Joe Biden erreicht sein Ziel: Der US-Kongress billigt das milliardenschwere Infrastrukturpaket. Doch der Präsident und die Demokraten bleiben hinter den Erwartungen zurück.
Washington D.C. - Am Freitagabend (05.11.2021, Ortszeit) hat das Repräsentantenhaus des US-Kongresses ein Infrastrukturpaket beschlossen. Doch was weithin als Sieg für Präsident Joe Biden und die Demokraten gefeiert wird, ist in Wahrheit ein trojanisches Pferd. Zwar sieht das Gesetz rund 550 Milliarden Dollar (476 Milliarden Euro) über einen Zeitraum von fünf Jahren für Investitionen in die Infrastruktur der USA vor, doch das Ganze hat einen Haken.
Das Infrastrukturgesetz hatte bereits im August den Senat passiert - wohlgemerkt mit republikanischer Unterstützung. Auch bei der gestrigen Abstimmung im Repräsentantenhaus votierten 13 Republikaner für das Gesetz. Doch Republikaner, die stets nach einem schlanken Staat schreien, sind nicht als Befürworter staatlicher Ausgaben bekannt. Was also führte zu ihrer Zustimmung zu diesem Gesetz? Die darin vorgesehene Privatisierung von Teilen der US-Infrastruktur.
Dies war die bittere Pille, die die progressiven Demokraten zu schlucken bereit waren, wenn im Gegenzug ein Sozial- und Klimapaket, der Build Back Better Act, verabschiedet wird. „Build Back Better" (besser wiederaufbauen) war der Wahlslogan von Bidens Präsidentschaftskampagne, doch nun ist äußerst fraglich, ob das Gesetz mit diesem Namen überhaupt noch verabschiedet wird. Für den strauchelnden US-Präsidenten Joe Biden mit einem Zustimmungswert von derzeit lediglich 43 Prozent musste unbedingt ein gesetzgeberischer Erfolg her, daher wurde die Parteilinke unter Druck gesetzt und hat gestern ihr Druckmittel aus der Hand gegeben.
In den führenden US-Medien wurden die Progressiven zuvor dafür verantwortlich gemacht, dass das Gesetzgebungsverfahren in diesem Fall lange dauerte und auch die Niederlage von Terry McAuliffe bei der Gouverneurswahl in Virginia schiebt man ihnen in die Schuhe. Angeblich seien die Demokraten zu weit nach links gerückt - doch das Gegenteil ist der Fall. Was man den Demokraten und allen voran Biden vorwerfen kann, ist Untätigkeit. Joe Biden ist mit einer für US-Verhältnisse vergleichsweise linken Agenda bei der Präsidentschaftswahl angetreten, doch deren Umsetzung bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.
Schon sein erstes großes Gesetzesvorhaben, der im März verabschiedete American Rescue Plan, enthielt nicht den notwendigen 15-Dollar-Mindestlohn, den er noch im Wahlkampf versprochen hatte. Die dringend benötigte Wahlrechtsreform ist kürzlich am Widerstand der Republikaner gescheitert und jetzt gilt es als eher unwahrscheinlich, dass ein Sozial- und Klimapaket verabschiedet wird, das mehr als marginale, kaum spürbare Verbesserungen für die Menschen in den USA bewirkt.
Ursprünglich hatte Joe Biden selbst vorgesehen, dass beide Gesetzesvorhaben, das Infrastrukturpaket und das Sozial- und Klimapaket, gemeinsam den Kongress passieren und ihm zur Unterschrift vorgelegt werden. Doch dann kam es zu dem monatelangen innerparteilichen Hickhack, bei dem sich abwechselnd die konservativen demokratischen Senator:innen Joe Manchin und Kyrsten Sinema querstellten. Infolgedessen wurde das Gesetz, das Investitionen in Sozialsysteme und Klimaschutz vorsieht, immer weiter zusammengestutzt - sehr zum Leidwesen der linken Demokraten und der Amerikaner:innen, die das Vorhaben mit deutlicher Mehrheit unterstützen.
Jetzt hat sich der neoliberale Flügel der Demokraten, dessen wirtschaftspolitische Ausrichtung sich kaum von der der Republikaner unterscheidet, wieder einmal durchgesetzt. Mit Sorge sieht man bei den Demokraten den Zwischenwahlen, den midterm elections, in einem Jahr entgegen und ringt um die richtige Strategie, um die drohenden Wahlerfolge der Republikaner noch abzuwenden. Erneut kündigt sich eine fatale Fehlentscheidung bei den Demokraten an: ein Rechtsruck. Doch als Lite-Variante der Republikaner anzutreten, führt nicht zum Erfolg - im Gegenteil. Während Ex-Präsident Barack Obamas Amtszeit von 2009 bis 2017 verloren die Demokraten landesweit: Drei Sitze im Senat, 62 Sitze im Repräsentantenhaus, 12 Gouverneursposten und 958 Sitze in den Landesparlamenten.
Das lag vor allem daran, dass Geringverdiener:innen und Menschen mit mittleren Einkommen durch die wirtschaftsliberale Politik - egal ob von Demokraten oder Republikanern - abgehängt wurden. Reiche wurde reicher, Arme ärmer. Da konnte Hillary Clinton 2016 noch so oft beteuern, Amerika gehe es gut - am Ende gewann Donald Trump unter anderem mit dem leeren Versprechen, in Washington, D.C. den „Sumpf trockenzulegen" („drain the swamp").
In der Tat verzeichnet der US-Kongress als politische Institution regelmäßig sehr niedrige Zustimmungswerte, zuletzt lediglich 21 Prozent. Grund dafür sind auch Politiker:innen wie Joe Manchin und Kyrsten Sinema, die vorgeben, die Interessen ihrer Wähler:innen zu vertreten, doch in Wahrheit allein ihren Spender:innen dienen. Joe Manchin bezog in den letzten Monaten Wahlkampfspenden von mehr als 400.000 US-Dollar aus der Öl- und Gasindustrie und sperrt sich demzufolge gegenüber dem Vorhaben, Treibhausgase zu reduzieren.
Sinema erhält großzügige Spenden von mehr als 500.000 Dollar aus der Pharmaindustrie. Klar, dass sie sich niedrigeren Medikamentenpreisen vehement widersetzt. Es dürfte also schwer werden, diese beiden Senatsmitglieder dazu zu bewegen, für das Sozial- und Klimapaket zu stimmen, da es nicht den Interessen von Großspendern entspricht - im Gegensatz zu dem gerade beschlossenen Infrastrukturgesetz. Bis zum US-Feiertag Thanksgiving am 25. November, dem amerikanischen Erntedankfest, soll im Repräsentantenhaus über den Build Back Better Act abgestimmt werden. Sollte der Gesetzentwurf am Ende scheitern oder noch weiter verwässert werden, bleibt Biden allein das Infrastrukturpaket - und das ist kein gesetzgeberischer Erfolg, sondern allenfalls ein Trostpreis mit Pferdefuß. (Johanna Soll)
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