Jonas Gerding

freier Journalist, Kinshasa

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Artikel

„Lass mich dir etwas sagen, ich bin noch ein Kind, ich darf nicht arbeiten, lass mich dir etwas sagen, wenn ich groß bin, da werde ich arbeiten"

Elektroautos brauchen Kobalt, einen Rohstoff, der vorwiegend im Kongo unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut wird, auch von Kindern. Der deutsche Autobauer Daimler weiß um das Problem und engagiert sich vor Ort. Ein Besuch in Stuttgart und Kolwezi.

Text und Fotos: Jonas Gerding

* Hier in Stuttgart wurden vor fast 150 Jahren die ersten Fahrzeugantriebe und Autos entwickelt. Der meterhohe Mercedes-Stern, der sich auf einem der Bürotürme der Firmenzentrale im Stadtteil Untertürkheim dreht, ist zum Symbol für die Auto-Nation Deutschland geworden. Sie verdankt ihren weltweiten Ruhm hochpreisigen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren.

Doch nun soll in der Geschichte der Automobilindustrie ein neues Kapitel beginnen. Eines, in dem bislang Firmen wie Tesla aus den USA die Hauptrolle spielen. Sie haben das Zeitalter der E-Mobilität eingeläutet. Auch der schwäbische Automobilkonzern Daimler entwickelt vorerst keine Verbrennungsmotoren mehr. Stattdessen will das Unternehmen (Umsatz: 173 Milliarden Euro) die Marke Mercedes-Benz EQ mit zehn Milliarden Euro ausbauen und bis 2022 mehr als zehn rein elektrisch angetriebene Modelle auf den Markt bringen. Hier in Untertürkheim sollen künftig in zwei von insgesamt neun Werken Batterien produziert werden.

Diese Akkus sind allerdings ein Problem für die Autohersteller: In den bis zu 750 Kilogramm schweren, wiederaufladbaren Batterien, die die Elektroautos antreiben, wird in der Regel Kobalt verbaut. Ein Rohstoff, der hauptsächlich in der Demokratischen Republik Kongo gefördert wird, auch von Kindern. Immer wieder sterben Menschen bei dieser Arbeit durch einstürzende Stollen.

Die saubere und unsaubere Seite der Technik

Vor vier Jahren forderte Amnesty International Daimler auf zu belegen, dass bei den Batterien keine Kinderarbeit im Spiel ist. Heute darauf angesprochen, reagiert Marc-André Bürgel gelassen. Der Mann in Hemd und Jeans, seine gewellten Haare zur Seite gekämmt, leitet den Bereich Social Compliance im Unternehmen. Er ist mit zwei Kollegen aus der Presseabteilung gekommen und nimmt an der Längsseite eines Tisches Platz, der mit anderen zu einem Hufeisen aufgestellt ist. Er sagt: „Ganz klar, wir wollen beides haben: saubere Elektromobilität und saubere Lieferketten."

Die Auswirkungen der Globalisierung werden heute stärker denn je hinterfragt. Wie werden Produkte mit Bestandteilen aus weit entfernten Ländern hergestellt? Unter welchen Bedingungen für Mensch und Umwelt? Wenn es um Elektroautos geht, sind diese Fragen besonders brisant - denn diese Fahrzeuge werden als besonders umweltfreundlich und politisch korrekt vermarktet. Kinderarbeit wäre sehr schlecht fürs Image. Daher spricht Bürgel auch so gern über die Schulen, die Daimler im Kongo unterstützt, damit Kinder den Minen fernbleiben.

Ungefähr zwei Drittel des weltweit gehandelten Kobalts stammen aus dem Kongo, so die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe (BGR). Wer den Rohstoff für Akkus von Laptops, Smartphones oder Autos benötigt, kommt an dem zentralafrikanischen Land kaum vorbei, weil das Vorkommen dieses Bodenschatzes dort so groß ist. Von 2001 bis 2017 hat sich die globale Fördermenge des Erzes aus industriellen Bergwerken auf 118.500 Tonnen verdreifacht, bis 2026 könnte sie sich erneut verdoppeln, schätzt Philip Schütte, Bergbau- und Nachhaltigkeitsexperte bei der BGR. Ihm zufolge werden im Kongo 75 bis 90 Prozent des Rohstoffs in großen Bergwerken gefördert. Weil diese aber nicht Arbeit für alle bieten können, betätigen sich bis zu 200.000 Menschen im informellen Kleinbergbau - darunter auch Tausende Jugendliche und Kinder.

