In der Eintracht-Loge in der Commerzbank-Arena ist schon eingedeckt. Nur noch wenige Stunden, dann wird die Mannschaft unten auf dem Rasen womöglich wieder eine Fußball-Gala zelebrieren. „Begeisternde Hinrunde", sagt Vorstandsmitglied Axel Hellmann, „einen solchen Offensivdrang mit Kampf und Spielkunst habe ich seit 1992 nicht mehr gesehen." Er erscheint entspannt zum Gespräch über seine Themen: die Entwicklung von Team und Stadion, über Digitalisierung und globale Strategien - und über ihn. Und dieses Gespräch eröffnet er mit einer „Beichte": Er, Eintracht-Mitglied seit 1974, sei für „für Fußball zu schlecht" gewesen. Mit Turnen am Traditionsort im Oeder Weg ging es einst los für ihn, seine Mutter gehörte zum Vorstand der Turnabteilung, später spielte er, weil großgewachsen, Volleyball und Basketball. Den ersten Stadionbesuch für ein Spiel der Fußball-Bundesliga kann er noch genau datieren: 1979 war es, es war ein Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern.
Wer mit drei Jahren den Mitgliedsausweis ausgestellt bekommt, dem kann man getrost bescheinigen, eine Lebensbeziehung mit der Eintracht eingegangen zu sein. Als Sohn aus gutbürgerlichem Haus, Vater Banker, aufgewachsen im Westend, stand er im G-Block bei den Treuesten. Laut sei er gewesen, die englische Fankultur war sein Maßstab, „aber ich war und bin kein Typ, der in Hektik verfällt". Die italienische Ultra-Kultur (man sagt ihm eine gewisse Sympathie für die in jeder Weise auffälligen Ultras nach), sei damals noch kein Thema gewesen. „Verbindlich und vertrauensvoll" nennt er sein Verhältnis zu den Hartgesottenen, „aber es gibt keine Kumpanei". Dieser Tage gab es wieder Ärger, einige Fans ließen zu viel Dampf ab beim Europa-League-Gastspiel in Rom, Sanktionen gegen die Eintracht drohen. Von einem „sicherheitsorganisatorischen Desaster", sprach Hellmann in den Medien. „So macht Fußball keinen Spaß."
Bestes GeschäftsjahrSportlich betrachtet war der 2:1-Sieg in Rom nicht mehr entscheidend am Ende eines an Höhepunkten reichen Jahres, an dem heute mit dem Bayern-Heimspiel der krönende Abschluss stehen könnte. In Rom hat die Eintracht einen Rekord aufgestellt, alle sechs Gruppenspiele hat sie gewonnen, das ist noch keiner deutschen Mannschaft gelungen. Rekorde hat der Verein auch anderweitig erzielt: 49 000 Zuschauer kamen im Schnitt, im Fanartikel-Verkauf, Hellmanns Domäne, wurden vier Millionen Euro mehr erwirtschaftet als 2017. „Das beste Geschäftsjahr in der Geschichte", sagt Hellmann.
Und es soll weiter aufwärts gehen, mit ihm auch. So hat der 47-jährige gelernte Jurist als Vorstand seinen Vertrag bis 2023 verlängert. Die Geschäftsbereiche Sales (Verkauf) und Marketing, Medien und Kommunikation verantwortet er, dazu Zuschauerservice, Merchandising (Fanartikel), Recht und Fan-Angelegenheiten sowie internationale Projekte. Die Frage, was er ab Sommer 2023 machen werde, pariert er lächelnd. „Wenn auch mal meine Tätigkeit im Vorstand endet, ich werde immer etwas für diesen tollen Verein machen", sagt er.
WirtschaftsrechtlerIhn karrierebewusst zu nennen, ist nicht übertrieben. Er hatte als Abiturient am Goethe-Gymnasium bereits große Ziele, in der Abi-Zeitung schrieb er: „Mit 40 will ich Präsident der Eintracht sein, mit 50 Oberbürgermeister, mit 60 Bundeskanzler." Schon beim ersten Punkt sei er gescheitert, Eintracht-Präsident werde ja ewig Peter Fischer sein, sagt er und lacht. Bevor er im Juni 2012 hauptamtliches Vorstandsmitglied der Fußball AG wurde, war Hellmann als Anwalt und Partner einer Kanzlei für Wirtschaftsrecht tätig. Lange vorher, im August 2001, hatte ihn Peter Fischer ins Präsidium des Eintracht Frankfurt e. V. geholt, der die Mehrheit der AG-Anteile hält. Als Geschäftsführer des Vereins war Axel Hellmann von 2003 an auch Aufsichtsratsmitglied der AG.
