
US-Senator Bernie Sanders: „Ist es ein Wunder, dass Amerikaner:innen im ganzen Land das Vertrauen in ihre Demokratie verlieren?“
Der US-Senat hat gegen ein Gesetz gestimmt, das Abtreibungen erlaubt. Dieses Ergebnis ist nicht überraschend - und außer Wahlkampf könnten die Demokraten noch mehr machen.
Washington, D.C. - Die Abstimmung im US-Senat am Mittwoch (11. Mai) über das Bundesgesetz, das Abtreibungen im ganzen Land legalisieren soll, war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Das war auch den regierenden Demokraten klar. Doch vor dem für Ende Juni angekündigten Urteil des Supreme Courts, des Obersten Gerichtshofs der USA, zum Abtreibungsrecht erhoffen sich die Demokraten, ihre Wählerschaft mit der Angst mobilisieren zu können, die Republikaner könnten bei den Zwischenwahlen (midterm elections) im November die Mehrheit im Kongress zurückerobern.
Kürzlich war der Urteilsentwurf des Supreme Courts von dem US-Nachrichtenportal Politico geleakt worden, wonach mindestens fünf der sechs rechten Verfassungsrichter:innen dafür stimmen werden, das Grundsatzurteil zum liberalen US-Abtreibungsrecht, Roe v. Wade, aufzuheben. Daraufhin äußerten US-Präsident Joe Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris und andere hochrangige Demokraten ihre Bestürzung über die bevorstehende Beschneidung des fundamentalen Rechts von Frauen auf Selbstbestimmung.
Doch es bleibt abzuwarten, ob die Demokraten mehr als nur Wahlkampf mit dem Thema machen. Laut der Demokratischen Führung sei die Abstimmung notwendig gewesen, um zu zeigen, welche der Mitglieder des Senats für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch befürworten und welche nicht. Allerdings war dies bereits zuvor hinlänglich bekannt. Ein konservativer Demokrat, Senator Joe Manchin, behauptet zwar, grundsätzlich für das Abtreibungsrecht zu sein, allerdings würde ihm das entsprechende Gesetz zu weit gehen. Ebendies behaupten auch die beiden als moderat geltenden republikanischen Senatorinnen Susan Collins und Lisa Murkowski.
Roe v. Wade: Zwei Drittel der Menschen in den USA befürwortet das Urteil zum AbtreibungsrechtDie Menschen in den USA haben eine eindeutige Meinung zu dem Grundsatzurteil Roe v. Wade von 1973: Mehreren Umfragen zufolge wollen rund zwei Drittel es beibehalten und nur etwa ein Drittel wünscht sich, dass es aufgehoben wird. Daher hoffen die Demokraten darauf, dass sowohl ihre Anhängerschaft als auch moderate Wechselwähler:innen bei den Kongresswahlen am 8. November gegen die radikal rechten Republikaner stimmen.
Joe Biden bezeichnete die Republikaner kürzlich als „engstirnig", „bösartig", „extrem" und „vor Trump kuschend". Damit hat er recht und die Republikaner wissen auch durchaus um die mangelnde Popularität ihrer ablehnenden Haltung zum Abtreibungsrecht. Doch sie setzen darauf, dass wirtschaftliche Themen den Wahlkampf stärker bestimmen, etwa die Inflation und die damit steigenden Preise, die den Amerikaner:innen derzeit zu schaffen machen.
Was also könnten die Demokraten hinsichtlich der drohenden Aufhebung des Abtreibungsrechts durch den Supreme Court tun? Wie andere progressive Demokraten, fordert der linke Senator Bernie Sanders endlich ein Durchgreifen vonseiten der Regierungspartei: „Wir müssen den Filibuster beenden und das Abtreibungsgesetz mit 50 Stimmen verabschieden", sagte der Senator aus Vermont. „Ich höre viel von meinen demokratischen Kollegen über die Notwendigkeit von Geschlossenheit. Nun, wenn es jemals eine Zeit für Geschlossenheit gab, dann ist jetzt diese Zeit."