Vom kommenden Jahr an müssen alle Firmen in der Europäischen Union bei sogenannten Konfliktmineralien nachweisen, dass diese unter Einhaltung der Menschenrechte gewonnen wurden. Zu denen zählen Gold, Tantal, Zinn und Wolfram. Kobalt gehört nicht dazu, aber Daimler nimmt für sich in Anspruch, seiner Verantwortung auch bei diesem Rohstoff gerecht zu werden. Indem man Lieferketten prüfe und in soziale Projekte vor Ort investiere.

Eine Ursache von Kinderarbeit sei, sagt Marc-André Bürgel, „dass die Menschen ihr Leben nicht bestreiten können. Sie brauchen Bildung und alternative Lebensgrundlagen." Daher hat der Konzern im Jahr 2019 60 Millionen Euro ausgegeben, um gemeinnützige Organisationen und soziale Projekte zu unterstützen. Für die Initiativen im Kongo will Daimler bis 2022 eine Million Euro zahlen. Doch was bringt diese Investition?

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Ein Besuch im Kongo. Überall ist Staub. Grobkörnig ist er. Und giftig für alle, die ihn Tag für Tag einatmen. Denn er enthält winzige Partikel jenes Erzes, das sich in dicken Adern unter der Erde windet: Kobalt. Aufgewirbelt wird er von Lastwagen, die über eine asphaltierte Straße brettern.

Nur wenige Meter abseits der Straße, hier am Rand von Kolwezi, gelangt man an einen bräunlichen Bach, an dem sich vor allem Frauen und Kinder tummeln. Sie trennen die wertvollen Kobaltsteine von Schmutz und Schlamm. Eine monotone Arbeit in der Mittagshitze.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite geht eine holprige Piste ab, die nach Kanina führt, ein Viertel der Provinzhauptstadt Kolwezi im Süden des Kongo. Deren etwa 400.000 Einwohner leben vor allem vom Bergbau. Einstöckige Ziegelhütten reihen sich dort aneinander, getrennt durch struppige Büsche und Felsbrocken. Um fast jede der Hütten sind orangefarbene Planen aufgespannt, sie sollen vor Regen und neugierigen Blicken schützen. Denn was die Menschen hier auf ihren Grundstücken tun, ist illegal.

Im Innenhof von Monga Musompo gibt es fünf dieser zeltartigen Planenkonstruktionen. Unter ihnen verbergen sich schmale Schächte. Wer hineinblickt, sieht nur Finsternis. „Das geht bis zu 30 Meter tief", sagt Musompo. Mit Schaufeln und spitzen Eisenstangen haben die Menschen im Süden des Landes enge Gänge in alle Himmelsrichtungen gegraben, um dem Weg des Kobalts zu folgen. Sie arbeiten ohne Atemmasken gegen den Staub, steigen hinab ohne Sicherung. Immer wieder stürzen Schächte ein und verschütten Menschen, die qualvoll ersticken. Darunter oft Jugendliche, manchmal auch Kinder.

Offiziell ist diese Arbeit verboten. Und doch graben viele Menschen im Kongo in ihren Wohngebieten nach dem Erz oder schleichen sich auf die Konzessionsgebiete der Bergbaukonzerne, um dort danach zu suchen. „Hinter all dem steht das Leid", sagt Musompo, 42 Jahre alt und Vater von fünf Kindern. Er trägt ein kurzärmliges Hemd und sitzt auf einer klapprigen Holzbank. Zu ihm haben sich drei junge Arbeiter gesellt, Stirnlampen auf dem Kopf, die Gesichter schmutzverschmiert. Musompo stellt sein Grundstück auch anderen für den Kobaltabbau zur Verfügung. Er teilt ein paar Maiskolben aus, die er am offenen Feuer gegrillt hat. „Es ist die Arbeitslosigkeit", sagt er und deutet auf die Gänge, die in tödliche Tiefen führen. „Wir sterben lieber, als zu leiden."

72 Prozent der kongolesischen Bevölkerung leben laut der Weltbank unter der Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar am Tag, Arbeit gibt es kaum. „Deshalb hat der Bergbau eine sehr hohe Anziehungskraft", sagt Philip Schütte von der Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe. Durchschnittlich 7,65 Dollar pro Tag verdienten die Arbeiter mit dem illegalen Kobaltabbau, der gesetzliche Mindestlohn liege nur bei vier Dollar. Dennoch schafften es nur wenige, Geld zur Seite zu legen. „Sie leben von der Hand in den Mund."

