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Das Buhlen um die Mitglieder

Bild: dpa/Sören Stache

Lars-Windhorst-Story, Teil 2  

375 Millionen pumpte Lars Windhorst in Hertha BSC. Sportlichen Erfolg gab es dafür bislang nicht. Der Investor will deshalb raus aus der Defensive. Die Mitglieder spielen bei seinem Plan eine große Rolle. Von J. Mohren, J. Rüger und S. Wenzel

Lars Windhorst entdeckt aktuell eine ihm bislang unbekannte Welt. "Es macht total Spaß, völlig unterschiedliche Menschen und Charaktere kennenzulernen, mit denen ich sonst in meinem Geschäftsleben weniger zu tun habe", sagt er. Der Investor von Hertha BSC spricht über die Fans des Klubs - genauer gesagt: Diejenigen von ihnen, mit denen er sich seit einigen Wochen bei Facebook tummelt. Windhorst hat die digitale Kurve für sich entdeckt.

Seitdem postet er immer wieder in geschlossenen Hertha-Gruppen, schaltet sich in Unterhaltungen ein - und gibt sich nahbar, ja fast privat. Windhorst grüßt aus den USA, aus Monaco und aus dem Auto mit Frau und Hund auf dem Weg zum 80. Geburtstag seiner Mutter. Meistens ist ein Laptop mit auf dem Bild. Die Botschaft: Er, Lars Windhorst, schaut Hertha BSC - egal, wo er gerade ist. "Liebe Grüße aus Monaco an alle Herthanerinnen und Herthaner! (...) Bin geschäftlich hier, aber ab 15:30 müssen die Geschäftspartner erstmal warten!", schreibt er etwa am 25. September in eine dieser Hertha-Gruppen mit fast 10.000 blau-weißen Mitgliedern.

Investor wirbt um die Fans

"Es macht mir enorm Spaß, dieses leidenschaftliche Commitment der Fans zu erleben, die trotz der schwierigen Zeit fast schon religiös an Hertha BSC glauben. Das ist eine tolle Erfahrung. Das kannte ich so selbst auch nicht bisher", sagt er. Alle zwei, drei Tage habe er zuletzt viel Zeit bei Facebook investiert - teilweise auch nachts. "Ich setze mich hin und beantworte auch Nachrichten von einzelnen Mitgliedern. Es ist meine Gabe, sehr, sehr schnell tippen zu können. Ich mache das mit Freude und werde es noch weiter ausbauen", sagt der 44-Jährige.

Windhorsts Engagement scheint dabei jedoch mehr zu sein als eine emotionale Annährung an die Fans. Er wirbt offensiv um die Anhänger von Hertha BSC und damit auch um die - zuletzt stark bröckelnde - Machtbasis von Präsident Werner Gegenbauer. Der gibt sich nach außen betont gelassen. "Als Investor und hauptsächlich auch als Mitglied von Hertha BSC hat er doch das gute Recht, sich in den sozialen Medien zu tummeln wie jedes andere Mitglied auch", sagt der 71-Jährige. Und: "Wenn es ihm hilft, den Verein zu verstehen und auch zu verstehen, wie Fans die Rolle eines Investors sehen, kann das für uns alle nur gut sein."

Mitglieder als Machtfaktor

Es scheint nur so, als würde der Präsident Gegenbauer eine deutlich andere Botschaft der Fans vernehmen als der Investor Windhorst. Der eine hält den Geldgeber möglichst weit aus dem Klub heraus - der andere drängt in den Verein hinein. Und beide folgen mit ihrem Vorgehen in ihrer eigenen Wahrnehmung dem Willen der Mitglieder von Hertha BSC.

Für Windhorst sind die blau-weißen Anhänger besonders wichtig. Denn strukturell hat er trotz seines dreistelligen Millionen-Investments kaum Einfluss im Klub. Und doch scheint es so, als wolle er nicht mehr länger zuschauen. Windhorst drängt raus aus der Außenseiterrolle. Die klare Trennung zwischen dem Klub und ihm als Investor verbunden mit dem Anspruch, nur der Verein dürfe für Hertha BSC sprechen - konsequent vertreten gerade von Gegenbauer - war für den Investor schon immer ein Ärgernis. Er hatte sich die Zusammenarbeit ganz anders vorgestellt. Nun sagt er: "Ich habe mich bisher daran gehalten, weil ich dachte: Vielleicht haben die Recht, vielleicht sind die Fans da wirklich so sensibel und wollen mich lieber ganz im Hintergrund sehen. In den letzten Monaten habe ich aber jetzt gelernt, dass dem gar nicht so ist."

