Der US-Staat Virginia wählt einen neuen Gouverneur. Es zeichnet sich eine knappe Wahl ab. Sogar Präsident Joe Biden sowie zwei Ex-Präsidenten schalten sich ein.
Virginia - Macht der ehemalige US-Präsident Barack Obama für eine:n Kandidat:in der Demokraten Wahlkampf, ist es stets ernst: Dann handelt es sich um eine strategisch wichtige Wahl und ihr Ausgang ist den Umfragen zufolge ungewiss. Dies trifft derzeit auf die Gouverneurs-Wahl im US-Bundesstaat Virginia zu, die am 2. November abgehalten wird.
Das Amt des Gouverneurs in den USA ist mit dem eines deutschen Ministerpräsidenten vergleichbar. Der Demokrat, den Obama unterstützt, Terence „Terry" McAuliffe (64), war bereits von 2014 bis 2018 Gouverneur von Virginia. Sein republikanischer Herausforderer ist Glenn Youngkin (54), Investmentbanker und politischer Newcomer.
Aktuell zeichnet sich eine äußerst knappe Entscheidung ab, denn beide liegen bei rund 45 Prozent. Zuletzt hatte Virginia 2009 einen republikanischen Gouverneur - und könnte nun bald wieder republikanisch regiert werden. Das Kopf-an-Kopf-Rennen hat auch mit den schlechten Zustimmungswerten von US-Präsident Joe Biden zu tun, mit dessen Arbeit derzeit 41 Prozent der Amerikaner:innen zufrieden und 52 Prozent unzufrieden sind. Als Joe Biden und Vize-Präsidentin Kamala Harris im April 100 Tage im Amt waren, verzeichneten sie noch Zufriedenheitswerte von 52 Prozent.
Eine Umfrage unter Wähler:innen in Virginia ergab, dass das wichtigste Kriterium bei ihrer Wahlentscheidung mit 45 Prozent Arbeitsplätze und die Wirtschaft sind, gefolgt von Bildung und Schulwesen (41 Prozent) und der Corona- Pandemie (23 Prozent). Aktuell dreht sich der Wahlkampf aber vor allem um ein schulpolitisches Thema, das insbesondere republikanische Wähler:innen umtreibt: Wieviel Einfluss dürfen Eltern auf den Unterrichtsstoff nehmen?
In einem TV-Duell der beiden Gouverneurskandidaten hielt Glenn Youngkin Terry McAuliffe vor, er habe gegen einen Gesetzentwurf gestimmt, der eine vermehrte Einflussnahme durch Eltern auf den Lehrplan vorsieht. Konkret ging es um Bücher mit angeblich sexuell explizitem Inhalt. McAuliffe wies die Attacke mit der Aussage zurück, er werde es nicht zulassen, dass Eltern Bücher als Unterrichtslektüre verbieten und sagte überdies: „Ich denke nicht, dass Eltern den Schulen vorgeben sollten, was unterrichtet wird."
Damit lieferte McAuliffe die perfekte Aussage für gleich mehrere Wahlwerbespots seines Kontrahenten, um ihn zu kritisieren und die Stimmung unter republikanischen Wähler:innen hinsichtlich angeblich unangemessenen Unterrichtsmaterials weiter anzuheizen. Dabei geht es unter anderem auch um die Frage, ob und inwieweit Schüler:innen über die Entstehungsgeschichte der USA unterrichtet werden, die auf der Vertreibung und Verfolgung der indigenen Bevölkerung und der Sklaverei fußt.
Bei den Themen Wirtschaft und Arbeitsplätze verspricht Demokrat Terry McAuliffe in seinem Wahlprogramm Lohnfortzahlung für eine gewisse Anzahl von Krankheitstagen, bezahlbare Kinderbetreuung, Gefahrenzulagen und Ausbildungsprogramme. Republikaner Glenn Youngkin stellt besser bezahlte Jobs, 400.000 neue Stellen sowie Steuersenkungen und Deregulierung in Aussicht.
Dazu, wie die konkrete Umsetzung und Finanzierung ihrer Pläne aussehen soll, machen beide Kandidaten keine Angaben. Stattdessen wird im Wahlkampf emotionalisiert: Beide setzen auf Mobilisierung ihrer Wählerschaft durch Angst vor dem jeweils anderen.
