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"Ich wott nie wieder normal si"

Auf einem grossen weissen Würfel in einer Lagerhalle sitzt Mimiks unter stechend hellem Scheinwerferlicht. Aufrecht hockt er vorne an der Ecke und rappt, sein Gesichtsausdruck ist energisch, seine Handbewegungen fliessend. Inmitten der Strophe erhebt er sich, dreht sich von der Kamera weg, steigt vom Würfel hinunter und stellt sich vor eine weisse Leinwand. Der Text ebbt ab, sein Ausdruck wird kurz leer.

Dann bricht es aus Mimiks heraus:


"Ich ha immer welle Star si Irgendwenn e Villa mit Ferrari und so Ich ha immer welle Star si Ich ha welle läbe vom Applaus vo de Crowd Ich wott nie wieder normal si"

Der Text, den der im Dezember 30 Jahre alt gewordene Rapper Mimiks im Videoclip von sich gibt, gehört zum Song «Für immer niemer» von 2020, der auf dem gleichnamigen Album erscheint. Mehrmals musste die Plattentaufe in der Schüür wegen Corona verschoben werden. Am 26. November ging sie nun über die Bühne. Die Show war ausverkauft.

Der gut achtminütige Titelsong des Albums ist ein Streifzug durch sein Schaffen, seine Geschichte, seine Themen. Stilistisch flexibel – manchmal dringlich und überzeugt, dann wieder leichtfüssig und poppig.

Mimiks spricht darin von Erfolgswünschen, rotem Teppich, Selbstzweifeln, gescheiterter Beziehung. Artikeln im Blick. Einem Leben zwischen Drinks auf der Bühne und nicht bestandener Lehrabschlussprüfung. Verlust der Privatsphäre und Applaus. 041-Crew, Champions League. Jägi im Glas, Crack für die Schweiz, Realness, Sucht nach Erfolg. Frei sein auf der Stage, zufrieden mit dem Gesicht, das man im Spiegel sieht.

Wer ist dieser Mensch, der sagt, er und seine «Bros» «präged in Luzern e ganzi Jugend»? Woher dieser als Leitspruch nach aussen getragene Wunsch, Star sein zu wollen?

In einer Bar in Luzern sitzt Angel Egli entspannt in einem Ledersessel und rührt den Löffel in seinem Espresso. «Rap pflanzt einem Wünsche und Versprechungen ein, die nicht real sind», sagt er in überlegtem Ton angesprochen auf die Frage, ob er über den Rap diesen Anspruch erreicht habe, nicht mehr «normal» sein zu müssen.

«Es ist schade, sich ständig mit anderen Menschen vergleichen zu müssen und das Gefühl zu haben, dass einem etwas fehlt.»

Dieses Thema ziehe sich als Leitfaden durch sein Leben. Früher sei das Suchen nach dem Speziellen, das ihn von der Masse abhebt, die drängende Frage in seinem Alltag gewesen. Heute könne er das alles besser handeln. «Es ist auch okay, niemand zu sein. Es geht gar nicht, dass alle nicht normal sind.»

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Realness und Authentizität
2008 beginnt der 16-jährige Angel Musik zu machen. «Mir ist es immer schwergefallen, mich irgendwo einzuordnen, grosse Entscheidungen zu fällen oder mich für etwas zu entscheiden im Leben», sagt der gelernte Koch über seine musikalischen Anfänge. Rap mit seiner Unverbindlichkeit habe ihm gutgetan. «Weil Rap nichts Endgültiges ist. Ich musste nie irgendeinen Vertrag unterschreiben, in dem ich sage: Das bin ich jetzt.»

Ganz ohne Verträge kommt der Musiker mittlerweile aber doch nicht mehr aus. Schliesslich lebt Mimiks, der beim Label «Sony Music» unter Vertrag steht, im Moment von der Musik: «Für die nächsten Jahre weiss ich, dass es reichen wird», sagt er und fügt an, dass diese Gewissheit nie abschliessend sei. Auch deshalb – und, weil er sich die Möglichkeit offenlassen will, einmal etwas anderes zu tun – absolviert er zurzeit die Passerelle und will später studieren. In welche Richtung es gehen soll, weiss er noch nicht. Doch seine Stärke sei, sich intensiv auf Dinge einlassen und sich dabei hundertprozentig fokussieren zu können. Dies werde ihm helfen.

