Am 25. Mai 2020 bezahlte der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis eine Schachtel Zigaretten mit dem Leben.
USA - Heute jährt sich zum ersten Mal der Todestag von George Floyd, der postum zu einer tragischen Galionsfigur für tödliche Polizeigewalt in den USA und darüber hinaus in der Welt wurde. Am 25. Mai 2020 hatte der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota angeblich eine Schachtel Zigaretten mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt. Der Verkäufer rief daraufhin die Polizei und als sich George Floyd - inzwischen in Handschellen - zunächst weigerte, in den Polizeiwagen einzusteigen, wurde er von den Polizisten gewaltsam zu Boden gebracht. Drei Polizisten knieten auf seinem Körper, einer der Polizisten war Derek Chauvin - er kniete auf George Floyds Hals, 9 Minuten und 29 Sekunden lang. Dies endete bekanntlich mit dem Tod von George Floyd. Ein Jahr später ist es Zeit Bilanz zu ziehen, was sich seitdem gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch ereignet hat.
Das in gesellschaftlicher Hinsicht wichtigste Ereignis ist mit Sicherheit die Verurteilung des Ex-Polizisten Derek Chauvin. Die Geschworenen haben ihn vor etwa einem Monat nach nur kurzer Beratung in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden. Die Strafmaßverkündung ist für Ende Juni angesetzt, doch Chauvin hat über seine Anwälte bereits ein neues Verfahren beantragt, mit der Begründung, das jetzige Verfahren sei nicht fair gewesen und es würden weitere Verfahrensverstöße vorliegen. Dennoch ist die erstinstanzliche Verurteilung eines weißen Polizisten, der einen unbewaffneten Schwarzen tötete, ein Meilenstein in der US-Strafjustiz. Denn nur etwa 1,1 Prozent der Polizist:innen, die im Dienst jemanden töten, werden wegen Mordes oder Todschlags angeklagt. Und nur rund 0,04 Prozent der Fälle tödlicher Polizeigewalt enden mit der Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts.
Kommission internationaler Anwältinnen und Anwälte: USA hat zwei RechtssystemeAuch auf internationaler Ebene beschäftigen sich Rechtsexpert:innen mit der Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA: In einem ausführlichen Bericht legt eine Kommission international führender Anwältinnen und Anwälte für Menschenrechte aus elf Ländern dar, dass die massive Polizeigewalt, der Schwarze in den USA ausgesetzt sind, gegen internationales Recht verstößt und in manchen Fällen sogar ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Sie hat daher die Staatsanwaltschaft des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag angerufen und um ein Ermittlungsverfahren gegen die USA ersucht. Die Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass in den USA zwei Rechtssysteme existieren: „Eines für weiße Menschen und ein anderes für Menschen afrikanischer Abstammung." Dem Bericht zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, von der Polizei getötet zu werden, in den USA für unbewaffnete Schwarze fast 4-mal so hoch, wie für Weiße. Dennoch ist bereits jetzt klar, dass ein mögliches Strafverfahren gegen die USA ohne Folgen bleiben wird, da sie den Internationalen Strafgerichtshof nicht anerkennen, mit der Begründung, einen politischen Missbrauch zu fürchten.
Ein weiteres gesellschaftlich wichtiges und vor allem sichtbares Ereignis seit George Floyds Tod waren die vielen Black-Lives-Matter-Demonstrationen, die im Sommer letzten Jahres in den USA und in mehr als 60 Ländern der Welt stattfanden. Allein in den USA haben einer Studie zufolge im letzten Sommer rund 15 bis 26 Mio. Menschen an Demonstrationen wegen der Tötung von George Floyd und anderen Afroamerikaner:innen teilgenommen. Damit wäre dies die größte Bewegung in der Geschichte der USA - jedenfalls ist es die größte Antirassismusbewegung seit der Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre. Im Gegensatz zu dem, was rechte Medien glauben machen wollen, verliefen etwa 93 Prozent der Antirassismusdemonstrationen friedlich. Bei denen, wo es zu Ausschreitungen, Brandstiftungen und Plünderungen kam, ging dies zum Teil von Rechtsradikalen aus. Auch bei den Demonstrationen gegen Polizeigewalt kam es zu Gewalt vonseiten der Polizei, die oftmals mit unverhältnismäßiger Härte gegen Demonstrierende vorging.
