Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

1 Abo und 3 Abonnenten
Artikel

Künstliche Intelligenz: Schon ganz smart

Der Mittelstand scheut den Einsatz künstlicher Intelligenz, das zeigen Untersuchungen immer wieder. Zuletzt ergab eine Umfrage der Universität des Saarlandes unter großen Mittelständlern, dass lediglich 12 Prozent eine definierte KI-Strategie haben. Wir stellen hier vier von ihnen vor.


Schlauer rütteln

Stefanie Schwarz-Keller nennt die TruLaser Center 7030 eine große Hilfestellung: "Für uns ist das eine Maschine, die die Prozesse optimiert, damit wir sicher produzieren", sagt die 32-Jährige. Sie ist Mitglied der Geschäftsführung beim Familienunternehmen Keller Laser, einem Schweizer Blechverarbeiter. In dem Laser-Vollautomaten, um den es geht, entwickelt von der baden-württembergischen Trumpf-Gruppe, steckt neben viel Hightech auch eine intelligente Robotik. Es ist ein drei Meter hoher Kasten mit einer Länge und Breite von jeweils zehn Metern, der fast 1,9 Millionen Euro kostet. Er kann riesige Metallbleche in unterschiedliche Formen schneiden und dann zu Abdeckungen für Maschinen oder zu Material für Balkone und Schienenfahrzeuge verarbeiten. Teile, die größer als rund zehn Zentimeter sind, holt ein Greifarm mit Saugnäpfen heraus. Die kleineren stößt eine Art Hammer nach unten aus dem Blech. Bei diesem Vorgang können Teile in der Form verklemmen. Früher, bei den alten Geräten, mussten dann Arbeiter die Maschine anhalten und die Teile herausklopfen.

Doch jetzt kommt eine künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel. Sie lässt die Maschine an den Blechen rütteln, rücken, schieben, wackeln, saugen und pusten, mal aus der einen, mal aus der anderen Richtung, bis sich das Teil schließlich löst. Das klingt erst mal wenig systematisch, ist es aber doch: Die KI wird mit Informationen gefüttert, die Trumpf-Maschinen in Werken anderer Unternehmer sammeln. So weiß die Maschine immer genauer, wie sie Probleme lösen soll, je nachdem, wo es hakt und klemmt - ganz ohne menschliche Unterstützung. "Für uns hat das den Vorteil, dass wir 24 Stunden an sieben Tagen die Woche autonom produzieren können", sagt Schwarz-Keller.


Störungen voraussehen

Irgendwann geht jede Maschine kaputt. Nur wann? "Ein unerwarteter Stillstand kann uns am Tag 10.000 Euro kosten", sagt Jens Meiser, Geschäftsführer des Textilunternehmens Carl Meiser. Den Betrieb im schwäbischen Tailfingen hat er vor 16 Jahren von seinem Vater übernommen. Damals ließ er die Maschinen, mit denen er Spezialstoffe für Medizintechnik, Militär und Autos färbt, einfach so lange laufen, bis sie streikten. "Wir haben aufgeschrieben, wann was kaputtging, und versucht, daraus zu schließen, wann es das nächste Mal kaputtgeht", so Meiser. Damit sei er aber nicht weit gekommen.

Inzwischen kann jeder, der in dem 50-Personen-Betrieb Maschinen steuert, auf einem Bildschirm ablesen, wie es um das Risiko für Ausfälle steht. Dort ist eine Ampel zu sehen, die von Grün auf Gelb und Rot umspringt.

Bald soll das System mithilfe einer KI sogar die Zahl der Stunden angeben können, die eine Anlage voraussichtlich noch funktionieren wird. Entwickelt hat die KI das Berliner Start-up AiSight. 61 Sensoren in der Größe von Pastillendöschen wurden bei Meiser an den Gehäusen von Kugellagern, Walzen, Dampfkesseln und Produktionsmaschinen fixiert. Dort messen sie deren Vibrationen und schicken die Daten übers Internet an einen zentralen Server. Die Schwingungen werden auf den Bildschirmen der Data-Scientists von AiSight als eine Art Muster dargestellt, das den Kurven eines EKG-Geräts ähnelt. Die Muster verändern sich, wenn ein Maschinenteil verschleißt. Daten aus Testgeräten und den Anlagen verschiedener Firmen trainieren die künstliche Intelligenz dahinter. So erkennt das System automatisch an der Dynamik des Musters, wann etwas kaputtzugehen droht.

Kürzlich hat Carl Meiser diese predictive maintenance, also "vorausschauende Wartung", erstmals genützt. An einem Donnerstag schlug das System Alarm bei einer Entwässerungsmaschine. Wenn die ungeplant ausfällt, steht die ganze Fertigung still. Für den nächsten Samstag, einen ohnehin produktionsfreien Tag, bestellte Meiser die Reparaturfirma: "So lange hat die Maschine dann auch durchgehalten." Und war am Montag um fünf Uhr früh fit für die erste Schicht: "Ohne das System wären wir nicht gewarnt worden. Wir hätten die Anlage nicht rechtzeitig gewartet, und sie wäre uns vielleicht wenig später unter der Woche völlig unvorhergesehen ausgefallen." Weil das richtig teuer gewesen wäre, sind die Lizenzausgaben fast schon ein Schnäppchen: Nach der Installation belaufen sich die monatlichen Kosten für die KI-Sensorik auf nur wenige Hundert Euro.


