Berlin. Im Saal des Admiralspalasts ist es am Mittwochabend so dunkel, dass man nicht einmal mehr seine Hand vor Augen sehen kann. Wie Regentropfen plätschert ein glockenspielartiger Sound an den Wänden hinunter, der von links nach rechts zu wandern scheint. Auch die Bühne ist dunkel, man erkennt lediglich die Umrisse dreier Männer, die jeweils inmitten U-förmiger Konstruktionen stehen und mit ihren Köpfen nicken.
Seit fast 20 Jahren ist Christopher von Deylen als Elektromusiker "Schiller" unterwegs, seine Konzerte beschreiben eine Synergie von Musik, Licht und Emotionen. Keyboard und Synthesizer setzen ein, darüber legen sich elektronische Schlagzeugmotive. Schicht um Schicht baut sich der Track auf, bis man überzeugt ist "jetzt kommt die Explosion, das Tanzbare, der vorangaloppierende Beat". Doch so funktioniert Schiller nicht. Statt sich im Energiezickzack nach oben zu steigern, malt seine Musik eher einen Kreis, wiegt einen sanft, ohne dass man es so recht mitbekommt, in die Stimmung, die von Deylen wohl bei der Komposition hatte. Schaut man sich um, sieht man, wie das Publikum immer mehr in den gepolsterten Sitzen versinkt, teilweise die Augen geschlossen - im musikalischen Wachkoma. Einzelne männliche Köpfe nicken ein paar Takte mit, um sich dann wieder an der Lehne zu stützen.
Schiller ist ein Musiknerd, ein Tüftler. Bei "Once Upon A Time" sieht man auf der Leinwand hinter ihm eine Nahaufnahme seiner Hände, die von Rädchen zu Rädchen tanzen und die Regler millimeterweise verstellen. Zwischendurch springt eine Hand zur Tastatur, um die Orgel-Sounds live einzuspielen. Wie der 47-Jährige bei dieser Dunkelheit die Orientierung behält, erscheint einem rätselhaft. Auf seinem übermäßigen Hintergrund-Display verbindet er Melodie und Ton mit Licht und Bewegung. Mal geht hinter ihm eine liegende Acht, das Symbol der Unendlichkeit, auf, dann sieht man von Deylen schwerelos durch Häuserschluchten, Autobahnen und Wälder segeln. Dank des Surround-Systems hat man den Eindruck, dass Noten aus allen Ecken des Saales kommen, hinten rechts vom Balkon, vorne links vom Parkett, oben aus der Decke.
Der gebürtige Niedersachse Christopher von Deylen gründete das Musikprojekt Schiller im Jahr 1998 - damals gemeinsam mit Mirko von Schlieffen, der fünf Jahre später aber ausstieg. Seitdem sind neun Ambient-Electro-Alben entstanden, die mittlerweile wie zuletzt "Future" (2016) den ersten Platz in den deutschen Charts erreichten.
Trotz der rein elektronischen Musik, fühlt man sich der Natur nah an diesem Abend - das kommt sicherlich auch von den beeindruckenden Landschaftsaufnahmen, die beispielsweise bei "Future III" im Hintergrund gezeigt werden, aber auch von diesem außergewöhnlich warmen Techno-Sound, in dem man bereitwillig die zwei Stunden badet. Noch dazu verwendet von Deylen Sounds, die Erinnerungen in einem wachrufen. So ist man sich bei "Berlin - Moskau" sicher, einen Zug zu hören, Vögel zwitschern und Wellen schäumen.
Mit der rechten Hand auf dem Herzen und der linken in der Höhe bedankt sich Schiller bei seinem Publikum, als es sich für Standing Ovations erhebt. "In so einem Moment fragt man sich, ob wir nicht etwas geselliger hätten sein sollen und ein bisschen mehr reden. Aber wenn ich erstmal spiele, versinke ich in all den Tasten um mich herum." Und das ist auch okay so. Manchmal reicht auch einfach die Musik, ohne großartige Erklärungen und emotionale Bekundungen.
© Berliner Morgenpost 2017 - Alle Rechte vorbehalten.