Der Weg zum Nummer-eins-Hit in Deutschland ist verschlungen. Er kann zum Beispiel von Berlin-Wilmersdorf über Leeuwarden führen, ins Friesenland und dann auch noch nach New York. Ski Aggu nennt sich der junge Hauptstadtrapper, der sich mit dem niederländischen Elektro- und Elektroschrottproduzenten Joost zusammengetan hat, um ein Remake des Songs Friesenjung von Otto Waalkes aufzunehmen - einem Stück, das wiederum auf dem Sting-Klassiker Englishman in New York aus dem Jahr 1987 basiert. Otto selbst gab dann noch Input - und nun steht der Song tatsächlich ganz oben, 16 Millionen Spotify-Streams, noch vor Komet, einer Zusammenarbeit des ebenfalls jungen Deutschrappers Apache 207 mit Udo Lindenberg.
Das ist die Lage im Deutschrap 2023. Zumindest ein Seitenarm des ganzen Unternehmens ist zur postironischen Mash-up-Musik geworden, in der ganz ernsthaft alles mit allem kombiniert werden kann. Ski Aggu steht dafür gerade mehr als jeder andere Künstler. Eigentlich heißt er August Jean Diederich und beschäftigt sich am liebsten mit moderatem Drogenkonsum, After-Hour-Partys und Fußballlegenden. Mit dem Rappen, rappt er in seinem Song Broker, habe er erst während der Corona-Pandemie begonnen, und natürlich ist er auch auf TikTok eine große Nummer. Seit FFP2-Masken und Stäbchen in der Nase weitgehend der Vergangenheit angehören, gilt Ski Aggu aber auch als Repräsentant eines postpandemischen Hedonismus, der sich in Clubs, auf Open-Air-Veranstaltungen und im Internet entlädt.
Aber erst mal einen Schritt zurück, zu Otto Waalkes, 74, dem personifizierten deutschen Humorkulturgut. Ski Aggu und Joost wollen die Zusammenarbeit aus dem Komiker herausgekitzelt haben, indem sie immer wieder Snippets aus ihrer ersten, noch ohne Otto-Okay aufgenommenen Friesenjung-Adaption auf TikTok veröffentlicht haben. Der Slogan "Bitte, Otto, bitte" wurde in den dortigen Kommentarspalten zum geflügelten Wort. Auch bei Konzerten animierte Ski Aggu seine Fans dazu, die Worte zu skandieren, während er selbst auf dem Boden kniete und die Hände zum Gebet faltete. Otto gab seinen Song schließlich für ein offizielles Remake frei.
Newsletter
Neu: Natürlich intelligent
Künstliche Intelligenz ist die wichtigste Technologie unserer Zeit. Aber auch ein riesiger Hype. Wie man echte Durchbrüche von hohlen Versprechungen unterscheidet, lesen Sie in unserem neuen KI-Newsletter.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.
Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.
Der Vorgang erinnert an Deutschlands Erfolgsrapper Capital Bra, der im Jahr 2019 Dieter Bohlen dazu brachte, das Maskottchen für einen Remix seines eigenen Stücks Cheri Cheri Lady zu spielen. Zunächst hatte Bohlen, der in den Chartrekordbüchern mit 23 (mit-)verfassten Nummer-eins-Hits nur noch knapp vor Capital Bra liegt, den immer wieder offensiv proklamierten Reichtum des Rappers angezweifelt. Dann stichelte dieser auf Instagram zurück und hetzte Bohlen seine Fans auf den Hals, bis sich am Ende der - möglicherweise von vornherein orchestrierten - Marketingaktion alle wieder vertrugen, um gemeinsam Geld zu verdienen.
Die Zusammenarbeit von Ski Aggu, Joost und Otto weist in ihrer Onlineentstehung Parallelen auf, wirkt jedoch verspielter und unschuldiger. Zusammen haben beide inzwischen Clips für TikTok aufgenommen. Otto war sogar Bühnengast bei einem Auftritt des Rappers. Alle haben sich lieb und produzieren gemeinsam virale Videos. Man kann interessante Wechselwirkungen an diesem Fall beobachten, zwischen Popmusik und Social Media, aufstrebenden Meme-Rappern und längst irgendwo angekommenen Blödelbarden, zwei deutschen Humorgenerationen mit ganz unterschiedlichen Plattformen und Zielgruppen. Was aber wird davon bleiben, wenn nächste Woche das nächste große Ding seine Runde dreht bei TikTok und Co.?
Hört man sich Party Sahne noch einmal an, Ski Aggus ersten Hit aus dem Jahr 2022, dürfte die Antwort lauten: eher wenig. Auch dieser Song basiert auf einem bekannten Sample, es stammt aus dem Song der schwedischen Rockband Caesars. Zum Refrain rappt Ski Aggu: "D-D-D-Disco, Party Sahne, Disco, Disco, Party Sahne/ Ich bin so wie eine Sonnenbrille, bin auf Nase drauf." Mit bewusst gelangweilter Stimme trägt der Künstler diese Zeilen vor und kombiniert sie mit ultraeingängigen Melodien - was durchaus seinen Reiz hat. Doch beschäftigt man sich mit weiteren vielfach gestreamten Aggu-Songs wie Acid Kotti oder Besoffen in den Spiegel schauen, offenbart sich ein Muster aus Teilnahmslosigkeit und Eingängigkeit, tanzbaren Beats, einprägsamen Slogans und Partygeschichten. Je öfter man das hört, desto mehr verliert es von seinem Charme.
Dass man in feiern kann, sollten spätestens seit der Techno-Revolution der Neunzigerjahre alle verstanden haben. Zur Urberliner Clubkultur gehörte aber immer auch eine politische Komponente, es ging nicht nur um den bloßen Spaß, sondern auch um alternative Raumkonzepte in einer schnell wachsenden Großstadt und um safe spaces für marginalisierte Gruppen. Party und Subversion gehörten zusammen, zumindest im Idealfall.
Bei Ski Aggu bleibt davon nur der hedonistische Aspekt übrig. In seinem Song Partyticker stimmt zwar die Selbstanalyse - "Schwör, ich bin zu privilegiert (Warum?)/ Weil ein weißer, deutscher Hetero die Bullen in Berlin nicht interessiert (Hurensöhne)" -, doch auch daraus entwickelt sich keine Haltung, die über engagiertes Weiterfeiern hinausginge. Subkulturelle Relevanz und politisches Potenzial stecken nicht in der Musik von Ski Aggu. Wie sie abseits ihrer aktuellen Viralität funktionieren soll, bleibt fürs Erste unklar. Sie muss das natürlich gar nicht wollen, sollte dann aber auch als das erkannt werden, was sie ist: der Zeitvertreib eines Twentysomethings mit Vokuhila und Skibrille.
Der Weg zum Nummer-eins-Hit in Deutschland ist verschlungen. Er kann zum Beispiel von Berlin-Wilmersdorf über Leeuwarden führen, ins Friesenland und dann auch noch nach New York. Ski Aggu nennt sich der junge Hauptstadtrapper, der sich mit dem niederländischen Elektro- und Elektroschrottproduzenten Joost zusammengetan hat, um ein Remake des Songs Friesenjung von Otto Waalkes aufzunehmen - einem Stück, das wiederum auf dem Sting-Klassiker Englishman in New York aus dem Jahr 1987 basiert. Otto selbst gab dann noch Input - und nun steht der Song tatsächlich ganz oben, 16 Millionen Spotify-Streams, noch vor Komet, einer Zusammenarbeit des ebenfalls jungen Deutschrappers Apache 207 mit Udo Lindenberg.