sie auch beim DWD KI-Projekte, allerdings für Nischenlösungen, wie die Simulation von atmosphärischem Strahlungstransport.

Über das Problem, wenn fachfremde KI-Methoden nun ohne weiteres in der Meteorologie angewendet werden, sagt er jedoch: „Zum Teil herrscht der Anspruch, dass unsere KI alles lernen kann, wenn man sie nur richtig einsetzt". Dabei würde man unterschlagen, dass neuronale Netze, ähnlich wie das menschliche Gehirn, erst nach und nach dazu lernen - und immer auch Kontextwissen nötig ist.

Er will auch die Erwartungen all jener dämpfen, die nun glauben, mit KI-Methoden hätte selbst die jüngste Flutkatastrophe verhindern werden können. „Da ist die Wetterlage extrem gut vorhergesagt worden", sagt er. Wieder ist es der Faktor Mensch, der hier ins Spiel kommt, hier jedoch auch als Problem. Denn die Verantwortung für die Warnung und das Krisenmanagement liegt bei Zuständigen an vielen Stellen. „Die Kette bis hin zum Bürger hat nicht oder nicht ausreichend funktioniert. Hieran müssen alle Beteiligten weiter arbeiten", bilanziert Potthast.

Angesichts der Fehlbarkeit menschlicher Intelligenz: Muss da wirklich jede KI auch nachvollziehbar handeln? Oder ist es das akkurate Ergebnis, das am Ende Priorität haben sollte?

Klassische Modelle tun sich schwer mit Klimaprognosen

Je weniger wir Menschen in der Lage sind, komplexe Phänomene zu verstehen und deshalb auf unpräzise Modelle angewiesen sind, desto hilfreicher ist eine KI, die neue Muster zu erkennen vermag. Besonders viele Unbekannte kommen ins Spiel, wenn nicht nur das Wetter von morgen, sondern die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels vorhergesagt werden sollen.

Markus Reichstein ist Professor am Jenaer Max-Planck-Institut für Biogeochemie. Bei einem Forschungsaufenthalt in Berkeley kam er mit der Arbeit von Phillip Isola in Kontakt. Spielerisch wendet der KI-Spezialist Machine Learning an, um Bilder weiterzuspinnen, sei es, um Schwarz-Weiß-Foto in Farbige zu verwandeln, Tagaufnahmen von Straßen in Nachtbilder oder Skizzen von Handtaschen in fotogleiche Abbildungen. Und das alles ohne Verständnis von der jeweiligen Materie. Ließe sich das nicht übertragen auf die knifflige Aufgabe, die Aufnahmen vorherzusehen, die Satelliten in ein paar Jahrzehnten für Aufnahmen aus dem All machen werden - und das unter Berücksichtigung verschiedener Verläufe der Erderwärmung?

Reichstein stellte mit Data Scientists der Universität Jena ein Team zusammen. Sie setzten ein neuronales Netz auf, trainierten es mit Satellitenbildern unterschiedlicher Zeiträume und Regionen, die mit ihren Farbtönen beispielsweise signalisieren, ob auf den Pixeln Bäume stehen, Wiesen zu sehen, der Boden feucht ist oder sich Treibhausgase bilden.

Anhand von unterschiedlichen Farbtönen in Satellitenbildern können selbstlernende Algorithmen auch komplexe Klimaveränderungen registrieren.

Bisher hat die Wissenschaft auf klassische physikalische Modelle zurückgegriffen und an einzelnen Parametern in den Gleichungen gedreht, um den Klimawandel zu simulieren. „Je mehr Sonne, desto mehr Photosynthese. Je trockener es wird, desto weniger Photosynthese", nennt Reichstein als Beispiele. Das Ergebnis: große Zellen, für die ein klimatischer Mittelwert errechnet wird. „Klassischerweise wird die Heterogenität innerhalb von zehn Kilometern gar nicht beschrieben". Egal, ob sich dort Fußballplatz, Streuobstwiese oder Acker befindet.

„Als Landwirt frage ich mich aber doch, wird es jetzt hier auf meinem Acker trocken, braucht es als Investition für die nächsten 30 Jahre eine Bewässerungsanlage oder nicht? Dies hängt von den lokalen Bedingungen ab", erklärt Reichstein, wie unbrauchbar solch ungenaue Daten seien. Seinem Team ist es nun gelungen, eine KI einzusetzen, die die Entwicklung der Satellitenaufnahmen in die Zukunft fortschreiben und dabei verschiede Klimaszenarien durchspielen kann. Und das auf Zellen von nur 20 mal 20 Metern. „Das ist viel präziser als ein theoretisches Modell, bei dem wir gar nicht wissen, welche Faktoren alle eine Rolle spielen".

Wie genau die KI zu den Resultaten kommt, das weiß Reichstein noch nicht. Und vielleicht wird er es auch nie ganz verstehen. Schließlich ist das eigenständige Erkennen von Mustern der Grund, KI überhaupt erst einzusetzen. Mittlerweile gibt es für die gängigen Programmiersprachen allerlei einsatzbereite Programme, für deren Einsatz es keine KI-Skills braucht: „Statt einer Black Box, bei der man nicht genau weiß was vor sich geht, entstehen so durch die Kombination besser interpretierbare Modelle", sagt Reichstein darüber, wie sich sein Ansatz davon abgrenzt

Bei ihrem Modell hätten sich stets auch die Klima-Expert:innen mit eingebracht. Manchmal seien es sogar die Data Scientists selbst, die Fachfremde wie Reichstein bremsen würden, wenn sie allzu enthusiastisch die neuesten KI-Tools anwenden möchten.

Und so fällt auch bei Reichstein ein Satz, der darauf schließen lässt, das Wetter und Klima so bald nicht alleine von KI-Maschinen prognostiziert werden: „Wir versuchen unser Modell mit dem physikalischen zu kombinieren".

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