Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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Warum deine morgendliche Tasse Tee ab sofort ein bisschen gerechter ist

Fast alle haben sie an den Rooibosblättern verdient: In Ländern wie Deutschland sind es die Geschäfte, die sie verkaufen, und die Händler:innen, die sie verpacken und vermarkten. Im Herkunftsland sind es die Verarbeiter:innen, die die Blätter trocknen, fermentieren, entkeimen bis hin zu denjenigen, die die Sträucher pflanzen, pflegen und ernten. 15.000 Tonnen Rooibosblätter bringt das Land Südafrika im Jahr auf den Markt, etwa die Hälfte davon wird exportiert. Doch eine Gruppe profitierte bislang nicht von dem Geschäft, das so 29 Millionen Euro jährlich einspielt: die indigenen Bevölkerungen, auf die der Anbau und die Nutzung der Aspalanthus Linearis, so der lateinische Name des Rooibos, ursprünglich zurückzuführen ist.

Doch das wird sich nun ändern.

Noch bevor niederländische und britische Kolonisator:innen in die Region kamen, haben die Völker San und Khoi die giftgrünen, nadelförmigen Blätter der hüfthohen Sträucher zu nutzen gewusst. "Erbe ist wahrlich der größte Besitz der San", formuliert es Collin Louw, der Vorsitzende des südafrikanischen San Council. "Erbe heißt nicht nur unsere Kultur, unsere Tänze, Geschichten, sondern auch das traditionelle Wissen, das über Jahrtausende weitergegeben wurde."

So äußerte sich Louw am 1. November 2019 vor Gästen, die zur Unterzeichnung eines Abkommens geladen waren, das eine neue Ära des fairen Wirtschaftens einleiten soll. Die Völker der San und Khoi einigten sich mit dem Rooibos Council, dem Industrieverband der Rooibosproduzenten, auf ein sogenanntes Benefit Sharing Agreement. 1,5% aller Einnahmen aus dem Verkauf der Rooibosblätter sollen künftig an die indigenen Völker gehen. In den kommenden Monaten wird es zur ersten Auszahlung kommen.

1,5% aller Einnahmen aus dem Verkauf der Rooibosblätter sollen künftig an die indigenen Völker gehen.

Doris Schröder ist Direktorin des britischen "Centre for Professional Ethics" an der University of Central Lancashire. "Den Einfluss des Rooibosfalls würde ich als sehr hoch einschätzen", sagt die Moralphilosophin. "Es ist der größte Benefit-Sharing-Fall, den es je gegeben hat. Er ist auch deshalb wichtig, weil andere ermutigt werden, die Ausbeutung traditioneller Völker zu verhindern."

Zusammenhalt zahlt sich aus

Internationale Großkonzerne preisen sich gerne für ihren Erfindergeist. Dabei vermarkten sie häufig Kosmetika, Medikamente und Genussmittel, deren Ursprünge in den Kulturen indigener Völker liegen. Die Liste der Vergehen ist lang: Der beliebte südamerikanische sowie Mehr Infos über den Streit um die Heilpflanze findest du hier (2017) die Rosafarbene Catharanthe, eine Heilpflanze In Deutschland ist die Rosafarbene Catharanthe auch als Madagaskar-Immergrün bekannt und als Zimmerpflanze beliebt. aus Madagskar und der

Seit nunmehr 10 Jahren können sich ausgebeutete Gruppen auf das Nagoya-Protokoll beziehen, eine Erweiterung der Biodiversitätskonvention aus dem Jahr 1992. Dadurch gibt es einen Anspruch darauf, rechtlich bindende Benefit Sharing Agreements auszuhandeln, um einen Teil der Erlöse aus kommerzialisierten Produkten zu erhalten.

Grundsätzlich konnten auch davor schon derartige Abkommen abgeschlossen werden. Schlagzeilen machten jedoch vor allem Projekte, die gescheitert sind: 2001 gaben die Maya in Mexiko ihr Vorhaben auf, in breit angelegter Forschung ihr kulturelles Wissen zu ermitteln - und auf mögliche finanzielle Beteiligungen an kommerzialisierten Produkten abzuklopfen. "Das hat nicht geklappt, weil sie sich untereinander nicht einigen konnten", sagt Schröder über die zerstrittenen indigenen Gruppen, denen eine einheitliche Position fehlte, mit der sie in Verhandlungen hätten treten können.

Moralphilosophin Doris Schröder und Roger Chennells vom South African San Institute (links) mit Andries Steenkamp (Mitte), der die Verhandlungen aufseiten der San zu Beginn führte, aber unerwartet verstorben ist. - Quelle: Doris Schröder copyright

Das Volk der San hingegen hat schon in der Vergangenheit Zusammenhalt bewiesen. Vor allem auf Südafrika, Namibia und Botswana verteilt, gelten die etwa 110.000 Personen als die ältesten Vorfahren des modernen Menschen - und sind international vor allem für ihre Sprache mit Klicklauten bekannt. 2003 handelten sie mit einem Südafrikanischen Forschungsinstitut ein erstes Benefit Sharing Agreement aus. Darin ging es um ein Patent auf Basis des Hoodia-Kaktus, das erst Pfizer, dann Unilever als Diätprodukt vermarkten wollten. Beide ließen es dann aber doch sein. Aus einem zweiten Abkommen fließen tatsächlich Gelder an die San - und zwar jährlich 5% der Verkaufserlöse aus dem Produkt "Zembrin". Es wird von HG&G Pharmaceuticals gegen Angststörungen, Stress und Depressionen vertrieben und aus Sceletium extrahiert, einer Pflanze, die das Volk ebenfalls zu nutzen wusste.