Schon in der Mittelstufe weckte eine Projektarbeit sein Interesse an juristischen Themen, um die Kriegsschuldfrage im Ersten Weltkrieg ging es. „Völkerrecht hat mich fasziniert. Politisch-historisch bin ich sehr interessiert." Er liebt Dokumentarfilme, befasst sich mit Autoren und Machart, er schätzt Genauigkeit. Gesetzestexte hat er schon in jungen Jahren gern gelesen. „Mir war bald klar: Ich werde Jurist, mit Schwerpunkt Völker- und Europarecht." Das Studium, die Auslandsstationen, etwa bei der EU-Kommission, alles war auf dieses Ziel ausgerichtet. Doch der Student erlebte auch abschreckende Bürokratie, stieß auf „mehr Grenzen als Entfaltungsmöglichkeiten". Die Doktorarbeit beendete er nie, schwenkte um auf Wirtschaftsrecht. Als Anwalt fühlte er sich wohl. „Der diplomatische Dienst kam mir auch mal in den Sinn, aber dafür bin ich von meiner Art her nicht so geeignet." Hellmann spricht gern Klartext. Im Fußball-Business ganz sicher eine entscheidende Qualität.
Nach seiner Ausbildung und dem zweiten juristischen Staatsexamen traf er auf eine Eintracht „in tiefer Krise". „Zum Fremdschämen", sagt er rückblickend. Vereins- und Führungskultur, Professionalität waren mangelhaft: „Es wurde mehr Geld ausgegeben als eingenommen." Im Jahr 2000, mit Ende 20, engagiert er sich in der Gründergruppe der heute sehr erfolgreichen Fan- und Förderabteilung. Für ein Konzeptpapier wurden die Aktivisten damals von alten Seilschaften ausgelacht. 50 000 Mitglieder wurden im Konzept als Ziel formuliert, inzwischen sind es 60 000. Präsident Peter Fischer holte also den jungen Mann, der bereit war, anzupacken und den ewigen Eintracht-Klüngel - auch gegen Widerstände - auszutreiben. Um die sportlichen, wirtschaftlichen und personellen Wirren abzukürzen: Hellmann hat seit 2001 Tiefen erlebt, aber auch drei Aufstiege. Die einst herrschende Distanz zur Stadtgesellschaft, der die früheren Eintracht-Bosse mindestens suspekt waren, ist einer dauerhaften Nähe gewichen. Er spürt diese unmittelbar, er wohnt ja nicht nur in der Stadt, er lebt in ihr. Und er wird oft angesprochen. Abheben ist nicht, die Stadt erdet. „Früher sagten viele: Das ist nicht mehr meine Eintracht. Das soll und wird es nie wieder geben", sagt er.
Emotionale IdentifikationDen steilen Mitgliederzuwachs schreibt er „Haltung und Stil" des Klubs zu, er nennt Peter Fischers Umgang mit der AfD als Beispiel. Die Solidität und Zuverlässigkeit der letzten Jahre werden anerkannt, „unser positiver Trend ist ein Stück weit erfolgsunabhängig". „Mitglied zu sein, bringt Vorteile, etwa beim Ticketkauf. Vor allem gibt es eine hohe emotionale Identifikation. „Wir stülpen nichts über den Klub, einen Werbe-Claim wie andere Bundesligateams brauchen wir nicht - wenn es bei uns einen gibt, dann kommt der von den Fans selbst: Im Herzen von Europa."
Die Eintracht und die Stadt - darüber redet Hellmann gerne. „Es gibt die rationalen und die emotionalen Themen", schickt er voraus. Um dann selbstbewusst festzustellen: „Emotional sind wir der Riese in der Stadt." Für ihn persönlich war das schon immer so: In den frühen und späten Achtzigern hat er es als Junge und junger Mann erfahren, was es bedeutet, mit der Eintracht gestern noch gejubelt zu haben, heute schon zu leiden. 1980 noch Uefa-Pokal-Sieger, 1981 noch Pokalsieger, stand sie 1983 und 1989 vor dem Absturz. Die Frage nach seinen persönlich stärksten Eintracht-Momenten beantwortet er schnell: die Relegationsspiele damals, diese brutalen 180 Minuten, die anders als jedes Finale wirklich über die Zukunft entscheiden. Deutlicher Sieg gegen Zweitligist Duisburg, Zittersieg gegen Zweitligist Saarbrücken. Bald danach die verpasste Meisterschaft, wieder nur kurze Zeit später der erste Abstieg, der Pokalsieg in diesem Mai, der Autokorso durch die Stadt. Hellmann schreibt sich ein günstiges Naturell zu: Er genießt die guten Zeiten und lässt sich von den schlechten nicht 'runterziehen. „Wer Wert darauf legt, dass alles ruhig verläuft, ist bei diesem Verein falsch", sagt er. „Es ist in Politik und Wirtschaft noch nicht allen bewusst, dass wir für die Stadt in einzigartiger Weise ein Türöffner sein können. Da lässt man leider noch viel Potenzial liegen."