Während Youngkin dabei die Schreckgespenster des übermächtigen Staates, der Identitätspolitik insbesondere im Schulunterricht und der Kriminalität heraufbeschwört, reicht bei McAuliffe nur ein Wort aus: Trump. Ex-Präsident Donald Trump spielt in diesem Wahlkampf eine wichtige Rolle - aufseiten der Demokraten soll er den entscheidenden Wahlimpuls auslösen. Seine Fehde mit Joe Biden ging erst kürzlich in eine neue Runde, als Biden Trump beschuldigte, Menschen im ganzen Land aufzuhetzen.
Doch das Verhältnis von Youngkin zu Trump ist kompliziert. Trump ist in Virginia eher unbeliebt und unterlag letztes Jahr in dem Bundesstaat gegen Joe Biden mit zehn Prozentpunkten. Daher vermied Youngkin es bisher, zu sehr mit Trump assoziiert zu werden. Zwar braucht er die Trump-Loyalist:innen, doch er wirbt auch um die Stimmen vermeintlich moderater republikanischer und unabhängiger Wähler:innen.
Bei einer Wahlveranstaltung für Trump-Anhänger:innen in Virginia, bei der dieser auch kurz per Anruf zugeschaltet wurde, ließ sich Youngkin nicht blicken. Stattdessen lässt er über Sprecher mitteilen, er unterstütze Trumps Agenda, ohne es selbst aussprechen zu müssen. Donald Trump hat Youngkin bereits mehrmals seine Unterstützung zugesagt.
Zuletzt hieß es von Trump und einem Sprecher, er wolle in Virginia auftreten - Details würden noch bekannt gegeben. Möglicherweise hat der Besuch Trumps damit zu tun, dass er vonseiten der Demokraten provoziert wurde, zusammen mit Youngkin Wahlkampf und damit dessen Siegchancen eventuell zunichte zu machen. Selbst in seinem in beiden Wahlen gewonnenen Swing State Florida verliert Donalt Trump zurzeit an Zustimmung.
Im Gegensatz dazu ist das Verhältnis von Terry McAuliffe zu führenden Demokraten weit weniger problematisch. Zwar hatte er den Kongress in Washington D.C. aufgefordert, „seinen Job zu machen", da man in den Bundesstaaten dringend Geld für die Infrastruktur benötige. Doch am Dienstagabend (Ortszeit) reiste Joe Biden an, um für McAuliffe eine Wahlkampfrede zu halten.
Bidens Anreise war sehr kurz - nur vier Meilen (circa sechs Kilometer) vom Weißen Haus entfernt, da Virginia südlich an Washington angrenzt. Auch Vizepräsidentin Kamala Harris hat kürzlich Wahlkampf für den Parteifreund gemacht und sich für Freitag erneut angekündigt - diesmal zusammen mit dem schwarzen Musiker Pharrell Williams. Für Joe Biden geht es schon am Freitag weiter nach Europa, wo der Präsident zunächst am G20-Gipfel in Rom, anschließend an der Weltklimakonferenz in Glasgow teilnimmt.
Schwarze Wähler:innen spielen eine wichtige Rolle für McAuliffe, denn aktuelle Umfragen zeigen, dass Youngkin zwar bei Weißen mit 56 zu 38 Prozent vorne liegt, Schwarze indes klar McAuliffe favorisieren - mit 81 zu 8 Prozent. David Paleologos, Direktor des politischen Forschungszentrums der Suffolk Universität sagte USA Today, es gehe bei dieser Wahl allein um die Wahlbeteiligung: „Wenn Schwarze mehr als 20 Prozent der abgegebenen Stimmen ausmachen, wird McAuliffe gewinnen. Aber wenn schwarze Stimmen nur 16-18 Prozent der Gesamtstimmen ausmachen, wird Youngkin Gouverneur werden."
Traditionell gilt die Gouverneurswahl in Virginia als erste größere, regulär angesetzte Wahl nach der Präsidentschafts- und vor den Zwischenwahlen, den midterm elections nach zwei Jahren, als Stimmungsbarometer für eben diese. Sie wird auch als Gradmesser für die bisherige Bilanz der Regierung gesehen. (Johanna Soll)
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