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Protest als Weckruf

Menschen demonstrieren und halten ein Plakat mit der Aufschrift "Dachau solidarisch" | Foto Toni Heigl

250 Menschen folgen dem Aufruf des Bündnisses "Dachau solidarisch - Stadt und Landkreis für alle" und ziehen tanzend und demonstrierend durch Dachau. Ihr Anliegen: den Einfluss rechter Parteien in der Lokalpolitik verhindern.


Als der Demonstrationszug am Freitagabend seinen Endpunkt, das Dachauer Rathaus schon fast erreicht hat, müssen die Teilnehmer noch einmal vollen Körpereinsatz zeigen. Die Konrad-Adenauer-Straße schlängelt sich steil die Altstadt hinauf. Drei Demonstranten müssen das Disco-Fahrrad anschieben - zu schwer sind die befestigte Anlage und Boxen, aus denen die Musik wummert. Doch gemeinsam kommen alle ans Ziel. Das sechs Wochen junge Bündnis "Dachau solidarisch - Stadt und Landkreis für alle", der Runde Tisches gegen Rassismus, Kreisjugendring, Fridays for Future Dachau, der Freiraum e.V., Privatpersonen und weiteren Initiativen haben sich um 18 Uhr am Unteren Markt versammelt, um anschließend tanzend und demonstrierend durch Dachau zu ziehen. Politische Parteien sollten sich die Veranstaltung explizit nicht als Wahlkampfplattform zu eigen machen. Vertreter der Antifa und der "Sardinen" zeigen Flagge - letztere sind ein Ableger der in Italien entstandenen Protestbewegung gegen den ehemaligen Innenminister und Rechtspopulisten Matteo Salvini. Für den Demonstrationszug wurde ein Auto für Menschen mit Behinderung bereitgestellt.

Bei der Eröffnungskundgebung nennt die Aktivistin Theresa Wirthmüller die Veranstaltung einen "Weckruf an die Kommunalpolitik" und stellt die Forderungen des Bündnisses vor. Dieses wende sich an "alle, also alle Dachauerinnen und Dachauer in ihrer gesamten Vielfalt", sagt sie. Um die Einflussnahme rechter Parteien in der Kommunalpolitik zu verhindern, fordert Wirthmüller eine klare Gegenhaltung demokratischer Parteien und eine inklusive Politik, die bezahlbaren Wohnraum, Betreuung und Bildung, kostenfreien ÖPNV, Klimaneutralität und demokratische Freiräume für Dachau schafft. Peter Heller vom Runden Tisch gegen Rassismus unterstreicht, dass Parteien wie die AfD, welche die Gleichwertigkeit von Menschen nicht anerkenne, niemals eine demokratische Politik für alle machen könne. Die Leiterin der Caritas im Landkreis Dachau, Heidi Schaitl, informiert über die fehlenden Sozialwohnungen im Landkreis und weist auf die 400 Kinder hin, die in Notunterkünften leben müssen. Und Pfleger Matthias Gramlich fordert die Lokalpolitik auf, das vor einigen Jahren privatisierte Helios Amper-Klinikum zu rekommunalisieren, damit aus Pflege kein Profit mehr geschlagen wird.

250 Demonstranten ziehen begleitet von zwei Musikanlagen, die Mitglieder des Elemental Wave Soundsystem auf einem Fahrrad befestigt haben, und einem LKW über die Münchner Straße am Bahnhof vorbei, die Martin-Huber-Straße entlang über die Ludwig-Thoma-Straße in Richtung Dachauer Rathaus. Für lärmempfindliche Teilnehmer gibt es Ohrenschützer. Andere haben Trommeln und Rasseln mitgebracht. Passanten und Schaulustige zeigen sich irritiert bis amüsiert über die Demonstranten, wohl auch, weil einige mehr gegen die Kälte als mit der Musik mitwippen: eine Mischung aus Reggaeton, Dub und Deutsch Pop.

Tanz-Demonstrationen haben seit einigen Jahren Konjunktur. Ob bei Großdemonstrationen gegen Gentrifizierung in Berlin vergangenen Sommer oder bei den weltweiten Protesten gegen Gewalt an Frauen von "One Billion Rising" - politische Forderungen mit Tanz zu verbinden scheint das neue Mittel der Wahl zu sein. "Ich finde es gut, wenn man nicht nur rumschreit, sondern eine positive Botschaft und gute Laune gegen den Hass in der Gesellschaft bei einer Demo setzt", sagt eine Teilnehmerin. Auch in der Fastenzeit müsse man sich Gehör verschaffen, gerade vor der Kommunalwahl, sagte ein Dachauer, der beschwingt hinter dem LKW tanzt zu Texten wie "Bringt man Politik und Wirtschaft auf den allerkleinsten Nenner: alte weiße Männer."

Aus allen Altersgruppen sind die etwa 250 Demonstranten vertreten, die jüngere Generation nutzt den Umzug für eine fröhliche Party. Zwei ältere Teilnehmerinnen erzählen, dass sie angeregt durch ihre Neffen seit den Fridays-for-Future-Demonstrationen wieder selbst öfter auf die Straßen gingen, sie machten sich Sorgen über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Immer wieder wird die Musik unterbrochen und die Forderungen erneut vorgelesen. Spontan spricht auch ein syrischer Familienvater in das Mikrofon. Er erzählt von dem Zimmer, das sich seine fünfköpfige Familie seit drei Jahren in einem Obdachlosenheim teilen müsse. Dem allgemeinen und inklusiven Charakter der Forderungen entsprechend scheint vor allem die Demonstration von Zusammenhalt und Unterstützung im Vordergrund der Veranstaltung zu stehen.

Die Polizei ist mit fünf Streifenwagen und drei Motorrädern im Einsatz und bestätigte einen friedlichen Ablauf. Die Demonstration endet mit Getränken aus dem LKW vor dem Rathaus, einige tanzen energetisch weiter. Ganz nach dem Motto der Demo: reden - tanzen - reden - tanzen.


 2. März 2020

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