Hört man Mimiks zu, schimmert rasch eine bescheidene Art und eine bedachte Grundhaltung durch. Während viele seiner Texte das Streben junger Menschen in der kleinen und geordneten Schweiz nach Scheinwerferlicht und Showtime widerspiegeln, weiss er abseits der Bühne zu differenzieren: «Rap ist nur ein Zerrspiegel der Realität. Es ist immer Fiktion.»
 

Dass auch er nie eine fixe Rolle als Rapstar annehmen kann, sondern immer auf der Suche ist. Dass das «Normale» – der Struggle, das Unwissen, die Einsamkeit – jede Person gleichermassen wieder einholt.

 

Trotzdem: Anders als beispielsweise Regisseur:innen im Film stehe jede:r Rapper:in mit dem eigenen Gesicht und der eigenen Geschichte im Vordergrund. Man verlange Realness, Authentizität. «Ich bin immer dann am besten, wenn das, was ich zeige, ehrlich ist. Das tönt zwar wie eine abgedroschene Floskel. Doch das ist, was mir am meisten Spass macht.»

Es scheint, als wolle Mimiks, der als einer der besten Rapper:innen der Schweiz gilt, mit seinen neueren Tracks die Illusion entkräften, dass alles gesichert und berauschend sei, wenn man in der Öffentlichkeit für das eigene Schaffen gehypt wird. Dass auch er nie eine fixe Rolle als Rapstar annehmen kann, sondern immer auf der Suche ist. Dass das «Normale» – der Struggle, das Unwissen, die Einsamkeit – jede Person gleichermassen wieder einholt. Unabhängig von der öffentlichen Position.

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Katholizismus und Perfektionismus
Wie sehr Mimiks’ Wille, sich selbst irgendwo verorten zu können, um nicht dem Funkeln des Erfolgs anheimzufallen, etwas mit Luzern und seinen katholischen Vibes zu tun hat, steht in den Sternen. Auf jeden Fall weiss er, dass er in seinen Texten nicht zu viel erklären, moralisieren und konzeptualisieren wolle: «Luzern unterscheidet sich zum Beispiel von Bern darin, dass die Stadt viel weniger politisiert ist. Das widerspiegelt sich auch in meiner Musik. Ich empfinde mich als politisch. Das verarbeite ich aber nicht in meiner Musik.»

Und wenn man wolle, könne man dies eben auch auf die tief verwurzelten religiösen Prägungen zurückführen, die bis heute noch durchschimmern, wie er erzählt: «Ich hatte mal eine Lehrerin, die zuvor auch in Zürich unterrichtete. Sie sagte, in Zürich sei es völlig normal, dass Jungen und Mädchen immer durchmischt im Klassenzimmer sitzen. Von Luzern sagte sie, dass hier Jungen und Mädchen immer getrennt seien. Das stimmt einfach so krass! Das ist sehr verankert hier. Sich dem zu entziehen ist schwierig.»

Doch um sich in Kulturkampf-Analysen zu werfen und darin nach tiefverwurzelten Gründen zu graben, fehlt Mimiks die Zeit. Diese steckt er lieber ins Feilen an seinen Texten, dem er sich in fast schon protestantischer Arbeitstugend widmet. «Das ist alles immer Knochenarbeit. Ich sitze zum Teil tagelang an einem Text», sagt er. Dabei gehe er auch selbst hart mit sich ins Gericht und könne nur dann etwas wirklich verwerten, wenn er es zu jenem Zeitpunkt zu hundert Prozent gut finde. Und gleichwohl: «Überdauern tun wenige Songs. Ich könnte maximal zehn Songs aufzählen, die ich heute immer noch gut finde.»