Im Gesamtverein sind 70 Nationen, 18 Arbeitssprachen gibt es allein im Fußball. Messe, Banken, Logistik, diese Bereiche sind in Frankfurt allesamt wirtschaftlich größer, sagt Hellman, aber bewegt irgendwas davon die Menschen so wie die Eintracht? „Die Botschafterrolle der Eintracht für die Region, den Standort und den Finanzplatz Frankfurt ist unzweifelhaft groß." Dazu zählt für ihn auch der „gesellschaftspolitische Auftrag" der Eintracht, die Förderung des Breitensports im Verein durch Mittel aus dem Fußballgeschäft, rund zwei Millionen Euro pro Jahr, dazu zählt der intensive Dialog mit den Anhängern. „Wir sehen uns als Traditionsklub, aber wir dürfen den Fans nichts vorgaukeln: Wir müssen immer auf dem Sprung in die Moderne sein, sonst geht es uns wie Traditionsklubs wie KSC, 1. FCK, RW Essen." Er führe mit den kritischen Fans offen die Debatte über Kommerzialisierung. „Ich habe gefragt. Was wollt ihr? Alle wollen Europa! Internationale Spiele." Aber es ist auch so: Alle wollen auch niedrige Ticketpreise, keiner will vom Fernsehen diktierte Anstoßzeiten, niemand will Investoren mit Einfluss: „Am Ende ist Ehrlichkeit notwendig", sagt Hellmann: „Der Fußball ist knallhart, er wird vom Geld getrieben. Romantik ist beim Geschäft fehl am Platz."
Sein Geschäft sieht er so: Die Digitalisierung soll mehr Reichweite und neue Bindungskraft erzielen, ausländische Partner sollen gewonnen, internationale Märkte erschlossen, das Stadion für die Zukunft aufgerüstet werden. Emotionen werden in seiner Sprache und Denke zum „Business-Case", strategisch klingt das so: „Wir wollen Emotionen nicht verkaufen, aber verwerten." Traditionsreich und modern, begeisternd und bezahlbar, das soll die Eintracht des 21. Jahrhundert sein, wenn es nach ihm geht. Das Medienverhalten der Millenials, das wachsende Interesse an E-Sports, all diese Themen der nächsten und übernächsten Generation, hat der Vater von zwei Kindern, die selbst Fußballer und ebenso glühende Eintracht-Fans sind, auf der Liste. „Die Eintracht ist noch nicht auf dem Höhepunkt der Entwicklung, wir stehen eher am Anfang."
Womöglich wird die Mannschaft heute wieder Fußball zelebrieren, vielleicht die Bayern schlagen. Vielleicht wird es im Frühjahr auch mal eine famose Rückrunde und tatsächlich das ganz große Ding, die Qualifikation für die Champions League. Zuzutrauen ist das dieser Mannschaft, man traut sich in der Stadt langsam, leise davon zu sprechen. Warum nicht? Axel Hellmann sagt, was man als Fan eben so sagt: „Es ist viel möglich." Es ist eben auch möglich, dass die Mannschaft abrutscht, mal wieder. „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt", sagt Hellmann, „so ist das mit der Eintracht und mit ihren Fans im Stadion, in der Kleinmarkthalle." Müsste er, der Vermarkter, einem Amerikaner in wenigen Sekunden erklären, was die Eintracht besonders macht, er würde es so auf den Punkt bringen: „Wir sind der emotionalste Verein der Bundesliga!" Da kommen sie wieder ins Spiel: die Emotionen. Es bleibt bei einem Verantwortlichen wie ihm am Ende die Frage, wie er sie aushält, diese Emotionen, dieses ewige Auf und Nieder. Axel Hellmann sagt: „Ich schlafe gut."
Mitarbeit: Mark ObertZum Original