In Texas gilt nun ein neues Gesetz, das Abtreibungen de facto illegal macht. Das könnte massive Auswirkungen haben.
Houston - „Ist eine Zukunft, in der Befürworter von Zwangsgeburten Ärzte für zehn Riesen verklagen, einfach etwas, was wir alle akzeptieren müssen? Eine lautstarke Minderheit des Landes unterstützt die Barbarei, Frauen gegen ihren Willen zu einer Geburt zu zwingen. Wann werden die Demokraten tun, was nötig ist, um diese Minderheit zu stoppen?", fragt Elie Mystal, Jurist und Rechtskorrespondent der US-Zeitschrift The Nation in einem Kommentar. Der Hintergrund dieses „dystopischen rechtlichen Bullshits", wie Mystal es nennt, ist folgender:
Im Mai hat das republikanisch dominierte Parlament des US-Bundesstaates Texas ein Anti-Abtreibungsgesetz erlassen, welches das Abtreibungsrecht drastisch einschränkt. Das sogenannte „Heartbeat Bill", Herzschlaggesetz, verbietet ab dem 1. September Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche, da ab diesem Zeitpunkt der Herzschlag des Embryos einsetzt. Allerdings wissen zu diesem frühen Zeitpunkt viele Frauen noch nicht einmal, dass sie schwanger sind und so werden in Texas mindestens 85 Prozent der Abtreibungen erst danach vorgenommen.
Zwar garantiert der Präzedenzfall aus dem Jahr 1973 Roe v. Wade des Supreme Courts, des Obersten Gerichtshofs der USA, grundsätzlich das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Lebensfähigkeit des Fötus', also circa bis zur 22. bis 24. Schwangerschaftswoche. Doch dem texanischen Landesparlament ist nun möglicherweise gelungen, dieses Recht mit dem „Heartbeat Bill" zu umgehen. Denn nicht die Behörden in Texas sind für den Vollzug des Gesetzes zuständig, sondern die texanischen Gerichte, sofern Bürger:innen erfolgreich auf Grundlage des Anti-Abtreibungsgesetzes klagen.
Es muss sich bei den Kläger:innen nicht einmal um Einwohner:innen von Texas handeln, vielmehr kann jede:r in den USA klagen - und zwar gegen so ziemlich jede:n: Gegen Kliniken und Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche vornehmen, aber auch gegen jede Person, die Beihilfe zu einer illegalen Abtreibung leistet - also eine Frau, die diese vornehmen lassen will, in irgendeiner Art und Weise unterstützt. Gegen Frauen, die abtreiben wollen, kann zwar nicht direkt vorgegangen werden, wohl aber gegen ihr gesamtes Umfeld, einschließlich Mediziner:innen, der Klinik und dem Pflegepersonal.
Hinzu kommt, dass Kläger:innen im Falle eines Erfolges vor Gericht nicht nur die Kosten des Rechtsstreits von der Beklagtenseite erstattet bekommt - was sonst in den USA unüblich ist -, sondern darüber hinaus auch eine Prämie in Höhe von mindestens 10.000 US-Dollar erhält. Dies schafft einen Anreiz zum Denunziantentum, auch wenn keinerlei Beweise für eine illegale Abtreibung nach der sechsten Schwangerschaftswoche oder für eine entsprechende Beihilfe vorliegen. Denn wenn sich der beziehungsweise die Beklagte nicht gegen die Klage wehrt, wird ihr automatisch stattgegeben. Befindet sich auf Beklagtenseite eine Abtreibungsklinik, so sieht das Gesetz im Falle deren Unterliegens vor Gericht vor, dass das Gericht deren Schließung anordnet. Verliert die Klinik, wird sie geschlossen, wird sie hingegen „lediglich" mit haltlosen Klagen überzogen, gegen die sie sich verteidigen muss, wird sie recht schnell insolvent gehen - ein erwünschter Nebeneffekt des Anti-Abtreibungsgesetzes.
Damit werden Abtreibungen in Texas nun de facto illegal. Nancy Northup, Vorsitzende des Center for Reproductive Rights (Zentrum für reproduktive Rechte) sagt dazu in einer Erklärung: „Patientinnen müssen sich für eine Abtreibung nun in andere Bundesstaaten begeben - inmitten einer Pandemie. Und viele werden nicht die Mittel dafür haben. Das ist grausam, skrupellos und rechtswidrig." Zur Frage der Rechtmäßigkeit hat bisher kein Gericht entschieden. Anbietende von Abtreibungen sowie Organisationen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen, hatten erfolglos für den Aufschub des Inkrafttretens dieses Anti-Abtreibungsgesetzes geklagt, bis über deren Verfassungsmäßigkeit entschieden ist. In letzter Instanz hatten sie den Supreme Court um einstweiligen Rechtsschutz ersucht, doch dieser ließ die Frist für eine Stellungnahme bis 0.00 Uhr texanischer Ortszeit verstreichen. Damit tritt das Gesetz heute in Kraft.
Dem Supreme Court liegt mit Dobbs v. Jackson Women's Health Organization bereits ein anderes Anti-Abtreibungsgesetz aus Mississippi zur Entscheidung vor, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verbietet, mit Ausnahmen bei medizinischen Notfällen oder schweren Missbildungen des Fötus. Abtreibungsgegner:innen hoffen darauf, dass die konservative Mehrheit des Gerichts mit sechs zu drei Stimmen diesen Fall zu einer Abkehr vom Präzedenzfall Roe v. Wade nutzt. Dieses Gerichtsurteil wird dann nationale Wirkung entfalten, wohingegen es für Frauen in Texas bereits ab sofort kaum noch legal möglich ist, eine Abreibung vorzunehmen.