Dass sich Mimiks’ Perfektionismus auszahlt, zeigen die schweizweiten Erfolge seiner bisher vier herausgegebenen Alben, die in den Charts stets auf die ersten Plätze kletterten. Der Erfolg gibt ihm die Bestätigung, dass er gut kann, was er macht.

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Erfolg und Verantwortung
Dass der Erfolg Verantwortung mit sich bringt, weiss auch Mimiks. «Man hat auf der Bühne meist keine Ahnung davon, was das, was du machst, mit den Menschen macht… Du stellst dir auch gar nicht vor, wie viel Raum deine Musik im Alltag eines Menschen einnimmt. Es ist schon krass zu wissen, dass jemand jeden Tag deinen Song hört», meint er fasziniert.

Auf die Frage, wie er konkret mit dieser Verantwortung umgehe, zögert er jedoch, überlegt lange und lächelt in sich hinein. «So eine schwierige Frage.»

Er wolle sich nicht zwingend als Vorbild sehen müssen, meint er. «Dann müsste ich mich selbst so krass zurücknehmen, das ginge zu weit.» Die Musik löse auch bei ihm selbst viel aus und er wisse, dass auch andere davon beeinflusst würden und er sich selbst dadurch in gewissen Handlungen zurücknehme. «Gleichzeitig will ich kein abgeschliffenes Produkt servieren, damit niemand negativ davon beeinflusst wird.»

Stattdessen wolle er seine Verantwortung als bekannter Künstler gezielt und bei ausgewählten Gelegenheiten nutzen. So hat er sich beispielsweise für die Ehe-für-alle-Kampagne eingesetzt oder in Statements Sexismus und Homophobie in der Rapszene angeprangert. Kürzlich spielte er ein Konzert im Rahmen der nationalen Impfwoche, um die Impfkampagne des Bundes zu supporten. «Man muss halt einfach aufpassen, dass es nicht platt wird, sich für Themen einzusetzen», sagt er und macht klar, dass er sich nicht als heroische Figur inszenieren wolle, die sich für eine Sache starkmache. «Ich gehe jetzt nicht impfmissionieren in der Rapszene», und fügt an, dass darüber in der Szene kaum gesprochen werde.
 

«Überdauern tun wenige Songs. Ich könnte maximal zehn Songs aufzählen, die ich heute immer noch gut finde.»


Mimiks weiss selbst aus dem Rapgame, dass oft aus einer kleinen Sache eine grosse Geschichte gemacht und überspitzt wird, so dass vieles aus dem Rahmen fallen kann. Deshalb will er abseits der Bühne bescheiden bleiben und viel Energie in kommende Auftritte stecken:

«Ich will unbedingt krassere Liveshows machen. Ich will meine Stärken umsetzen, mich weiterentwickeln. Ich will nicht einfach irgendwelches Zeugs erzählen. Ich will investieren und mich reinwerfen», sagt er überzeugt und eifrig. Sich nicht zu fest mit anderen vergleichen zu wollen, habe bei ihm auch dazu geführt, dass er nicht so viel Schweizrap höre. «Emotional bin ich viel zu fest drin, um mich von Schweizrap inspirieren zu lassen.»

Eine Ausnahme bestehe jedoch: Sein «Homie» LCone. «Er hat einen komplett eigenen Stil hineingebracht, etwas, das so noch nicht vorhanden war zuvor. Er hatte den Mut, damit rauszugehen.»

Dass Mimiks den Mut hat, rauszugehen, ist bekannt. Dass er dabei viele Leute begeistern kann, ebenso. Doch dass dabei nicht alles Bühne sein muss, sondern manchmal auch einfach «normal» oder Lowlife, soll mehr zur Geltung kommen. Dass durch den Erfolg die Bescheidenheit wächst, dass sich in den Rausch auch Selbstzweifel mischen. Und dass nichtsdestotrotz gefeiert werden soll.

Wie zum Beispiel drei Wochen nach der Plattentaufe in der Schüür, als eine Show anlässlich seines Geburtstages stieg.

Sie trug den Namen «30i & Hässig». Auch sie war ausverkauft.


Text: Jonas Frey
Bild: Mischa Christen

041 – Das Kulturmagazin im Januar 01/2022.

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