Abstimmung im Senat: Die Filibuster-Regel verhindert in den USA politischen FortschrittBernie Sanders bezieht sich auf die Möglichkeit der Demokraten, den Filibuster zu modifizieren oder ganz abzuschaffen. Die über 100 Jahre alte, als antiquiert geltende Sperrminoritätsklausel im US-Senat besagt, dass es 60 der 100 Stimmen bedarf, um darüber zu befinden, ob ein Gesetz überhaupt zur Abstimmung gelangt. Damit kann die Opposition, wenn sie über mindestens 41 Stimmen verfügt, die meisten Gesetzentwürfe blockieren, was die Republikaner auch zumeist tun. Derzeit halten beide Parteien im Senat 50 Sitze. Bei einem Patt entscheidet die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris.
Um den Filibuster für bestimmte Gesetzesvorhaben oder aber auch komplett abzuschaffen, bedarf es lediglich einer einfachen Mehrheit, über die die Demokraten verfügen. Allerdings sind zwei konservative Demokraten strikt dagegen, Senator Joe Manchin und Senatorin Kyrsten Sinema. Bisher hat es Joe Biden nicht geschafft, die beiden Verweigerer, die auch schon sein Sozial- und Klimapaket und die Wahlrechtsreform blockiert haben, auf Linie zu bringen.
Ohne die undemokratische Filibuster-Regel wäre es möglich, mit den beiden republikanischen Senatorinnen Susan Collins und Lisa Murkowski über deren Entwurf eines Abtreibungsgesetzes zu verhandeln und gegebenenfalls darüber abzustimmen. Oder aber, man könnte den Supreme Court mit weiteren links-liberalen Richter:innen besetzen, wie von progressiven Demokraten vorgeschlagen. Denn die Zahl von neun Richter:innen ist nicht in der US-Verfassung festgeschrieben. Die Demokraten haben Handlungsalternativen - allein der politische Wille, diese umzusetzen, scheint zu fehlen.
Bernie Sanders: „Menschen in den USA verlieren das Vertrauen in ihre Demokratie"Das kritisiert auch Bernie Sanders: „Ist es ein Wunder, dass Amerikaner:innen im ganzen Land das Vertrauen in ihre Demokratie verlieren? Wenn die Republikaner den Filibuster modifizieren können, um rechte Richter zu installieren, die von Präsidenten nominiert wurden, die weniger Stimmen bei der Präsidentschaftswahl erhalten haben, um Roe v. Wade zu stürzen, können und müssen die Demokraten den Filibuster modifizieren, um Abtreibungen legal und sicher zu machen."
Der beliebte linke Politiker, der 2016 und 2020 erfolglos aufseiten der Demokraten für die Präsidentschaft kandidierte, spielt auf das US-Wahlrecht an, das zu undemokratischen Wahlergebnissen führen kann. Bei der Präsidentschaftswahl 2016 gewann Ex-US-Präsident Donald Trump zwar das Wahlleutegremium (electoral college), nicht aber den popular vote, die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen. Hierbei lag die Demokratin Hillary Clinton mit annähernd 2,9 Millionen Stimmen vor Trump. Während seiner Amtszeit als Präsident konnte Donald Trump drei rechte Richter:innen an den Supreme Court bringen, die jetzt für die konservative Mehrheit des Verfassungsgerichts sorgen.
Mit ihrer innerparteilichen Uneinigkeit bleibt abzuwarten, ob die Rechnung der Demokraten im Midterm-Wahlkampf aufgeht. Es wird sich zeigen, ob das anstehende Urteil des Supreme Courts zum Ende des Abtreibungsrechts in den USA dazu führt, dass die Demokratische Wählerschaft mobilisiert wird und bereit ist, darüber hinwegzusehen, dass die Demokraten trotz ihrer Mehrheiten im Kongress fast nichts von Joe Bidens sozialpolitischen Agenda haben umsetzen können. (Johanna Soll)