Auf dem Lehmboden im Hof von Monga Musompo liegt ein Sack mit dunklen, faustgroßen Steinen, in denen das Kobalt leicht bläulich schimmert. „35 Kilogramm", schätzt einer der jungen Männer, der ihn kurz anhebt und dann wieder fallen lässt. Musompo verkauft die Steine. Was mit ihnen geschieht, weiß er nicht.

Am Stadtrand stehen steinerne Hütten neben Bretterverschlägen, ein Rohstoffmarkt, auf dem vor allem chinesische Zwischenhändler das Erz kaufen. Über Großhändler gelangt es meist nach China, wo es aufbereitet wird, um in Batterien verbaut zu werden. „Letztlich werden die Preise von den Käufern gemacht, weil es einen Überfluss an Produzenten mit schwacher rechtlicher Stellung gibt", sagt Schütte. Einzelpersonen wie Monga Musompo fehlt nicht nur die Verhandlungsmacht - in der Regel wissen sie auch nicht, was das, was sie verkaufen, wert ist.

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Mit dem Auto sind es nur wenige Minuten zur Schule in Kanina. Backsteinerne Gebäude neben einem Fußballplatz, eine vermüllte, staubige Fläche mit wenigen Grasbüscheln. In manchen Klassenräumen sitzen bis zu 100 Kinder, meist zu viert auf die schmalen Holzbänke gequetscht. In einem singen sie ein Lied, das sie einstudiert haben: „Lass mich dir etwas sagen, ich bin noch ein Kind, ich darf nicht arbeiten, lass mich dir etwas sagen, wenn ich groß bin, da werde ich arbeiten." Im Raum ist es warm und stickig, nicht alle besitzen ein eigenes Schulheft. Dennoch ist es für jedes Kind ein Privileg, hier zu sein.

Der Schulbesuch und das Mittagessen kosten nichts. Die Schule ist eine von fünf dieser Art in der Stadt. Sie werden von der gemeinnützigen Organisation „Bon Pasteur Kolwezi" geleitet. Diese wurde 2012 von Schwestern des französischen Ordens vom Guten Hirten gegründet. Fast 2000 Schüler gehen hier hin, etwa 935 in die in Kanina. Daimler ist einer wichtigsten Sponsoren von Bon Pasteur Kolwezi. Der Autohersteller unterstützt auch die anderen Projekte der Organisation: Etwas außerhalb der Stadt lernen Frauen, Hühner zu züchten und Gemüse und Früchte anzubauen. Außerdem gibt es ein Haus, das Frauen und Mädchen vor sexueller Gewalt schützen soll. 19 000 Menschen im Land soll so geholfen werden. „Unser Ziel war es, mit gutem Beispiel voranzugehen und ein Projekt auf die Beine zu stellen, das auch skalierbar ist", sagt Marc-André Bürgel, der hofft, dass andere Firmen Daimler nacheifern.

Jean Lenge Mbuya, 37 Jahre alt, verantwortet das Projekt seit seinem Beginn vor sieben Jahren. „Das sind Kinder, die noch nie in der Schule waren. Weshalb?", fragt der gut gekleidete Mann im strahlend blauen Hemd, der es als Lehrer gewohnt ist, inbrünstig zu dozieren und die Antworten selbst zu liefern: „Weil sie bisher immer in der Mine waren." Die Ältesten, die hier zur Schule gehen, sind schon 18 Jahre alt.

„Ein Kind mit acht Jahren hat bereits das Einschulalter verpasst. Wir nehmen es auf, damit es in diesem Land nicht noch mehr Analphabeten gibt", sagt Mbuya. „Wir unterrichten es und übergeben es dann an das staatliche Schulsystem." Die Kinder, die nicht in der Primärstufe waren (im Kongo geht diese bis zur sechsten Klasse), bleiben auch nachmittags, um den Stoff nachzuholen. Die Sekundarstufe umfasst sechs weitere Schuljahre.

Zäune gibt es nicht auf dem Gelände. Ein Junge, keine zehn Jahre alt, läuft barfuß über den Hof vor den Klassenräumen. Er hat sich einen verschlissenen Sack über die Schulter geworfen, aus dem eine Plastikflasche hervorlugt, die er bei seiner Suche nach verwertbarem Müll gefunden hat.