Gespräche optimieren

In Callcentern sind es die Mitarbeiter gewohnt, dass regelmäßig Gespräche zu Testzwecken aufgezeichnet werden. Bei tel-inform, einem Familienunternehmen im niederrheinischen Kleve, hören aber nicht mehr Menschen bei den Telefonaten mit. Stattdessen zeichnet ein Computerprogramm alle Kundengespräche auf, wertet sie in Echtzeit aus und setzt das in Anweisungen an die Mitarbeiter um. "So bekommen sie eine Art Live-Leitfaden für das laufende Gespräch", sagt Bernhard Sack, der 37-jährige Geschäftsführer. In einer Bearbeitungsmaske auf dem Bildschirm wird den Mitarbeitern angezeigt, wenn sie fluchen oder zu viele Füllwörter verwenden, "Vielen Dank" und "Gerne" sagen sollten. Auch wenn sie noch ein Produkt anbieten oder zu einem anderen Thema überleiten sollen.

Seit seiner Gründung vor 174 Jahren hat sich das Unternehmen mehrfach gewandelt. Aus einem Baustoffhandel wurde ein Callcenter für die Branche, dann ein Kommunikationsdienstleister mit heute 300 Angestellten. Sie übernehmen auf mehreren Kanälen wie Telefon-Hotline und Online-Chats den Kundenkontakt für verschiedene Klienten - vom Anbieter für Küchengeräte bis zur Rechtshilfe. Noch vor einem Jahr, bei der Arbeit ohne KI, seien Kundengespräche per Telefon eine Blackbox gewesen, sagt Sack. Damals hörten die Vorgesetzten die mitgeschnittenen Telefonate hinterher nach, stichprobenartig. "Können Sie sich vorstellen, wie aufwendig das ist?", fragt Sack.

Bei der KI, die nun durch die Gespräche führt, handelt es sich um i2x, eine Software, die Sprache erkennen und verarbeiten kann - das jüngste Projekt von Michael Brehm, der einst StudiVZ mit aufgebaut hat. Kostenpunkt: monatlich 110 Euro pro Telefonagent.


Den Verkehr verstehen

Es gibt etwa 120 Autos auf Dresdens, Münchens und Kölns Straßen, über die weiß Jürgen Bönninger so gut wie alles. Dazu hat er Kameras aus Fahrersicht installieren lassen, sammelt Informationen wie GPS-Standorte, Geschwindigkeiten und Richtungswechsel - seit zwölf Jahren. "Wir haben mit den Fahrzeugen insgesamt 20 Millionen Fahrkilometer untersucht", sagt der 63-jährige Geschäftsführer von "FSD - Zentrale Stelle". Das Unternehmen und seine 200 Mitarbeiter, verteilt auf die sächsischen Städte Dresden und Radeberg, sind vom Staat mit der hoheitlichen Aufgabe betraut, die präzisen Kriterien zu definieren, die Autos bei den Untersuchungen von TÜV und Dekra erfüllen müssen. Ein spezielles Prüfgerät testet zum Beispiel, ob Stoßdämpfer oder Bremsverzögerung ordentlich funktionieren.

In Zukunft muss es solche Kriterien auch für selbstfahrende und teilautonome Fahrzeuge geben, das bereitet die Firma nun vor. Sobald sie auf den Markt kommen, werden deren Verkehrsdaten stichprobenartig aufgezeichnet. So lässt sich festhalten, wie sie mit dem alltäglichen Irrsinn auf den Straßen zurechtkommen: mit Fahrern, die ausscheren, ohne zu blinken, die Geschwindigkeitsgrenzen ums Doppelte überschreiten - und das vielleicht auf nassen, maroden Fahrbahnen. Das will Bönninger dann in einer virtuellen Simulation mit dem Fahrverhalten eines Normalfahrers vergleichen. Dafür nutzt FSD die gesammelten Daten der vergangenen zwölf Jahre. Bloß: In den Massen der Daten seien sie "ersoffen", berichtet Bönninger.

Also hat eine künstliche Intelligenz die Aufgabe übernommen, entwickelt von der Berliner Merantix AG. Zwischen 100.000 und 300.000 Euro würden derlei Systeme der künstlichen Intelligenz kosten, sagt Bönninger, ohne den genauen Preis nennen zu wollen. Die KI kämpft sich durch den Wust an Informationen, erkennt die verschiedenen Fahrmanöver automatisch und sortiert sie in einer übersichtlichen Datenbank ein. In der finden die Experten von FSD die nötigen Informationen, die sie für den Bau ihrer Simulation brauchen, um das Verhalten menschlicher Autofahrer möglichst realitätsgetreu nachzubilden und mit dem der selbstfahrenden Autos zu konfrontieren. Bei Mängeln wird es Rückrufe geben, die Software für das autonome Fahren ein Update bekommen - oder gar deaktiviert werden müssen.

"Autonome Fahrzeuge müssen sicherer als die von Menschen gefahrenen sein", sagt Bönninger. "180 Millionen gefahrene Kilometer ohne tödlichen Unfall ist die Messlatte, die gewöhnliche Pkw-Fahrer aufstellen, unabhängig davon, ob sie den Unfall selbst verschulden oder nicht."

Zum Original