Johanna Gollnhofer

Professorin für Marketing , St. Gallen

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Artikel

The New Consumer - Wie die Corona-Krise das Konsumverhalten verändert

Keine Krise der vergangenen Jahrzehnte hat die Konsum- und Kaufgewohnheiten so auf den Kopf gestellt wie die Corona-Krise. Kurzfristige, akute Veränderungen im Konsum- und Kaufverhalten, die durch den Lockdown ausgelöst wurden, zeichneten sich schnell ab. Unklar ist jedoch, wie die Krise langfristig das Konsum- und Kaufverhalten beeinflusst.

Im Rahmen einer umfangreichen Studie des Instituts für Customer Insight an der Universität St.Gallen (ICI-HSG) analysiert ein Team bestehend aus Jan-Hendrik Bucher, Matthias Fuchs, Prof. Dr. Johanna Gollnhofer, Hannah Leimert, Birte Manke, Prof. Dr. Torsten Tomczak und Marco Vario die kurzfristigen wie auch die langfristigen Veränderungen im Konsum- und Kaufverhalten. Dies geschieht mit Hilfe verschiedener Methoden wie einer Panelstudie, Tiefeninterviews, repräsentativen Studien sowie einer Metaanalyse. Dabei werden die Verhaltensänderungen in vielfältigen Bereichen des Lebens untersucht: Zuhause, Freizeit, Gesundheit, Einkauf, Medien, Mobilität, Finanzen, Arbeit und Ausbildung.

Das Konsum- und Kaufverhalten normalisiert(e) sich wieder

Ergebnisse der Panelstudie aus den Monaten Juni und Juli zeigen, dass sich das Konsum- und Kaufverhalten nach dem Lockdown rasch wieder normalisierte. War noch im Monat Juni in den Bereichen Freizeit, Konsum, Arbeit, Ausbildung und Mobilität eine teilweise erhebliche Veränderung im Verhalten zu erkennen, setze bereits im Juli eine gewisse Rückbewegung zum ursprünglichen Verhalten ein. Im Mittelpunkt der laufenden Analysen steht die Frage, wie sich die aktuelle und weitere Entwicklung der Corona-Krise sowohl akut als auch langfristig auf das Konsum- und Kaufverhalten auswirkt.

So deuten erste Ergebnisse der durchgeführten Tiefeninterviews und die Ergebnisse einer repräsentativen Studie darauf hin, dass einige Verhaltensänderungen langfristig einschneidend sein werden – also auch nach Ende der Corona-Krise Bestand haben könnten. Schon zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich allerdings definitiv feststellen, dass die Menschen in ihrem Konsum- und Kaufverhalten höchst unterschiedlich auf die Corona-Krise reagieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig reagieren werden.

Typologie des Konsum- und Kaufverhaltens in der Corona-Krise

Die nachfolgende Typologie bietet Insights dazu, wie die Menschen in der Schweiz über den Lockdown bis zum heutigen Zeitpunkt ihr Konsum- und Kaufverhalten verändert haben.

Remainer (36%) haben ihr Verhalten während der Krise über alle Lebensbereiche kaum oder nicht verändert: Zum einen, weil sie dazu nicht bereit sind, zum anderen, weil sie nicht in der Lage waren. So zeigen die Daten, dass Remainer über ein unterdurchschnittliches Einkommen verfügen, welches der Entwicklung neuer Verhaltensweisen Grenzen setzt.

Relaxer (16%) haben ihr Verhalten während des Lockdowns verändert – insbesondere im eigenen Zuhause (z.B. Einrichtung eines temporären Arbeitsplatzes im Homeoffice), in der Freizeitgestaltung (z.B. Sporttreiben im eigenen Zuhause) und im Einkaufsverhalten (z.B. Online Shopping, Veränderung der Einkaufsfrequenz). Mit Ende des Lockdowns sind sie allerdings wieder zu ihrem ursprünglichen Verhalten zurückgekehrt. Die Ergebnisse zeigen, dass Relaxer ein überdurchschnittlich hohes Einkommen aufweisen. Während des Lockdowns war es ihnen finanziell möglich, auf neue Art und Weise zu konsumieren und einzukaufen.

Zur Gruppe Resentment (13%) zählen jene Personen, die während des Lockdowns aufgrund der Rahmenbedingungen neue Verhaltensweisen entwickelt haben und - ähnlich wie die Relaxer - diese nach dem Lockdown wieder aufgegeben haben. Anders als die Relaxer hätte/würde diese Gruppe die neuen Verhaltensweisen jedoch gerne beibehalten. Verhaltensänderungen sind insbesondere im Bereich Arbeit und Ausbildung sowie Freizeit zu erkennen – beispielsweise wurde die neu gewonnene Flexibilität während des Homeoffices als positiver Aspekt der Krise beschrieben, der mit der schrittweisen Rückkehr in die Büros nicht beibehalten werden konnte. Personen dieser Gruppe sind durchschnittlich jünger.

Der Typ Reactance (13%) fühlte sich während des Lockdowns eingeschränkt und veränderte aufgrund dessen sein Verhalten nach dem Lockdown umso mehr. Insbesondere die wahrgenommene Einschränkung in den Bereichen Freizeit und Mobilität während des Lockdowns sorgte mit der schrittweisen Rückkehr zur Normalität für eine Überkompensation (z.B. bewusste Mehrausgaben bei Restaurants). Die Ergebnisse zeigen, dass die Gruppe überwiegend jung ist und über ein höheres Einkommen verfügt, was neue Verhaltensweisen zulässt. Der Typ Reactance weist eine relative grosse Unzufriedenheit und gleichzeitig eine hohe Veränderungsbereitschaft auf.

Revoluzzer (21%) haben sich während der Krise neue Verhaltensweisen angeeignet und diese bis zum aktuellen Zeitpunkt beibehalten. Die Einstellung gegenüber diesen neuen Verhaltensweisen ist positiv. Die Verhaltensänderungen sind insbesondere im Einkaufsverhalten (z.B. Unterstützung lokaler Geschäfte, Online Shopping), in der Freizeitgestaltung (z.B. Abschluss von Reiseversicherungen) und im Zuhause zu erkennen (z.B. Umgestaltung der Einrichtung). Auffällig ist, dass die Revoluzzer überwiegend weiblich (58%) sind. Revoluzzer weisen insgesamt eine hohe Veränderungsbereitschaft auf.
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