Egal, ob Kinder Schächte hinabklettern, Steine waschen, Wasser schleppen oder Müll sammeln: „Wir möchten, dass die Fälle des Missbrauchs sinken", sagt Mbuya. „Es ist Missbrauch, weil die Kinder ökonomisch ausgebeutet werden."

Der Lehrer, selbst Vater von einer Tochter und zwei Söhnen, ärgert sich über den Staat. Der Grundschulbesuch ist erst seit einem Jahr kostenlos. Zuvor mussten Eltern zehn Euro oder mehr pro Monat für jedes Kindes zahlen. Doch seit die Schulen keine Gebühren mehr erheben dürfen, findet mancherorts kaum noch Unterricht statt, weil die Lehrer nicht mehr bezahlt werden können.

Mulongo Ndalala ist seit einem Jahr in der Schule in Kanina, er geht in die sechste Klasse. Er ist 17 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Er ist stolz, die Minen hinter sich gelassen zu haben und sogar auf die etwas weite Schuluniform, die lose auf seinen schmächtigen Schultern liegt. „Ich wusste nichts, als ich in die Minen gegangen bin. Ich konnte nicht einmal lesen und schreiben." Jean Lenge Mbuya hat ihn für das Gespräch ins Lehrerzimmer geholt. Die etwa 16 Quadratmeter sind auch Besprechungsraum, Verwaltung und Gesundheitsstation.

Die Schule vermittelt Wissen und Werte

In den Jahren zuvor, erzählt Ndalala, stand er oft morgens um fünf auf und machte sich ohne Frühstück auf den Weg zu einer Mine. „Da unten passiert viel. Es gibt Erdrutsche, Steine, die sich lösen und auf dich fallen." Freunde von ihm seien so gestorben. Oft kam er abends mit nicht mehr als umgerechnet 50 Cent nach Hause. Das Geld musste er seiner Mutter und ihrem neuen Freund geben, sein Vater lebt nicht mehr. An Schule war nicht zu denken. Bis er von den Schwestern hörte, die im Viertel die Runde machten, um Kinder für eine neue Schule zu suchen.

Plätze gibt es nur für die besonders bedürftigen Kinder. „Wir gehen raus zu den Minen, dahin, wo man sie trifft", sagt Mbuya. Er und seine Kollegen fragen die Kinder, wo sie wohnen und erzählen den Eltern dann von der Schule. Warum die Arbeit in den Minen gefährlich, nicht selten tödlich sei - und dass es sich nicht lohne, die Kinder damit Geld verdienen zu lassen. Manche Eltern unterschreiben danach eine Erklärung, dass sie ihr Kind nicht mehr arbeiten lassen und es nach der Primärstufe bei Bon Pasteur auf eine staatliche weiterführende Schule schicken wollen.

Die Schwestern und Lehrer von Bon Pasteur Kolwezi wollen auch Werte vermitteln. „Um die Moral steht es schlecht in den Minen. Es gibt Beleidigungen, Schlägereien und Prostitution", sagt Mbuya. Mulongo Ndalala sagt: „Seit man uns beigebracht hat, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, kläre ich auch andere auf. Wenn ich mit dem Lernen fertig bin, möchte ich Gouverneur werden, um anderen Leuten zu helfen."

Zunächst braucht er allerdings Geld, um die Gebühren für die Sekundarstufe zu bezahlen, zu der er bald wechseln will. Er wird vage, erzählt von Ausbildungszentren, sagt am Ende: „Ich müsste jemanden finden, der für mich zahlt."

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Siddharth Kara ist Dozent an den US-amerikanischen Universitäten Harvard und Berkely und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Zwangsarbeit und Menschenhandel. Catherine Mutindi, die Gründerin und Leiterin des Programms von Bon Pasteur im Kongo, hat er bereits besucht. „Solche lokalen Nichtregierungsorganisationen machen eine gute Arbeit", sagt er. „Aber sie brauchen Unterstützung und nehmen sie, von wem auch immer sie diese bekommen können." Es sieht die Gefahr, dass Firmen sich damit rühmen, einen Scheck für gute Zwecke ausgestellt zu haben - aber nichts an der eigenen Geschäftspraxis ändern.

