Einer der bekanntesten Definitionen von „Ideologie" stammt von Karl Marx und Friedrich Engels. Demnach liege die arbeitende Klasse aufgrund ihres „verkehrten Bewusstseins" nach wie vor in Ketten, unfähig die „wahren" Verhältnisse zu durchschauen und für ihre „echten" Interessen einzutreten. Eine Art kollektive Vernebelungsaktion der Herrschenden zur Unterdrückung des sozialen Wandels. Die Behauptung der Marketingstrateg_innen des Kaffeeproduzenten , man könne mit jeder Tasse ihres Heißgetränks „eine positive Veränderung" bewirken, macht deutlich: Die Ideologie-Theorie von Marx und Engels bedarf einer grundlegenden Überarbeitung.
Die Kaffeebranche und das Gute in der WeltAlso: warum nicht beides haben? Den leckeren -Kaffee fein portioniert genießen und dabei auch noch Gutes tun . Mit ihrem Engagement zum Erhalt des Planeten hat laut eigenen Angaben bereits knapp 200 Tonnen CO2 eingespart, 91 Prozent der Kapseln werden wieder in den Produktionszyklus zurückgeführt. Insgesamt wurde der CO2-Fußabdruck einer jeden Tasse Kaffee laut Hersteller seit 2009 um 20 Prozent reduziert. „Ich glaube fest daran, dass sowohl unser Unternehmen als auch die Kaffeebranche zum Guten in der Welt beitragen können, indem wir uns dieser wichtigen Sache annehmen", schrieb Guillaume Le Cunff, CEO von , in einer Presseaussendung.
Es ist eine innovative Auffassung von ökologischer Nachhaltigkeit, Konsument_innen zu suggerieren, etwas zum Umweltschutz zu können, indem sie eine ursprünglich umweltschädliche Handlung im Nachhinein wieder wettmachen. Durch Recycling, einer CO2-Kompensationszahlung, im größeren Stil in Form von Zertifikathandel. werden in solchen Fällen Ursache und Wirkung verkehrt: Niemand leistet einen „positiven Beitrag", indem er den Schaden, den er zuvor verursacht hatte, wieder repariert. So wie es kein „positiver Beitrag" ist, wenn ich das Auto meines Nachbarn kaputtfahre und ihm anschließend die Reparatur bezahle, wird mit dem Recycling von -Kapseln auch kein CO2 eingespart . Ein positiver Beitrag wäre es, weniger oder keinen Kaffee aus Kapseln zu trinken, vulgo (ein an Blasphemie grenzender Ausdruck in einer Gesellschaft, die sich als Summe individueller Konsumsubjekte begreift).
What else?Dieser Beitrag ist nicht Resultat einer persönlichen Aversion gegenüber der Firma . Derselbe Beitrag ließe sich über Tausende andere Marketingkampagnen schreiben, aber zelebriert ihren einfach besonders anschaulich (und hatte das Pech, dass ich beim Warten auf die Bim das Kleingedruckte ihres Plakats gelesen hatte). Das Unternehmen ist insofern zu verteidigen, als aus ihrer Sicht ein berechtigter Einwand lauten würde: „Um die Umwelt zu schützen, kaufen Sie bitte möglichst wenige unserer Produkte" wäre zwar ein gewissermaßen innovativer, aber wohl wenig erfolgversprechender Slogan. Zumindest innerhalb einer auf Wachstum basierenden Wirtschaftsordnung, einer Ordnung, in welcher der Tauschwert den Gebrauchswert dominiert.
Denn sie wissen nicht, was sie tun? Doch.Was haben Marx und Engels nun damit zu tun? Es gilt deren Vorstellung von Ideologie als „verkehrtes Bewusstsein" auf den Kopf zu stellen. Die Ideologie einer CO2-neutralen Kaffeekapsel besteht nicht darin, dass die vernebelten, unterdrückten Massen nicht durchschauen, dass der Beitrag so positiv auch wieder nicht ist. Es ist im Grunde egal, ob Konsument_innen , ob so eine recycelte Kapsel ein „positiver Beitrag" zum Umweltschutz ist. Entscheidend ist, wie sie . Das heißt, die Ideologie ist keine Frage des „verkehrten Bewusstseins", sondern des „verkehrten Handelns"; die Motivation hinter einem Kauf - ob aus bloßer ökologischer Wurschtigkeit oder Sorge um die Umwelt - ist belanglos, solange das Resultat dasselbe ist. Ideologie, schreibt der slowenische Philosoph Slavoj Žižek in The Sublime Object of Ideology (1989), besteht heutzutage weniger darin, dass wir nicht wissen was wir tun, sondern sehr wohl wissen, was wir tun - und es trotzdem tun .
Die Angebote, es trotzdem zu tun , sind zahlreich: ein ganzes Regime an Zertifikaten, Labels und unternehmenseigenen Kodizes sollen die ökologische, moralische, ethische, etc. eines Produkts belegen.
Das BIP und die ExistenzDasselbe funktioniert eine Ebene darüber: mittlerweile ist ziemlich detailliert und facettenreich erfasst - zuvorderst in den Berichten des International Panel on Climate Change (IPCC) - welche Ausmaße die ökologische Krise bereits hat und zukünftig haben wird. Unser Handeln bewegt sich dennoch konträr zum Wissen: ein mit Müh und Not verabschiedeter konsens der Staatengemeinschaft von einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs um mindestens zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter; ein Konsens, den der US-amerikanische zügig wieder aufkündigte und der Rest der Welt eher als lästige Wachstumsbremse behandelt.
Titelbild: Phillip Thiedmann
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