US-Präsident Joe Biden hat bei seinen Reformplänen längst nicht nur Republikaner gegen sich.
Washington, D.C. - „Ich bin zu 100 Prozent darauf fokussiert, mich dieser Administration entgegenzustellen", sagte kürzlich Mitch McConnell, US-Senator aus Kentucky und derzeit Minderheitsführer der Republikaner im Senat in Bezug auf die Biden-Regierung. Hilfe bekommt er bei diesem Vorhaben ausgerechnet von einem Parteifreund von Joe Biden - Joe Manchin, dem konservativen demokratischen Senator aus West Virginia.
Dieser hatte vor einer Woche in einem Gastkommentar verkündet, nicht für den For the People Act stimmen zu wollen. Dieser Gesetzentwurf sieht eine Wahlrechtsreform vor, die das Wählen in den USA insgesamt erleichtern und überdies Großspender und deren Kommunikation mit politischen Kandidat:innen offenlegen soll. Des Weiteren schreibt Joe Manchin, er wolle auch nicht den Filibuster abschafften, eine Senatsregel, mit der die Opposition die Verabschiedung von Gesetzen blockieren kann und von der die Republikaner in der Vergangenheit reichlich Gebrauch machten.
Demokraten empört über Vorstoß von Joe ManchinDiese Haltung Joe Manchins sorgte im politischen Washington für Empörung aufseiten der Demokraten und für Zuspruch aufseiten der Republikaner. Allen voran Ex-Präsident Donald Trump, der die Entscheidung Manchins auf Fox News lobte. Joe Manchin hat sich bereits seit dem Amtsantritt Joe Bidens einen Namen als konservativer Abweichler gemacht. Er begründet dies damit, den konservativen, überwiegend republikanischen Bundesstaat West Virginia zu vertreten und darüber hinaus mit der angeblichen Notwendigkeit überparteilich verabschiedeter Gesetze.
Doch bei der derzeitigen tiefen Spaltung im US-Kongress aufgrund der völlig konträren politischen Ausrichtung beider Parteien, ist an überparteiliche Zusammenarbeit kaum zu denken. Insbesondere dann nicht, wenn es um sozialpolitische Gesetzesvorhaben geht, von denen die Menschen in den USA direkt profitieren sollen. Um solche Gesetze verabschieden zu können, müsste als erstes der Filibuster weg.
Dabei handelt es sich um eine Senatsregel aus dem Jahr 1917, die es der Oppositionspartei erlaubt, Gesetzentwürfe zu blockieren. Seit 1975 sind grundsätzlich 60 der 100 Stimmen im Senat erforderlich, um ein Gesetz zu verabschieden. Aktuell halten sowohl Demokraten als auch Republikaner je 50 Sitze im Senat. Bei einem Patt entscheidet die Stimme von Vizepräsidentin Kamala Harris.
USA: Zehn Republikaner müssen für Gesetze der Demokraten stimmenDas heißt die Demokraten brauchen für die meisten ihrer Gesetzesvorhaben mindestens zehn Republikaner, die für den Gesetzentwurf stimmen. Es handelt sich bei dem Filibuster lediglich um eine Regel, die der Senat sich gegeben hat, nicht etwa um ein Gesetz. Der Filibuster könnte daher mit einer einfachen Mehrheit abgeschafft oder modifiziert werden. Davon würden dann natürlich auch die Republikaner profitieren, wenn sie wieder die Mehrheit im Senat stellen.
Oft wird der Filibuster als undemokratisch und zum Teil auch als rassistisch bezeichnet. Undemokratisch ist die Regel dann, wenn sie von der Minderheit, in diesem Fall den Republikanern, missbraucht wird, um zu verhindern, dass Gesetze den Senat passieren, die von Mitgliedern des Kongresses entworfen wurden, die wiederum von der Mehrheit der US-Amerikaner:innen gewählt wurden. Rassistisch konnotiert ist der Filibuster, weil er zwischen 1917 und 1994 in der Hälfte der Fälle angewendet wurde, um Gesetze zu blockieren, die zugunsten der schwarzen Bevölkerung erlassen werden sollten.
Ein milderes Mittel zur kompletten Abschaffung des Filibusters wäre seine Modifizierung: Früher mussten Senator:innen, um die Abstimmung über einen Gesetzentwurf zu verhindern, mehrstündige Dauerreden halten. In der Vergangenheit hat sich Joe Manchin offen für eine solche Reform gezeigt. Doch er hat auch 2019 noch den Gesetzentwurf für das Wahlreformgesetz unterstützt, für das er jetzt nicht mehr zu stimmen gedenkt.
USA: Joe Biden muss sich mit dem Manchin-Problem auseinander setzenDamit hat Joe Manchin Joe Biden in eine schwierige Lage manövriert. Vorerst muss sich der US-Präsident nicht um dieses innenpolitische Schlamassel kümmern, solange er sich noch bis Mittwoch auf Europareise befindet. Doch sobald er zurück in den USA ist, wird er sich dem widmen und sich mit Joe Manchin und anderen konservativen Senator:innen auseinandersetzen müssen.
Joe Manchin ist für den konservativen Flügel der Demokraten im Kongress das, was Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez für die Progressiven sind - prominentes Gesicht und Blitzableiter für mediale Kritik. Denn Manchin ist mit seiner konservativen Haltung nicht allein, hinter ihm „verstecken" sich nach Angaben der US-Nachrichtenwebsite The Daily Beast noch etwa fünf oder sechs weitere konservative demokratische Senator:innen, unter ihnen Kyrsten Sinema, Senatorin aus dem Bundesstaat Arizona.