Black Lives Matter: Große Konzerne sind gezwungen, sich zu positionierenDie Präsenz von vielen Millionen Menschen auf den Straßen führte dazu, dass auch die Wirtschaft reagierte. Die hohen Zustimmungswerte für Black Lives Matter in der US-Bevölkerung im letzten Jahr veranlassten auch manche Konzerne dazu, sich zu positionieren und ebenfalls ihre Unterstützung für die Sache zu bekunden. Dies allein kostet sie nichts, doch wenn es darum geht, den Worten Taten folgen zu lassen, wird der Enthusiasmus deutlich verhaltener. Zwar geben Tech-Konzerne wie Amazon, Facebook, Google und Twitter gern an, hohe Beträge an verschiedene Organisationen zu spenden, die sich gegen Rassismus einsetzen, doch dann stimmen ihre Aktionäre gegen Beschlüsse, die zur Verbesserung des Lebens von Afroamerikaner:innen beitragen würden.
Ein weiteres Beispiel eines unternehmerischen Rückziehers ist der Getränkekonzern Coca-Cola. Dieser sah für externe Anwaltskanzleien zunächst folgende Diversitätsquoten vor: 30 Prozent der Arbeitszeit, die Coca-Cola in Rechnung gestellt wird, müsse von People of Color, LGBTQ (lesbisch, gay [schwul], bisexuell transgender, queer), Frauen oder Menschen mit Behinderung erbracht werden. Mindestens die Hälfte dieser Zeit müsse auf die Arbeit von schwarzen Anwältinnen und Anwälten entfallen. Das war im Januar - nur drei Monate später im April, nach einem Wechsel in der Leitung der Konzernrechtsabteilung von Coca-Cola, gab die neue schwarze Chefjustiziarin, Monica Howard Douglas, bekannt, man werde hinsichtlich der Diversitätsquotenregel „eine Pause einlegen".
Todestag George Floyd: Donald Trump lobte die „großartige Polizei"Nicht lediglich eine Pause eingelegt, sondern im Ergebnis komplett untätig geblieben, ist im Jahr nach George Floyds Tod die Instanz, die am meisten am Status quo ändern könnte: die Politik. Ihr obliegt es, Gesetze zu verabschieden, die Rassismus in den staatlichen Institutionen, insbesondere Polizeigewalt, verhindern. Dass bis Januar nichts unternommen wurde, verwundert nicht, denn bis dahin war Donald Trump US-Präsident und dieser bestätigte immer und immer wieder seine volle Unterstützung für die „großartige Polizei". Trump und die Republikaner im Kongress sahen nicht den geringsten Anlass, etwas an der brutalen Polizeipraxis zu ändern. Seit Ende Januar ist Joe Biden Präsident und auch er hat in dieser Richtung bisher nichts Substantielles erreichen können.
Im März wurde im Repräsentantenhaus, einer der beiden Kongresskammern, in der die Demokraten die Mehrheit haben, der George Floyd Justice in Policing Act verabschiedet, ein Polizeireformgesetz, das zu Ehren von George Floyd dessen Namen trägt. Das Gesetz sieht unter anderem folgendes vor: Ein Bundesregister für Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten und Disziplinarmaßnahmen, Haftungserweiterungen für Polizeibeamt:innen bei Fehlverhalten, Erweiterung der Pflicht für Polizeibeamt:innen, Körperkameras zu tragen, Beschränkung der Übernahme von Militärausrüstung durch die Polizei, Antidiskriminierungsrichtlinien und -trainingsprogramme, Verbot von Würgegriffen und Druck auf die Halsschlagader, Verbot von „no-knock warrants" - der Erstürmung einer Wohnung ohne vorheriges Klingeln oder Anklopfen, die Anwendung tödlicher Gewalt nur als letztes Mittel, wenn eine Deeskalation fehlschlägt.
Todestag George Floyd: Gesetz „Gerichtigkeit im Polizeiwesen" lässt auch unter Joe Biden auf sich wartenJoe Biden hatte in seiner Rede zur Lage der Nation vor etwa einem Monat den Kongress dazu aufgefordert, ihm bis zum heutigen Todestag von George Floyd das Gesetz zur Unterschrift vorzulegen. Diese Frist konnte nicht eingehalten werden, weil noch keine Einigung mit den Republikanern im Senat erzielt wurde. Für die Verabschiedung des Gesetzes sind die Stimmen von mindestens zehn republikanischen Senator:innen vonnöten, vorausgesetzt alle demokratischen Senator:innen stimmen geschlossen für das Gesetz. Bereits im Repräsentantenhaus hat kein einziges Mitglied der republikanischen Fraktion für das Gesetz gestimmt. Das Gesetz, das Justice in Policing, Gerechtigkeit im Polizeiwesen, herbeiführen soll, lässt weiter auf sich warten. (Johanna Soll)
Der Tod von George Floyd hat Joe Biden tief erschüttert. Der US-Präsident empfängt zum Jahrestag von Floyds Tod dessen Familienangehörige im Weißen Haus.
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