2018 initiierte er ein Forschungsprojekt im Kongo: Sein Team verfolgte die Lieferketten des illegal abgebauten Kobalts. An dessen Abbau, Handel und Verarbeitung ist beispielsweise Congo Dongfang International Mining beteiligt, ein Tochterunterneh-men des chinesischen Kobaltlieferanten Huayou Cobalt. Zu dessen Kunden zählen laut Kara etwa Apple, Dell und Microsoft. Seine Recherchen nutzten US-Juristen, um eine Sammelklage für 14 Familien aus dem Kongo zu erstellen, deren Kinder in den Minen umkamen oder schwer verletzt wurden. Diese wurde bereits im Bezirksgericht Washington eingereicht.

Weil über die Klage in den USA verhandelt wird, konzen-trierte sich das Team des Forschers auf dortige Firmen. Dass auch der deutsche Autobauer Daimler bei dem chinesischen Kobaltlieferanten kaufte, legt der im Jahr 2016 von Amnesty International veröffentlichte Report nahe. Und noch steht Congo Dongfang International Mining in einer öffentlich zugänglichen Liste über die Schmelzen und Raffinerien in der Lieferkette des Autoherstellers.

Dass Daimler diese Liste, wie von Amnesty International gefordert, ermittelt und ins Netz gestellt hat, ist schon ein Fortschritt. Es sei eine mühevolle Recherche gewesen, sagt Bürgel. „Wir haben verschiedenste direkte Lieferanten, von denen wir Bauteile kaufen. Deren Lieferketten sind komplex, dynamisch und enthalten viele Stufen bis zur Mine." Auf jeder Stufe gebe es teilweise mehr als 20 Sublieferanten.

Daimler habe ein Programm namens Human Rights Respect System, sagt er, mit dem werde kontrolliert, ob es Menschenrechtsvergehen entlang der Lieferkette gibt. Dazu besuchen Mitarbeiter und externe Kontrolleure die Zulieferer und Minen vor Ort, der Konzern schreibt in seine Verträge, dass Kinderarbeit verboten ist. Aber ein Restrisiko bleibe. Und wenn sich ein Sublieferant eines Vergehens schuldig mache, könne man nicht einfach mit Sanktionen drohen: „Wir haben nur einen Vertrag mit dem direkten Lieferanten." Zu Congo Dongfang International Mining will sich Brügel nicht konkret äußern: „Wir sind aber fallbezogen auch mit verschiedenen Beteiligten in der tieferen Lieferkette in Kontakt und suchen den Austausch, um Risiken zu identifizieren und zu minimieren."

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Das Kobalt-Dilemma beschäftigt mittlerweile Autohersteller weltweit. Toyota forscht an Festkörperbatterien, BMW hat angekündigt, kein Kobalt mehr aus dem Kongo beziehen zu wollen, bei Volkswagen soll der Anteil des Stoffes in den Batterien in den kommenden fünf Jahren von bis zu 14 Prozent auf fünf Prozent sinken. Tesla plant offenbar, in einem Modell Batterien ohne Kobalt zu verwenden. Lithium-Eisenphosphat-Akkus statt der kobalthaltigen Lithium-Ionen-Akkus.

Bis leistungsstarke Akkus ohne Kobalt marktreif sind, dürfte es aber noch einige Jahre dauern. Und für Philip Schütte von der deutschen Bundesanstalt für Geowissenschaft und Rohstoffe wäre der Verzicht auf Kobalt ohnehin nicht der richtige Weg. „Unter praktischen und moralischen Gesichtspunkten wäre das nicht hilfreich, denn der Kleinbergbau ist eine wichtige Lebensgrundlage für die Bevölkerung." Entziehe man den Menschen diese - und beende möglicherweise auch die sozialen Projekte vor Ort -, verstärke sich die Armut. „Damit wäre den kongolesischen Kindern, um die sich die Verbraucher sorgen, auch nicht geholfen." Sinnvoller sei es, die Arbeitsbedingungen in den Minen zu verbessern. Einige Hundert Kilometer entfernt im Osten des Landes, sagt Schütte, sehe man, wie man dabei vorgehen könnte. Dort werden Rohstoffe wie Coltan und Zinn abgebaut, deren Abbau und Handel lange Zeit von Rebellengruppen kontrolliert wurden. Zwangsarbeit, Gewalt, das Geld floss in die Taschen bewaffneter Warlords.