Auch sie hat sich bereits für eine Beibehaltung des Filibusters ausgesprochen. Da bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen im US-Senat jedoch lediglich ein:e Abweichler:in bei den Demokraten nötig ist, um einen Gesetzentwurf zu blockieren, gibt Joe Manchin seinen konservativen Kolleg:innen Deckung - falls sie diese benötigen.
Joseph Anthony „Joe" Manchin III.
Geboren
24. August 1947 Farmington, West Virginia
Amt
Senator (Demokratische Partei) seit 2010
Ehepartnerin
Gayle Conelly Manchin (verh. 1967)
Kinder
Heather Bresch, Joseph IV Manchin, Brooke Manchin
Deren politische Haltung ist nämlich bei den Menschen in den USA nicht populär: Umfragen zufolge befürworten 67 Prozent der Amerikaner:innen den For the People Act, das Wahlreformgesetz, 80 Prozent der demokratischen Wähler:innen sind der Ansicht, die Filibuster-Regel sollte zugunsten dieses Gesetzentwurfs geändert werden und 55 Prozent der Demokraten-Wähler:innen sprechen sich allgemein gegen den Filibuster aus. Joe Manchin repräsentiert also nicht seine Wähler:innen, sondern handelt ganz im Sinne seiner Spender.
Damit wird in letzter Zeit vermehrt ein Tabuthema der US-Politik offen angesprochen: Der korrumpierende Einfluss von Großspenden, die Politiker:innen völlig legal direkt erhalten. Zwar werben Kandidat:innen der progressiven Demokraten im Rahmen ihrer Wahlkämpfe insbesondere damit, von großen Unternehmen, Lobbyorganisationen und deren Interessen unabhängig zu sein, indem sie nur Kleinspenden ihrer Unterstützer:innen akzeptieren. Doch wenn sie es in den US-Kongress schaffen, verstummen sie zumeist, wenn es um dieses Thema geht - bis jetzt.
Alexandria Ocasio-Cortez mutmaßte in einem Fernsehinterview mit MSNBC, Joe Manchins Ablehnung des For the People Acts hänge wohl damit zusammen, dass das Gesetz für mehr Transparenz bei den Spenden sorge. Ihr Parteikollege aus New York, der Kongressabgeordnete Jamaal Bowman, wurde auf Twitter noch deutlicher: „Joe Manchin lässt sich nicht von Anführern der Bürgerrechtsbewegung, die über Jahrzehnte darin aktiv waren, bewegen. Manchin lässt sich nicht von den Ansichten seiner Wählerschaft bewegen. Manchin lässt sich nicht von Wählerunterdrückungsgesetzen der Republikaner in 43 Bundesstaaten bewegen. Denn Manchin lässt sich allein von seinen Großspendern und deren Agenda bewegen."
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USA: Joe Biden im Dilemma - Spenden aus der WirtschaftAnders als die progressiven Demokraten kann Joe Biden Joe Manchin & Co. wegen ihrer Großspender nicht direkt attackieren, denn auch Joe Biden erhält Spenden aus der Wirtschaft. Doch im demokratischen Präsidentschaftsvorwahlkampf war eines seiner Argumente, er wisse wie man im Kongress in Washington etwas bewirkt. Wenn er also Wort halten und seine recht progressive politische Agenda tatsächlich umsetzen will, muss der Filibuster abgeschafft werden. Dann bliebe ihm mit der Mehrheit in beiden Senatskammern bis zu den Zwischenwahlen im November 2022, um zumindest ein paar Gesetze zu verabschieden, die soziale Reformen auf den Weg brächten.
Wenn Joe Biden allerdings wie bisher bei Meinungsverschiedenheiten mit dem konservativen Flügel seiner Partei Schwäche zeigt, wird er fast nichts von seiner Agenda umsetzen können. Er hätte dann keine gesetzgeberischen Erfolge mehr für den Zwischenwahlkampf vorzuweisen, was für die Demokratische Partei fatal wäre. Üblicherweise verliert nämlich die Regierungspartei bei den Zwischenwahlen Sitze im Kongress an die Opposition. Dies wird 2022 umso wahrscheinlicher und möglicherweise auch umso gravierender, wenn die Demokraten unter Präsident Biden nicht die versprochenen Reformen umsetzen. Den Republikanern wird dadurch ermöglicht, die Demokraten - zutreffenderweise - als Nichtstuer zu bezeichnen.
USA: Joe Biden mit Abweichlern in den eigenen ReihenÜberdies dürfte den Republikanern eine erhöhte Motivation ihrer Wähler:innen zur Stimmabgabe in die Hände spielen: Einer Umfrage von Reuters/Ipsos zufolge, gehen 61 Prozent der republikanischen Wähler:innen fälschlicherweise davon aus, dass Donald Trump die Wahl gestohlen wurde - er also der rechtmäßige und Joe Biden ein illegitimer Präsident sei. Die Gesetze zur Wählerunterdrückung, die Republikaner bereits erlassen haben bzw. noch vorhaben zu erlassen, tun ihr Übriges, um möglicherweise einen Wahlausgang zu ihren Gunsten zu erzielen. Würden die Demokraten ihre Mehrheit in einer oder beiden Kongresskammern verlieren, wäre Joe Biden innenpolitisch für mindestens die folgenden zwei Jahre bis 2024 weitgehend handlungsunfähig.
Um das zu verhindern und wenn es ihm ernst ist mit seiner Agenda, muss Joe Biden nicht etwa dem politischen Gegner in Gestalt von Senator Mitch McConnell entgegentreten, sondern den konservativen Abweichler:innen wie Joe Manchin in den eigenen Reihen. Denn Joe Biden steht sowohl unter Handlungs- als auch unter Zeitdruck. (Johanna Soll)