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Rezension

Blutige Szenen, bissiger Humor - aber zu blass

Das Erfolgsgeheimnis des Musicals „Tanz der Vampire“ ist das Wechselspiel von Leben und Tod, das uns fasziniert und gleichzeitig abschreckt. Doch die Wiederbelebung der Vampire in Hamburg misslingt.

Feingliedrige Finger umschmeicheln den Hals des Opfers. Der Vampir hat silbrig schimmernde Haare. Sie fallen über den Kragen seines Umhangs und umrahmen seine markanten Gesichtszüge. Sein stechender, ausdrucksloser Blick hypnotisiert. Graf von Krolock – eine elegant und erotische Erscheinung zugleich. Ganz in Schwarz gekleidet, leuchtet das dunkelrote Innenfutter seines Umhangs hervor. Er spielt mit seinen sexuellen Reizen, um sein Opfer Sarah, eine unschuldige Wirtshaustochter, in den Bann zu ziehen.

Willkommen bei „Tanz der Vampire“, dem neuen Musical im Stage Theater an der Elbe. Die Premiere im September ist gut besucht. Im Foyer drängeln Menschen aneinander vorbei, auch einige Promis sind gekommen – Micaela Schäfer etwa oder Oliver Pocher. Allerdings alles eher B-Prominenz.

Schon seit 1997 tanzen Vampire auf den internationalen Theaterbühnen. Die Geschichte um Liebe und Tod zählt zu den erfolgreichsten deutschen Musicals aller Zeiten. Sie basiert auf dem Kultfilm „The Fearless Vampire Killers“ von Roman Polanski. Auch in Hamburg waren die Vampire schon einmal zu Gast – vor elf Jahren im Stage Theater Neue Flora. Nun sind sie zurück und bleiben bis Januar 2018.

Opulentes Bühnenbild, mangelhafte Darsteller

Gewaltige Särge, quietschende Schlosstore oder ein opulentes Himmelbett: Das Bühnenbild spart nicht an Bombast. Die Kostüme der Vampire sind barock und pompös, von ihrer langen Tragezeit aber zerfetzt. Der Eindruck entsteht, man befindet sich im 13. Jahrhundert, wird Teil der Fanatasiewelt. Bis zu drei Beutel Kunstblut pro Vorstellung werden benötigt. Mehr als 230 handbemalte Kostüme sind Teil der Show, allein ein Darsteller wechselt sein Kostüm bis zu zwölf Mal. Die 150 Perücken und Kostüme werden für jeden einzeln geschneidert und angepasst.

Alles scheint in sich stimmig, wären da nicht die Hauptcharaktere, die deprimieren. Dabei ist der starke Dialekt der weltweit gecasteten Darsteller gar nicht das Schlimmste. Negativ fällt vielmehr auf, wie künstlich, einstudiert und unglaubwürdig die Szenen wirken. Beispiel: Als der junge Assistent Alfred und Sarah sich zum ersten Mal begegnen, werden auswendig gelernte Textstücke aneinandergereiht. Die innigen und emotionalen Momente können dabei nicht überzeugen.

Die beiden Hauptdarsteller Sarah (gespielt von Maureen Mac Gillavry) und Graf von Krolock (gespielt von Mathias Edenborn) wirken übermotiviert, schwächeln aber auf gesanglicher als auch auf schauspielerischer Ebene. Gleich nach Beginn der Vorstellung erwecken sie den Anschein, ihrer Rolle nicht gewachsen zu sein. Gestik und Mimik wirken eingeübt und aufgesetzt, die Betonungen erfolgen an den falschen Stellen. Bereits bei den ersten hohen Tönen verwandelt sich Sarahs Solo in ein fürchterliches Kreischen, bei dem man sich sehnlichst ein Ende des Ganzen wünscht.

Unvergessen ist die Premiere des Musicals 1997 in Wien. Damals überzeugte Steve Barton  als Graf von Krolock mit präziser Leichtigkeit und gleichzeitiger Brutalität in seiner Stimme. Vergleicht man das mit der aktuellen Vorstellung bleiben keine Zweifel, dass die Hauptrollen in Hamburg nicht ideal besetzt sind. Der Konflikt zwischen Leben und Tod, Vergänglichkeit und Unsterblichkeit wird durch die misslungene Inszenierung nicht vermittelt.

Im Gegensatz dazu stehen die Tänzer, die mit akrobatischer Leichtigkeit über die Bühne wirbeln. Die Gruselmomente sind inklusive, wenn sich die untoten Gestalten ihren Weg durch das Publikum bahnen und einzelne Gäste anfauchen. Sie sind es, die der Inszenierung Spannungs- und Schockmomente zurückgeben und mit beeindruckenden Swingeinlagen faszinieren. Melancholische Songelemente vermischen sich mit rockigen Texten und liefern so einen perfekt abgestimmten Wechsel aus Humor, Gänsehaut und Spannung. Die damit erschaffene Fantasie- und Musikwelt, komponiert von Jim Steinmann, entführt einen in das Reich der Untoten.

Eine Metapher fürs Älterwerden

Um was geht es eigentlich? In aller Kürze: Zu Beginn des Musicals begleitet man Vampirforscher Professor Abronsius aus Königsberg mit seinem ängstlichen Assistenten Alfred auf Forschungsreise in das verschneite Transsilvanien. Ihr Ziel: Die Vampire ausrotten. Bei einem Zwischenstopp in einem Gasthaus verliebt sich Alfred in die schöne Wirtstochter Sarah. Auch der Graf des nahegelegenen Schlosses – der Vampir – hat ein Auge auf das hübsche Mädchen geworfen und lädt sie zum Mitternachtsball ein. Doch hat die Liebe einen Sinn? Als Kreatur der Nacht ist er gefangen in der ewigen Verdammnis. Das Vertrauen in Gott hat er verloren. Letztendlich zeigt sich im Grafen die unstillbare Gier, von der die Menschheit regiert wird, und die auch jeder von uns – stärker oder schwächer – wohl kennt. Es entspinnt sich eine Geschichte um die Rettung von Sarah, am Ende scheitert jedoch die Forschungsreise. Alle werden zu Vampiren.

Michael Kunze, der die Texte und das Buch für das Kultmusical geschrieben hat, erzählt die Handlung aus der Sicht des jungen Wissenschaftlers Alfred. Seine Aufgabe ist es, sich in der Umgebung der Vampire zurechtfinden, um seine große Liebe Sarah zu retten. Für Kunze ist die Welt der Vampire die der Erwachsenen. Das Musical „eine Metapher fürs Älterwerden“, sagte er in einem Interview. Diese Botschaft kann jedoch in der Premiere in Hamburg nicht recht vermittelt werden.

Dabei scheint die Geschichte um die mystischen Blutsauger aktuell wie nie: Die ewige Diskrepanz zwischen Leben und Tod, Machtspielen und dem Gefühl, nie genug zu sein, verkörpern auch Aspekte unserer Gesellschaft. Vielleicht zählt Tanz der Vampire genau deshalb zu einem der ganz großen Musicals, die die zentralen Themen des Lebens ansprechen – verpackt in eine humorvolle, leidenschaftliche und dramatische Geschichte. Denn als sich die spitzen Zähne des Vampirgrafen in den zarten Hals der Wirtstochter graben, wird klar: Damit beginnt für Sarah die ersehnte Ewigkeit. Ein tragischer Moment, durch den sie letztlich aber auch erwachsen wird.

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