Verhandlung mit Widerständen

Das Abkommen über die Rooibospflanze sei nun ein "Superlativ", sagt Schröder: Es ist nicht nur das bisher größte, sondern auch das "erste industrieweite Abkommen" unter der Biodiversitätskonvention. Das bedeutet: Die Völker der San und Khoi haben über ihre Vertreter:innen nicht mit einer einzelnen Firma verhandelt, die beispielsweise ein Patent besitzt. Stattdessen haben sie sich mit den Vertreter:innen der gesamten Branche verständigt - und kassieren von nun an am "Flaschenhals der Wertschöpfungskette", wie Schröder es formuliert.

Jedes Mal, wenn Landwirte die geernteten Rooibosblätter an die weiterverarbeitende Industrie verkaufen, fließt ein Teil der Erlöse in Töpfe, die gleichermaßen zwischen den beiden indigenen Völkern aufgeteilt werden. "Die Schaffung von Arbeitschancen, Stipendien, Entwicklungsprogrammen, Mentoring und Erleichterungen für das Bestreiten des Lebensunterhalts" zählen die San als Beispiele dafür auf, was mit den Geldern geschehen soll. Auf etwa 700.000 Euro schätzt der Anwalt der San die auszuzahlende Summe für das Jahr 2019.

Eigentlich wäre die erste Zahlung bereits im Juli 2020 fällig gewesen. Südafrikas strikter Coronalockdown hat die letzten bürokratischen Schritte jedoch verzögert. Der Anwalt hofft jedoch auf eine zügige Zahlung noch bis Ende des Jahres.

9 Jahre sind von der ersten Idee bis zum fertigen Abkommen vergangen. "Der Verhandlungsprozess war schwierig", sagt Louw am Tag der Einigungszeremonie. "Zwischenzeitlich haben wir die Fassung verloren, schrien uns gegenseitig an." Von "massivem Widerstand" berichtet er, gegen den sie anfangs haben ankämpfen müssen.

Es gäbe keine ausreichenden Belege dafür, dass die San tatsächlich über das traditionelle Wissen verfügten, Vielleicht hätten die San die Rooibosblätter für medizinische Zwecke genutzt, jedoch nicht zwangsläufig auch für die Teezubereitung, so die erhobenen Zweifel.

Verschiedene Rooibossorten aus einem Teeladen in Kapstadt - Quelle: Doris Schröder

Für eine Studie wälzte das südafrikanische Umweltministerium allerlei historische Quellen, zitiert beispielsweise den Botaniker Carl Thunberg, der 1772 von Getränken auf Basis der Rooibospflanze berichtet, zubereitet von der indigenen Bevölkerung. Die Pflanze sei weit verbreitet in ihrer Ursprungsgegend, in der die San und Khoi seit Jahrhunderten lebten. Es sei kein Zufall, dass sich genau dort später auch die Teewirtschaft entwickelte. All dies "unterstützt weitgehend die Wahrnehmung der Gemeinschaften, dass das traditionelle Wissen für Rooibos und die Honigbüsche bei den Gemeinschaften liegt, die auch aus dem Gebiet stammen", Widerwillig ließ sich der Industrieverband auf das Abkommen ein.

Ein Sonderfall mit Signalwirkung

Das wird auch an der Verhandlungsposition der San und Khoi gelegen haben. Der Name Rooibos ist regional geschützt und darf nur für Tee verwendet werden, der in den Zederbergen nordöstlich von Kapstadt angebaut wird. Internationale Teehändler:innen, allen voran aus können daher nicht einfach auf den Import aus anderen Weltregionen ausweichen. Auch deshalb lässt sich das industrieweite Abkommen nicht ohne Weiteres als Schablone auf Produkte in anderen Ländern übertragen.

Jedes Mal, wenn Landwirte die geernteten Rooibosblätter an die weiterverarbeitende Industrie verkaufen, fließt ein Teil der Erlöse in Töpfe der beiden indigenen Völker.

"Oft sind dies sehr verarmte Gruppen, die gar nichts von ihren Rechten wissen", sagt Schröder über indigene Bevölkerungen mit weniger Verhandlungserfahrung als die San. Oft mangele es am strukturierten Wissen über Kulturtechniken und Geld, um über Jahre hinweg mit Anwält:innen Prozesse zu bestreiten. "Als Gruppe muss man zudem ausreichend organisiert sein, um sich nach außen zu repräsentieren", sagt Schröder.

Keine Sorgen macht sich die Moralphilosophin darüber, dass nun auch allerhand Gruppen im Globalen Norden Ansprüche auf kulturelles Wissen erheben, beispielsweise versuchen könnten, Anteile am Verkauf deutscher Eigenheiten wie dem Quark zu erstreiten. "Die Konvention ist aus Gründen der Ungerechtigkeit heraus entstanden", sagt Schröder. Privilegierte Europäer:innen hätten da schlechte Aussichten.


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