Das demokratische Establishment in Ohio hat alles in die Waagschale geworfen, um eine enge Vertraute von Bernie Sanders, Nina Turner, zu verhindern.
Ohio - Für die progressiven Demokraten in den USA hat sich in der vergangenen Nacht (Ortszeit) bei den außerordentlichen Vorwahlen des 11. Kongresswahlbezirks des US-Bundesstaates Ohio für das US-Repräsentantenhaus Geschichte wiederholt. Im Frühjahr 2020 schloss das demokratische Establishment seine Reihen hinter dem damaligen Vorwahlkandidaten Joe Biden, um den linken Senator Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidaten zu verhindern.
Dies ist in ähnlicher Art und Weise nun erneut in Ohio geschehen: Das demokratische Establishment und dessen Großspender haben alles - inklusive Spenden in Millionenhöhe - in die Waagschale geworfen, um eine enge Vertraute von Bernie Sanders, die afroamerikanische Politikerin Nina Turner, zu verhindern. Man unterstützte erfolgreich Shontel Brown, ebenfalls Afroamerikanerin, die nun bei der Kongresswahl am 2. November gegen die republikanische Kandidatin Laverne Gore antritt. Da es sich um einen Wahlbezirk handelt, der zu etwa 80 Prozent aus Demokraten-Wähler:innen besteht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach Shontel Brown diese Wahl gewinnen und anschließend ihren Wahlbezirk in Ohio als Kongressabgeordnete in Washington D.C. vertreten.
Vorwahlen in Ohio: Es sah lange Zeit nach Sieg für Turner ausWie seinerzeit bei Bernie Sanders, in dessen Vorwahlkampf 2019/2020 Nina Turner als Co-Vorsitzende seiner Wahlkampagne fungierte, sah es lange Zeit nach einem Sieg für Turner aus. Der Sitz im Repräsentantenhaus wurde frei, weil die vorherige Amtsinhaberin, Marcia Fudge, von US-Präsident Joe Biden als erste schwarze Frau zur Bundesministerin für Wohnen und Stadtentwicklung berufen wurde. Durch Nina Turners politische Karriere als Stadträtin von Cleveland und später als Senatorin im State Senate, dem Landesparlament von Ohio, sowie als ranghöchstes Mitglied von Bernie Sanders' Wahlkampfteam war sie auch weit über Ohio hinaus bei den linken Demokraten in den USA bekannt.
Im Gegensatz dazu war die Kommunalpolitikerin Shontel Brown weitgehend unbekannt. Nina Turner war es, wie bereits Bernie Sanders, gelungen, allein mit Kleinspenden ihrer Anhänger:innen aus dem ganzen Land einen deutlich höheren Betrag für den Wahlkampf einzuwerben als Shontel Brown, nämlich 5,7 Mio. US-Dollar im Vergleich zu 2,6 Mio.
Wahlumfrage klar auf der Seite von Nina Turner vor Vorwahlen in OhioAls Nina Turner Anfang Juni eine Wahlumfrage in Auftrag gab, die sie bei 50 Prozent und Shontel Brown weit abgeschlagen bei lediglich 15 Prozent in der Wähler:innengunst zeigte, schien klar, wer als Siegerin aus diesem Vorwalkampf hervorgehen würde. Doch mit dieser für das demokratische Establishment alarmierenden Umfrage kam die Kehrtwende und man blies, allen voran die demokratische Ex-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, zum Angriff auf Nina Turner: Es wurden Spendenveranstaltungen abgehalten und schnell Geld gesammelt, um Nina Turner zu verhindern - viel Geld, rund 2,9 Mio. Dollar. Es wurde vor allem in negative TV-Wahlwerbespots investiert, die Nina Turner als radikale Unruhestifterin darstellten, die im Kongress Stimmung gegen die Biden-Regierung machen wolle.
Tatsächlich machte sich Nina Turner lediglich für sozialdemokratische beziehungsweise grüne Reformen stark, die nach deutschem Maßstab nicht radikal sind: einen angemessenen Mindestlohn, bezahlbaren Wohnraum, gebührenfreie öffentliche Universitäten, eine sichere Rente, bezahlte Elternzeit und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine allgemeine gesetzliche Krankenversicherung, Klima- und Umweltschutz, und Arbeitsrechtsreformen.
Am Ende reicht es bei den Vorwahlen in Ohio für Nina Turner nichtAls Antwort auf die Attacken, die gegen sie gefahren wurden, stellte Nina Turner kurz die Anschuldigungen richtig und konzentrierte sich ansonsten auf ihre Wahlbotschaft: Sie habe sich in Washington für die Armen, die Menschen, die arbeiten und dennoch arm sind und die, die gerade eben noch der Mittelschicht angehören einsetzen wollen. Am Ende reichte es nicht. Mit massiver Unterstützung des demokratischen Establishments schlug Shontel Brown Nina Turner nach aktuellem Stand mit 50,2 zu 44,5 Prozent.
Königsmacher beziehungsweise Königinmacher war auch bei dieser Vorwahl die mächtige Nummer 3 der Demokraten im Repräsentantenhaus, der Schwarze Abgeordnete James „Jim" Clyburn, der den 6. Kongresswahlbezirk des Bundesstaates South Carolina vertritt und Parlamentarischer Geschäftsführer der Demokraten-Fraktion ist. Er sprach Shontel Brown offiziell seine Unterstützung aus und sein Wort hat insbesondere in der Schwarzen Community großes Gewicht. So ist es vor allem Jim Clyburn zu verdanken, dass Joe Biden seinerzeit in South Carolina Bernie Sanders' Vorwahlsiegesserie beenden konnte. Dieser Trend setzte sich anschließend fort und bescherte Joe Biden die demokratische Präsidentschaftskandidatur.
Vorwahlen in Ohio: Partei-Establishment verhindert linke Demokrat:innenDer Ausgang der Vorwahl in Ohios 11. Kongresswahlbezirk zeigt wieder einmal, dass es für progressive Demokraten oftmals unmöglich scheint, als Sieger:in aus Vorwahlen hervorzugehen, wenn sich das Partei-Establishment, angeführt von prominenten Vertreter:innen zusammentut und seine mächtigen Großspender aus der Pharma-, der privaten Krankenversicherungs-, der fossilen Energie- Branche sowie der Wallstreet mobilisiert, um linke Demokraten zu verhindern. Selbst ein Korruptionsskandal um Shontel Brown, in dem auf Landesebene gegen sie ermittelt wird aufgrund des Verdachts, möglicherweise öffentliche Aufträge in Millionenhöhe ihrem Lebensgefährten und Spendern verschafft zu haben, vermochte ihr letztlich nicht zu schaden. Denn es waren lediglich linke US-Medien mit vergleichsweise geringer Reichweite, die darüber berichteten.
Nina Turner indes gibt sich auch nach ihrer Wahlniederlage gewohnt kämpferisch. In ihrer entsprechenden Rede sagte sie: „Ich werde hart arbeiten, um sicherzustellen, dass so etwas bei einer progressiven Kandidatur nicht noch einmal geschieht. Wir haben dieses Rennen nicht verloren, sondern böses Geld hat diese Wahl manipuliert und verleumdet." (Johanna Soll)