Bei konfliktreichen Rohstoffen wie diesen müssen Firmen vielerorts unter anderem bereits nachweisen, dass sie ohne Arbeit von Kindern gewonnen wurden. Auf Initiative des Internationalen Zinnverbandes haben Industrieverbände ein System der Nachverfolgbarkeit entwickelt. Es orientiert sich am OECD-Leitfaden zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten für Mineralien aus Konflikt- und Hochrisikogebieten - und hat zur sogenannten ITRI Tin Supply Chain Initiative geführt.

Dieser Prozess läuft so ab: In einer als sauber eingestuften Mine packen Arbeiter die Rohstoffe in Säcke, wiegen, verschließen und kennzeichnen sie mit einem Barcode - und speichern die Informationen über die Mine und den Inhalt in einer Datenbank ab. Zwischenhändler dürfen die Säcke nur in Gegenwart eines weiteren Gutachters öffnen und müssen sie dann wieder versiegeln. So soll verhindert werden, dass auf dem Weg in die Schmelzhütte, wo die Rohstoffe unter Hitze vermengt werden, Mineralien aus nicht geprüften Quellen zugefügt werden. Auch die Weiterverarbeiter werden kontrolliert.

Dieses Vorgehen könnte man auf den Kobaltabbau übertragen, sagt Philip Schütte. Am Beispiel von Daimler sehe man zwar, dass ein Lernprozess eingesetzt habe - es werde nicht mehr behauptet, man könne nur direkte Zulieferer kontrollieren, sondern versuche bis an die Quelle der Lieferkette zu kommen. Aber um tatsächlich etwas zu verbessern, müssten sich die Firmen auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

An dieser Entschlossenheit mangelt es jedoch noch. Es gibt industrieübergreifende Initiativen wie die chinesische Responsible Cobalt Initiative, der sich Daimler, BMW, Volvo, Apple - und auch Huayou Cobalt - angeschlossen haben, um sichere Herkunftsnachweise für Kobalt zu entwickeln. Bislang haben diese in der Praxis aber noch nicht viel verändert.

Wichtig wäre auch, so Schütte, dass nicht nur die großen Minen zertifiziert, sondern auch diejenigen unterstützt werden, die derzeit in den illegalen Minen arbeiten. In den großen Anlagen, wo das Erz mit Baggern und Sprengungen gewonnen wird, geht es vor allem um Umweltverschmutzung und Konflikte mit Kleinbergleuten, die von den Sicherheitsleuten oft gewaltsam vertrieben werden. „Eine Option wäre es, Anreize und rechtliche Sicherheit für industrielle Bergbauunternehmen zu schaffen, dass auf ihren Konzessionen unter kontrollierten Bedingungen Kobalt im Kleinbergbau abgebaut werden kann", sagt Schütte.

Die Firmen könnten im Gegenzug beispielsweise sichere Gebiete ausweisen, Minderjährige nicht auf das Gelände lassen und Schutzausrüstung bereitstellen. Der niederländische Rohstoffhändler Trafigura, nach Vitol und Glencor der drittgrößte weltweit, versucht das bereits in einem Pilotprojekt mit dem kongolesischen Bergbaukonzern Chemaf. BMW, BASF, Samsung und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit haben Ende 2018 ebenfalls angekündigt, legale Zonen für den Kleinbergbau schaffen zu wollen.

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Am Anfang der Lieferkette, bei Monga Musompo im Innenhof, haben sie noch nie von Daimlers E-Mobilitäts-Offensive gehört. Auch dass der deutsche Konzern die Schule in ihrem Viertel finanziert, wussten sie nicht. Auf Bon Pasteur Kolwezi sind sie ohnehin nicht gut zu sprechen. Schuld daran sind Neid und Gerüchte. Die Schule sei für Waisenkinder, habe Musompo anfangs gehört. „Aber uns ist aufgefallen, dass es dort Kinder gab, die Eltern hatten." Seine eigenen Kinder sind zwei, drei, fünf, acht und elf Jahre alt. Die ältesten beiden sind eigentlich schulpflichtig. „Aber als wir mit unseren Kindern ankamen, sagte man uns, es gäbe keine Plätze mehr." In dieser Region des Landes gehen mehr als zwei Drittel der Kinder nicht zur Schule, schätzt Bon Pasteur. Um alle im Viertel aufzunehmen, müsste man allein in Kanina Schulen mit bis zu 16.000 Plätzen bauen. ---

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