Windhorst: "Es sind Fehler gemacht worden"

Es sei nicht mehr als eine Illusion. "Die Fans und die Mitglieder wollen den Erfolg. Sie sind absolut nicht gegen den Investor", verkündet Windhorst als Erkenntnis aus seinen teils nächtlichen Social-Media-Schichten. Das Gegenteil sei der Fall: "Die wollen auch, dass es weitergeht, dass es nach vorne geht, dass sich was verändert und begrüßen das unheimlich. Ich rede nicht von zehn, zwanzig oder hundert, sondern von vielen tausenden Feedbacks, die ich bekommen habe." Überprüfen lässt sich dieses subjektive Stimmungsbild schwer.

Die Rückmeldungen hätten ihm "einen richtigen Motivationsschub gegeben", sagt Windhorst. Es soll ein Schub in die Offensive werden. Denn ihm kann nicht gefallen, was die Verantwortlichen bei Hertha BSC bislang aus seinen 375 Millionen gemacht haben. "Natürlich muss man feststellen, dass in den letzten zwei Jahren auch Fehler gemacht worden sind. Das Geld ist sicherlich nicht zu hundert Prozent richtig und sinnvoll investiert", sagt der 44-Jährige.

2019/20 das höchste Minus aller Bundesliga-Klubs

Es ist noch eine vorsichtige Formulierung. Denn zwei Jahre nach dem Einstieg des Investors sieht finanziell düster aus. Die teuren Neuzugänge - gerade aus Zeiten des klinsmannschen Kaufrauschs - haben viel Geld gekostet und tun es teilweise immer noch. Um 15 Millionen Euro sind die Gehälter der Mannschaft in der Saison 2019/20 insgesamt gestiegen. Auf der Einnahmen-Seite sieht es hingegen mauer aus als kalkuliert. Auch bei Hertha BSC reißt die Corona-Pandemie Löcher in die Kassen. Die Folge sind ungewollte Spitzenwerte: Mit knapp 53,5 Millionen Euro machte der Klub 2019/20 das höchste Minus aller Bundesliga-Klubs. Die Zahlen der folgenden Hinrunde bestätigten diesen Trend: In den Büchern ist ein Minus von 34,4 Millionen Euro notiert, Stand Dezember 2020. Soweit die derzeit aktuellsten öffentlichen Zahlen.

Für Christoph Breuer ist das ein Alarmsignal. "Hertha hat in finanzieller Hinsicht vor allem Zeit gewonnen. Aber die Entwicklungsrichtung ist wieder nach unten gehend", sagt der Sportökonom von der Deutschen Sporthochschule in Köln. In drei bis fünf Jahren sei "die zusätzliche Liquidität durch das Investment aufgebraucht - und die Anteile sind trotzdem weg." Es ist ein ernüchternder Ausblick. Und das Unheil von völlig verbrannten Millionen noch abzuwenden, wird immer schwerer. Alleine ein Drittel des Geldes von Windhorst ist bereits in den Verbindlichkeiten verplant. Der Spielraum für Investitionen in Neuzugänge wird somit kleiner. Auch das ist eine Erklärung für den - viel kritisierten - Transfersommer unter der Regie des neuen Managers Fredi Bobic.

Breuer: "Braucht adäquate Strukturen"

Der Druck ist also groß. Bobic soll - ebenso wie Carsten Schmidt - verhindern, dass das Windhorst-Investment in einem teuren Missverständnis endet. Mit ihnen baute Hertha BSC seine dreiköpfige Geschäftsführung fundamental um. "Damit Investitionen in einen Fußball-Klub sinnvoll sind, braucht es adäquate Strukturen. Man kann sich das wie Zahnräder vorstellen, die im sportlichen Bereich von den Profis bis zu den Jugendmannschaften ineinander greifen müssen", sagt Sportökonom Breuer. Würden sie das nicht tun, "knirschen die Zahnräder. Dann bringt auch Geld nichts."

Dieses Knirschen war bei Hertha BSC lange ein ohrenbetäubender Dauerzustand. Die Neuen in der Führung sollen es abstellen. Und sind damit auch Hoffnungsträger des Investors. "Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sie an Bord gekommen sind und habe große Erwartungen. Ich vertraue denen und stehe hinter ihnen", sagt Windhorst. Der Unternehmer gesteht den beiden dabei die Zeit zu, die in der aktuellen sportlichen Situation der Berliner aktuell ein rares Luxusgut ist. "Es sind im Verein viele Personen seit zehn, zwanzig Jahren dabei. Man kann nicht erwarten, dass neue Geschäftsführer innerhalb von wenigen Wochen und Monaten dramatische Veränderungen umsetzen können, die den großen positiven Schub bringen", sagt er.

Gegenbauer: "Für Hertha BSC null Risiko"

Perspektivisch setzt Windhorst aber weiterhin auf diesen großen Schub. Trotz Tabellenplatz 14 in der Bundesliga - und obwohl die sportliche Entwicklung gerade erneut auszubleiben scheint. "Wenn ich etwas anfange, habe ich eine enorme Entschlossenheit, nicht aufzugeben", sagt der 44-Jährige über sich selbst. Das soll auch für sein Hertha-Investment gelten. Er habe keine Strategie für einen Ausstieg in der Schublade. "Der Point of no Return (Punkt ohne Wiederkehr, Anm. d. Red.) ist erreicht. Wir werden die nächsten Jahre alles dafür tun, dass wir mit Hertha BSC erfolgreich werden", sagt der Investor. Für ihn stelle sich nicht die Frage, "ob wir den Erfolg haben werden. Davon bin ich fest überzeugt. Die Frage ist nur: Wie erreichen wir es? In welcher Konstellation? Was wird es noch kosten und wie lange wird es dauern?"

Windhorst bleibt also bei seinen langfristigen Zusagen - wenn auch mit Forderungen, die ganz deutlich mitschwingen. Aber was ist, wenn der Investor doch einmal verkaufen will oder muss? Sorgen um Hertha BSC müsse sich niemand machen, vermittelt Werner Gegenbauer. "Wir haben ja unser Geld. Und selbstverständlich - davon können Sie ausgehen - sind die Verträge so gemacht, dass für Hertha BSC null Risiko da ist", sagt der Mann, der seit 2008 an der Spitze des Vereins steht. Der Klub sei in "einer wirklich zu beherrschenden und zu bewältigenden Situation, falls es jemals zu einer Lage kommt, die Handlungen erfordert." Hertha BSC könne nicht überrascht werden - auch nicht davon, was in einem solchen Fall mit den Anteilen von Lars Windhorst passiere. Da müssen die Mitglieder ihrem Präsidenten wohl vertrauen.

Wahrscheinlich ist ein Verkaufs-Szenario momentan tatsächlich nicht: Corona und die Talfahrt des Klubs haben auch den Wert des Investments in den vergangenen zwei Jahren gesenkt. Für Windhorst wird es dabei nicht nur darum gehen, die sportlichen Träume von Hertha BSC zu retten - sondern auch um sein Geld. Ein Ausstieg ist da aktuell kein gutes Geschäft. Insofern wird der Unternehmer gleich in doppeltem Interesse um den Erfolg kämpfen - und dafür auch neue Wege gehen.

Investor will bei Mitgliederversammlung sprechen


Wenn im November die Mitgliederversammlung bei Hertha BSC ansteht, will Windhorst zu den Anhängern sprechen. "Da freue ich mich schon drauf. Das wird eine tolle Plattform sein, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mich auch mal zu erleben", sagt er. Ganz persönlich - auch außerhalb der sozialen Netzwerke. Es ist ein weiterer Schritt in die Offensive in seinem Buhlen um die Mitglieder. Und es könnte ein spannendes Aufeinandertreffen mit Präsident Gegenbauer werden. Zuschauer Windhorst will endgültig aufs Spielfeld.

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